Kultur

Stück für Stück drapiert sich Simon Senn mit Körperteilen von Arielle. (Foto: Internationales Figurentheaterfestival/Simon Senn)

12.05.2021

Virtueller Körperkauf

Internationales Figurentheaterfestival im Netz: Simon Senns verqueres "Be Arielle F"

Bevor es losgeht, braucht man im Schnitt eine halbe Stunde, bis man sich zu einer der rund 60 Veranstaltungen irgendwie durchgeklickt hat, in denen das 22. Internationale Figurentheaterfestival 2021 sein „kontaktloses Festivalprogramm“ präsentiert - und bis man zu den experimentellen Projekten gelangt, die explizit für den virtuellen Raum entwickelt  oder von analog auf digital zurechtgeschnitten wurden. Da wird dann mit häuslicher Vorbereitung von Computer, Lautsprecher, Kopfhörer, aus einer Dreiviertelstunde „show“ und dem Nachbesprechungs-Chat ein ausgedehnter Abend für all die Leute, die sowieso schon den ganzen Tag vorm Bildschirm gesessen haben. Das Mitarbeiterteam von der Festivalleitung in Erlangen ist jedenfalls rührend um jeden einzelnen bemüht, der sich für diesen Datendschungel angemeldet hat  und  hofft, dass er bei diesen vielen Klicks und Links nicht irgendwie einen Kühlschrank  bestellt hat.

Mit einer Bestellung fängt jedenfalls ein besonders spannender Abend an: Simon Senn aus der Schweiz  hatte sich für seine "Lecture Performance" Be Arielle F für schlappe 12 Dollar im Internet „die realitätsgetreue 3D-Abbildung eines weiblichen Körpers“ gekauft. Den sieht man verquer, aber  mit allem Drum und Dran. Er gehört eigentlich einer jungen Dame („Arielle“) in London, die als Gliedmaßenreservoir und als Chat-Partnerin den ganzen Abend über anwesend ist - und in den Senn mit Hilfe von Sensoren und einer 3D-Brille nach und nach schlüpft. Bis der brave Schweizer Familienvater selber nicht mehr so recht weiß, wem welche Brust gehört und ob er sich die Lippen schminken soll. Und ob er weiter französisch wie üblich, sondern schon englisch sprechen soll wie der Körper aus London.  Der virtuelle Körperkauf war, meint Senn, so einfach nicht: viele Körper im Angebot seien zu muskulös gewesen. Aber mit der richtigen und dreidimensional generierten Masse an Knochen und Fleisch habe er die Mischfigur zum Laufen und Tanzen gebracht und behält mit dem Bewegungsadapter die Kontrolle über jeden Körperteil. Wem das nach „Frankenstein“ klingt, liegt nicht falsch, gruselig ist diese Show irgendwie durchaus, denn auch dieser Senn hat wie Frankenstein einen Gehilfen, der Yuri heißt und ein russischer Programmierer ist. Und schließlich hat sich Senn auch über die juristischen Konsequenzen dieses Bildbenützungsexperiments schlau gemacht.

So einfallsreich, witzig oder literarisch ambitioniert man andere Ausgaben des Figurentheaterfestivals  in Erinnerung hat: Corona und die virtuelle Welt haben es diesmal gründlich verändert. Und für Simon Senn hat eine Psychologin sogar die Diagnose gestellt: „Shapshat-Dysmorphie“. Er fragt sich selber, ob durch diese Metamorphose vielleicht die feminine Seite seiner Persönlichkeit zutage gekommen sei. Frau und Töchter Senn finden das allerdings „ziemlich strange“, für Arielle ist  es immerhin seltsam, dass „ein männlicher Fremder meinen Körper gekauft hat“ - und  als Zuschauerin und Zuschauer ist man denn doch überzeugt, dass hier ein  wirklich  neues  „Figurentheater“ gespielt wurde. Im Chat danach tauschen die 39 Teilnehmer*innen mit Arielle die Inzidenzzahlen zwischen London und Erlangen aus, interessanter aber ist die Frage: „Sind Sie schon mal in einem virtual body gewesen ?“ (Uwe Mitsching)

Information: Das Figurentheaterfestival läuft noch bis zum 16. Mai

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