Kultur

Aus, vorbei das Spektakel – jetzt kann es sich die Phantasie gemütlich machen. Eines der Wiesnzelte (Ausschnitt), das Michael von Hassel morgens um vier Uhr fotografierte. (Foto: Michael von Hassel)

04.09.2015

Vorglühen und Abkühlen

Michael von Hassels Fotografien leerer Wiesnzelte huldigen der Architektur und heizen die Phantasie an

Eine Kathedrale ist etwas besonderes. Sie ist Bischofssitz und hat damit eine hierarchische und regionale Zentralität. Deshalb gibt es nicht viele solcher Kirchen, die in der Regel obendrein architektonische Leitfunktion haben: In ihrer imponierenden Größe signalisieren sie auf Fernsicht Macht, im Innern gebieten sie ehrfürchtige Stille und Versenkung.
Versenkung! Ach, wie gerne würde man sich an einem der Biertische auf der Wiesn in eine Maß versenken – und ganz andächtig werden bei der Stille um einen herum! Ja, beten würde man glatt – dass auch ja keiner wieder reinkommt in diese um vier Uhr morgens fotografierten Oktoberfest Cathedrals, wie Michael von Hassel die Massenzelte bezeichnet. Er nennt sie so der erhabenen Zeltkonstruktion („Giga-Zweckbauten“) wegen und weil darin eine Art Ersatzreligion gefeiert werde.

Schwoam mas obe!

Naja, soviele Kathedralen wie Wiesnzelte gibt es in ganz Bayern nicht. Und religiös im Sinne vom Glauben an etwas Transzendentes, Jenseitiges, gar das Wirken übernatürlicher Kräften ist so ein Massenbesäufnis mit Maßkrugstemmen und Gegröle, schlimmstenfalls den Handgreiflichkeiten von Kraftprotzen, bestimmt nicht.
Aber: Schwoam mas obe, solche Haarspalterei um die auch schon mal als Biertempel Geheiligten, um die Gratwanderung zwischen Geistigem und Geistlichem.
Vielmehr zählt: Die Fotografien von Hassels  – er nennt seinen künstlerischen Blick „hyperrealistisch“ – zeigen die Zelte in einer geradezu asketisch-kühlen Aura, die alle Ablenkung vom baumeisterlichen Werk auszusparen scheint – ein Blick, der den Massen entgeht.
Aber eine solch optische Tabula rasa heizt ganz schön die Phantasie an: Nachdem die Augen staunend durch die Hallenkonstruktion und über die jeweils zelttypische Dekoration gewandert sind, nach vielleicht stummer Zwiesprache mit dem Münchner auf seiner Wolke im Zelthimmel, über das Dies- und Jenseits, will man mehr, und zwar was ganz Säkulares.
Wie bei einem abgefieselten Hendl-Gerippe stellt man sich das knusprige Fleisch vor, steigt einem der imaginierte Grillduft in die Nase, will man die Hand zur schäumenden Maß ausstrecken und zu summen beginnen: erst ein seeliges Patrona Bavariae, dann ein herzliches Prosit der Gemütlichkeit. Und das ganz ernst gemeint: Weil, das ist das raffinierte an dieser Ausstellung in der Münchner Rathausgalerie: Michael von Hassels in 1,25 mal zwei Metern Größe präsentierten Hallenfotos zeigen leere Theaterbühnen, auf denen man sich seinen Oktoberfestzelt-Besuch selbst inszenieren kann – mit soviel Hauptakteuren und Statisten, wie man selbst will. Und alle tun nur, was man ihnen sagt.
Herrlich! Eine ideale Art des Vorglühens – alternativ des Abkühlens nach einem Zuviel im Massenspektakel. (Karin Dütsch) 12. September bis 10. Oktober. Rathausgalerie, Marienplatz 8, 80331 München. Di. bis So. 11 – 19 Uhr.

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