Kultur

Mit Faszination lässt sich am Bildschirm die expressionistische Darstellung und das abstrakte Bewegungsvokabular beobachten. Zampanó und Gelsomina tanzen Alexander Hille und Serena Landriel. (Foto: Marie-Laure Briane)

22.01.2021

Verzweiflung und Kampfansage

Marco Goeckes Ballett „La Strada“ erfreut im Livestream

Die Verlagerung von Kunst ins Netz: Damit müssen wir coronabedingt noch eine Zeit lang leben. Im Juli 2018 hatte Marco Goeckes La Strada euphorisch gefeierte Premiere im Münchner Gärtnerplatztheater. Jetzt wurde Goeckes choreografische Fassung des Fellini-Filmklassikers (1954) erstmals als Live-Stream gesendet. Eine Online-Vorstellung ist natürlich kein identischer Ersatz für das körperliche Theatererlebnis. Aber sie hat überraschenderweise auch Vorteile: Zwischen Bildschirmgeschehen und Publikum entsteht eine neue Nah-Beziehung, fast ein Zwiegespräch. Gerade Goeckes generell intellektuell konzipierte, zugleich verrätselt bildhafte Werke fordern ein Mitdenken, Auseinandersetzung und Entschlüsselung.

Der international gefragte gebürtige Wuppertaler (zunächst Hauschoreograf beim Stuttgarter Ballett und seit 2019/20 Tanzchef in Hannover) hat nämlich einen neuartig zeichenhaften Stil entwickelt – jenseits von Neoklassik, New Dance und Postmoderne. Seine komplexe Komposition der Armführung ist weltweit einzigartig und speziell stimmig für Fellinis Protagonisten: den sprachkargen Zampanò und seine kindlich-naive Assistentin Gelsomina (im Film einst unvergesslich gespielt von Anthony Quinn und Fellinis Ehefrau Giulietta Masina).

Sex und Mord

Vor einem schmalen Ährenfeld (Bühne/Kostüme: Michaela Springer) als Metapher für das Wanderleben folgen schnelle Szenen mit Zirkusphantasiewesen, Clownerien, Gruppentänzen in lateinamerikanischen Klein-Schritt-Rhythmen (als Hommage an Wuppertals große Pina Bausch). Und immer wieder das Beziehungsdrama zwischen dem Kettensprenger Zampanò, dem Seiltänzer Matto und der Zuneigung suchenden Gelsomina: blitzlichtartig vergegenwärtigt in Bildern von Verlangen, Sex, Gewalt und schließlich Zampanòs Ermordung von Matto.

Alexander Hille in seiner körperlichen Erstarrung, der irrlichternd leichtfüßige Luca Seixas und Serena Landriel als verwundbare Fremde in einer existenziell rauen Welt: Alle drei sind neu im Ensemble und haben sich feinnervig in ihre Rollen eingearbeitet.

Auch das Ensemble warf sich nach langer Performance-Abstinenz mit geschliffener Technik und sichtbarer Spielfreude in dieses anspruchsvolle Stück. Ja, auch die expressionistisch angetriebene Darstellung ist in der Konzentration auf die begrenzte Schaufläche intensiver erfahrbar. Aber was noch mehr fesselt, ist die Möglichkeit, Goeckes Bewegungsstil einmal wie unter dem Brennglas zu sehen. Da ist schon noch die neoklassische Basis in Schritten, Drehungen und hohen Beinen. Aber aus den gestählten Körpern schießen Arme wie Messer, kreuzen, verschlingen sich, scheinen Unsichtbares zu zersägen, zu zerhacken. Finger, Hände kreisen, flattern, wirbeln in alle Richtungen. Es ist im Grunde ein abstraktes Vokabular. In seiner Formenvielfalt und in der Rasanz der Ausführung wird es jedoch, je nach Handlungsmoment, zum Ausdruck von zorniger Sprachlosigkeit, von Sehnsucht nach Zuwendung, von Verzweiflung und Kampfansage, zum Ausdruck auch der unschuldig spielerischen Zirkuswelt. Nino Rotas 1966 zur Ballettsuite adaptierte Filmkomposition, lustvoll-engagiert gespielt vom Staatsorchester unter Michael Brandstätter, liefert ja auch viele Farben, von rasselnden Manegeklängen bis zum sinfonisch schmelzenden Gelsomina-Motiv. (Katrin Stegmeier)

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