Kultur

Was die Körpersprache angeht, können Regisseure und Schauspieler von Geheimdiensten lernen, blaut Andreas Gruber (61). Der Österreicher ist mehrfach ausgezeichneter Drehbuchautor und Regisseur. An der Hochschule für Fernsehen und Film in München lehrt er seit 2002. (Foto: HPP/Pupeter)

20.11.2015

"Von Geheimdiensten lernen"

Andreas Gruber über die internationale Konferenz an der Münchner Filmhochschule, die das Verhältnis von Regisseur und Schauspielern thematisiert

Zickenkrieg am Set – mancher Regisseur muss sich viel- leicht auch damit rumschlagen. Aber ums viel Prinzipiellere geht es bei einer Tagung in der Münchner Filmhochschule: Was prägt die Zusammenarbeit zwischen Regisseur und Schauspieler? Wie verändert sich das Verhältnis, wenn der Darsteller ein Avatar ist? Das sind viel zu wenig beachtete Fragen, findet Andreas Gruber. Der Regisseur ist Hochschullehrer und hat das Tagungskonzept gestaltet. BSZ Herr Professor Gruber, wie war das denn, als Sie das erste Mal Regie geführt haben und den Schauspielern sagen mussten, wo’s lang geht?
Andreas Gruber Ich hatte schlichtweg Bammel. Vielen jungen Kollegen heute ergeht es nicht anders. Schauspieler treten in der Regel sehr selbstbewusst auf. Das ist trainiert, oft wird damit die eigene Unsicherheit kaschiert. Auf jeden Fall kann das den Jungregisseur erst einmal einschüchtern. Er muss lernen, zwar nicht den Respekt vor dem Schauspieler zu verlieren, aber seine Scheu vor ihm zu überwinden. BSZ Kann man das lernen? Gibt es Tricks, wie man ein guter Regisseur wird?
Gruber Bisweilen schaue ich beim ersten Dreh meiner Studenten zu. Und immer wieder passiert da folgendes: Sobald die erste Klappe gefallen ist, geht der Regisseur zum Kameramann und will sehen, wie die Szene ausschaut. Der Schauspieler steht dann ratlos und verunsichert abseits. Ich mache dem Nachwuchs von Anfang an klar: Die allererste Zuwendung des Regisseurs verdient der Schauspieler.

Sich verlassen können

BSZ Was macht das ideale Verhältnis zwischen Regisseur und Schauspieler aus?
Gruber Es ist vom „face to face“ bestimmt, und eine solche Arbeitsbeziehung basiert ausschließlich auf Vertrauen. Das Wort „verlassen“ ist für mich ein Schlüsselbegriff, gerade wegen seiner Mehrdeutigkeit. Wenn ein Schauspieler in seine Rolle schlüpft, eine andere Person wird, muss er sich selbst verlassen. In diesem Prozess muss er aber wissen, dass da jemand ist, auf den er sich verlassen kann, während er sich selbst verlässt. BSZ Vertrauen vermitteln: Wie sieht da der Unterricht aus?
Gruber Es gibt Übungen, die mit der ganz alltäglichen Kommunikation zu tun haben. Letztlich geht es darum, jemanden zu schützen, nicht bloßzustellen, um Anerkennung und Wertschätzung. Wichtig ist die Aufmerksamkeit, die man jemandem schenkt, die präzise Beobachtung und Wahrnehmung.

Von Geheimdiensten lernen

BSZ Da spielt die „Body-Language“ eine wichtige Rolle, die auch Thema eines der CELIT-Workshops ist.
Gruber Die Körpersprache kommt in der Ausbildung des Regienachwuchses leider oft viel zu kurz. Da können wir von den Geheimdiensten lernen (lacht), denn die systematische Erforschung der Körpersprache war gemäß des Mottos „body never lies“ lange deren Sache. Sprache und Bewegung sind beim Film eng verschmolzen. Auf der Bühne stellt sich der Schauspieler erst hin, dann spricht er. Beim Film sagt er Wichtiges manchmal nebenbei, während er etwas tut. „Walking talking“ heißt das griffig im Englischen. BSZ All diese intensive Beschäftigung mit dem Schauspieler kostet Zeit. Die hat man im Produktionsalltag doch immer weniger. Szenen müssen im Vergleich zu vielleicht noch vor zwei Jahrzehnten heute in der Hälfte der Zeit im Kasten sein.
Gruber Stimmt. Aber an der HFF haben wir alle Zeit der Welt. Das ist eben das Privileg der Hochschule. „Draußen“ allerdings beklagen sich die Schauspieler in der Tat , dass sie immer weniger Zeit haben, etwas zu entwickeln. Mitunter gibt es da Strategien der Selbstausbeutung, um damit fertig zu werden. Zum Beispiel viele informelle Treffen jenseits der Drehtage, um zu üben. Ich habe das auch schon gemacht. Andere Regisseure lehnen das wiederum ab. Sie wollen, dass sich die emotionale Energie erst beim Dreh aufbaut und nicht schon vorher quasi verschenkt wird.

Der unheimliche Typ

BSZ Und dann gibt es ja auch die Konkurrenz durch das „Digiface“, den Schauspieler, der am PC geschaffen wird. Wie geht ein Regisseur eigentlich mit diesem „Partner“ um?
Gruber Spannend ist das Thema in der Hinsicht, dass inzwischen alle gut 400 Gesichtsmuskeln recht exakt erforscht sind und sich selbst feinste mimische Regungen digital nachformen lassen. Man schaut sich also wiederum den realen Menschen genau an und passt das Kunstgeschöpf diesem so weit wie möglich an. Allerdings macht das der Zuschauer das nur bis zu einem gewissen Grad mit. Je näher man an die identische Reproduzierbarkeit des Menschen kommt, desto fremder wird er einem wieder. Ja, geradezu unheimlich. Im Fachjargon spricht man vom „Uncanny Valley“, also vom unheimlichen Tal. BSZ Reizt es einen Regisseur nicht, mit so einem künstlichen Schauspieler zu inszenieren?
Gruber Es bleibt doch so, dass diese Figur nur das macht, was ich bzw. der Softwarespezialist ihr einprogrammieren. Ich muss also das Ergebnis vorher denken und die Figur danach kreieren. Menschen sind keine Logarithmen, die man berechnen kann. Sie sind unberechenbar, überraschen. Und das schätze ich über alles. Anders als beim Programmieren kann man da nichts falsch machen – nur anders. Und anders kann oft besser sein. BSZ Das muss ein Regisseur aber auch erste einmal zulassen können. Wie lernt man diese Souveränität beim Improvisieren?
Gruber Der Nachwuchs erkennt schnell das Dilemma: Einerseits muss der Regisseur vorbereitet am Set erscheinen, andererseits darf er nicht übervorbereitet sein, weil er sonst nichts mehr sieht. Einmal mehr betone ich, wie wichtig das Vertrauensverhältnis zu den Schauspielern ist. Interview: Karin Dütsch

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