Kultur

Kühner Blickfang in der Berliner Friedrichstraße (1921) - hier ein Ausschnitt, sehen Sie die Gesamtansicht und weitere Motive in der Bildergalerie am Ende des Beitrags. (Foto: MOMA, New York /VG Bild-Kunst)

13.04.2017

Visionen der Moderne

Das Museum Georg Schäfer in Schweinfurt zeigt Collagen von Mies van der Rohe

Außergewöhnlich ist die aktuelle Sonderausstellung im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt: Dort werden 50 Collagen, Fotomontagen und Zeichnungen von Ludwig Mies van der Rohe (1886 bis 1969) aus dem New Yorker Museum of Modern Art gezeigt. Dazu passend sind Werke von Künstlern wie Klee, Kandinsky, Lehmbruck und Originalpläne, die sonst nie öffentlich präsentiert werden, zu sehen. „Es sind Visionen einer neuen Ästhetik, die da heißt Moderne“, so Museumsleiter Wolf Eiermann. Mies van der Rohe gilt als einer der größten Architekten des vergangenen Jahrhunderts. Der in Aachen geborene Schöpfer von meist transparenten Gebäuden aus Glas, Stahl und Beton, in den 1930er Jahren Leiter des Bauhauses, war beeinflusst von der Avantgarde, emigrierte in die USA, sammelte Klassische Moderne und schuf nur für sich Collagen und Montagen. Bestimmt sind diese privaten künstlerischen Schöpfungen von einer visionären Blickrichtung, von der Perspektive vom Innenraum in den Außenraum, vom Realen zum Artifiziellen, von der Vergangenheit zur Zukunft, von der Kunst zur Natur. All diese Aspekte verschmolz Mies van der Rohe bei seinen Montagen und Collagen zu einem spannungsgeladenen Ganzen. Oft baute er Zitate aus Reproduktionen moderner Kunstwerke ein, teilweise beschnitten, auch gedreht. Zum Vergleich hängen in Schweinfurt nun die Originale daneben. Warum ist diese singuläre Schau ausgerechnet in der Kugellagerstadt Schweinfurt zu sehen? Dies hängt zusammen mit familiären Beziehungen zur Fabrikantenfamilie Schäfer. 1960 bis 1962 entwarf Mies van der Rohe für Georg Schäfer den Plan für ein Museum in Schweinfurt. Die Originalpläne und Fotomontagen illustrieren die architektonischen Visionen dafür: ein rundum verglaster, eleganter, lichter Bau, 13 Meter hoch, mit einem Kassetten-Flachdach. Aus verschiedenen Gründen wurde der Plan nicht realisiert. Der Entwurf diente aber dann in leicht abgewandelter Form für die Neue Nationalgalerie in Berlin, die 1968 eröffnet wurde.

Überlegung für Schweinfurt

Der Nachbau des Plans für Schweinfurt im Modell demonstriert die Leichtigkeit des Baus, trotz der massiven Decke. Die Wirkung nach außen demonstriert die Collage des Bacardi-Modells (1960 bis 1963): In einem sich perspektivisch nach hinten verjüngenden Raum mit großen Glasfenstern und Ausblick in eine Landschaft ist links eine Fläche eingeklebt, die an ein Furnier erinnert; vor ihr steht eine ausgeschnittene Reproduktion der Skulptur Große Stehende von Wilhelm Lehmbruck (1910); rechts befindet sich eine Art schwarze Bank vor dem Blick durch die Fenster auf fiktive Fernen. Im hinteren Raum des Schweinfurter Museums ist diese Collage nachgestellt, mit der echten Skulptur von Lehmbruck vor der Furnier-Tapete. Beim Eintritt in die Ausstellung stößt der Besucher auf die schwarze Marmor-Tapete, die in verkleinerter Form auf mehreren Collagen auftaucht, angeblich inspiriert durch den Aachener Kaiserdom.

Scheinbar real

Collagen und Fotomontagen begleiteten Mies van der Rohe sein ganzes Leben lang als Verdeutlichung seiner Ideen und visualisierte Strategien. Die erste ausgestellte Fotomontage stammt von 1910 und war gedacht für ein Bismarck-Denkmal in Bingen: scheinbar eine reale Abbildung, aber nie verwirklicht. Ähnliche Effekte erzielen die in alte Fotografien, etwa der Berliner Friedrichstraße oder vom Stuttgarter Hauptbahnhof, eingefügten Projekte von gläsernen Hochhäusern oder einem Bürogebäude. Diese Montagen umschreiben Ausblicke in die Zukunft architektonischer Gestaltung. Während die frühen Fotomontagen noch mit konkreten Bauten zu tun haben, vermitteln die Collagen aus den Jahren nach der Emigration eher die Atmosphäre, das Raumgefühl, das man in solchen Bauten erleben konnte.
Eine solche visuelle Konzeption ging nie ohne den Einfluss der Kunst. So sind die kühnen Theaterprojekte von 1947, bei denen Mies van der Rohe Aufsicht und Schnitt vereint hatte, fast schon abstrakte Konstruktionen, von großzügiger Weite und innerer Spannung. Wesentlich konkreter scheinen Raumansichten von Privathäusern, von Hofhäusern aus den späten 1930er Jahren. Sie öffnen sich auf einen Garten oder Innenhof. In dem sich perspektivisch verjüngenden Raum mit gezeichneten Bodenplatten oder Lamellenwänden befinden sich ausgeschnittene Reproduktionen von Skulpturen, bevorzugt von Maillol oder Lehmbruck, oft auch Ausschnitte von Kunstwerken von Braque, Kandinsky, Klee oder Picasso. Dieser „Künstlichkeit“ stellt Mies van der Rohe oft Marmor- oder Furnierflächen gegenüber, sozusagen als Materialität der Wirklichkeit. Auch die Landschaftsfotos, die mit der realen Verortung nichts zu tun haben, suggerieren konkrete Ausblicke. Ähnlich geht er vor bei größeren, „offiziellen“ Räumen, etwa beim Inneren einer Konzerthalle; da verstellt er quasi die Weite der Konstruktion durch eingeklebte flächige „Segel“ und setzt noch eine altägyptische Figur davor. Bei der Convention Hall (1954) schafft er drei Ebenen: Oben die Dachkonstruktion, in der Mitte eine marmorne Rückwand und darunter eine Menschenmenge, ein Foto vom Parteitag der Republikaner. Die Verbindung schafft eine amerikanische Flagge mit falsch eingesetztem Sternenfeld. Auch in den Außenbereich von Bauten dringt Mies van der Rohe durch Gestaltung ein, zum Beispiel beim Museum of Fine Arts in Houston, Texas, wenn er 1954 auf der Terrasse Marmor-Riegel und Skulpturen postiert und so einen visionären Raum schafft. Hier verfließen die Grenzen zwischen außen und innen, zwischen Realität und Imagination. (Renate Freyeisen) Information: Bis 28. Mai. Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt. Di. bis So. 10-17 Uhr, Do. 10-21 Uhr. www.museumgeorgschaefer.de

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