Kultur

Malerisch lagern die Nixen in ihrem märchenhaften Wasserreich. (Foto: Marie-Laure Briane)

21.05.2021

Wie ein impressionistisches Gemälde

Live im Gärtnerplatztheater: So stilistisch prägnant wie in „Undine – ein Traumballett“ hat man Tanzchef Karl Schreiner noch nicht erlebt

Es mutet fast ein wenig unwirklich an: eine Tanzpremiere im Münchner Gärtnerplatztheater – live! Die 220 mit FFP2-Maske, Impfpass oder negativem Corona-Test gerüsteten Zuschauerinnen und Zuschauer spendeten denn auch begeisterten Applaus bei Karl Schreiners Undine – Ein Traumballett.

Geplant hatte der Tanzchef seine Kreation für November 2020. Die durch Corona erzwungene Wartezeit, so scheint es, hat seiner Vertanzung dieses schon in der Antike bekannten mythischen Stoffes nur gut getan. Es sieht ganz so aus, als habe sich Schreiner auch von Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 10 (hier in Michelle Castelettis Fassung für Kammerorchester) neu inspirieren lassen. Und die Geschichte der Undine, die ihr Lebenselement um der Liebe willen verlässt, hat die Choreografie ebenfalls geprägt.

Zu Beginn präsentieren sich die Männer – anzunehmen ist, dass es sich um Bauern und Fischer handelt – noch mit kantigem Macho-Gehabe. Aber bald sind Schreiners 17 Ensemble-Mitglieder – jetzt als das junge Landvolk, dann als Gemeinschaft der Wasserwesen – in einem unentwegten Bewegungsstrom quer über die Bühne: sie laufen, springen leicht, kreiseln und gleiten wie hingeschwemmt über den Boden. Ihre Körper schwingen weich auf- und ab, ihre Arme begleiten die Wellenbewegung.

Derart stilistisch prägnant hat man Schreiner noch nicht erlebt. Und es ist ganz eindeutig das gesamte Ensemble, das diesen Abend trägt, auch wenn Amelie Lambrichts und David Valencia als das ungleiche Liebespaar erkennbar sind. Tanzchef Schreiner folgt hier merkbar eben nicht handlungsgetreu den berühmten Kunstmärchen von Friedrich de la Motte Fouqué, Hans Christian Andersen oder Oscar Wilde. Seine Version hat dennoch eine Art Gliederung.

Alles in der Schwebe

Menschen und Wasserwesen sind durch transparente Hänger getrennt. Hochgefahren erlauben sie Begegnungen, herabgelassen schimmern sie düster wie ein nächtliches Wasserreich. Heiko Pfützners Bühnenbild, Peter Hörtners Lichtregie, dazu die wasserfarbenen, für die Nixen wellig weit schwingenden bodenlangen Kostüme von Caroline Czaloun-Moore ergeben mit der Choreografie ein impressionistisches Gemälde. Nicht nur in den malerisch am Boden lagernden Nixen, sondern in seinem ganzen Gefüge. Nichts wird hier realistisch dargestellt, alles bleibt lediglich angedeutet in der Schwebe.

Bei Schreiner folgt der Geliebte zwar seiner Undine ins Wasserreich – aber stirbt er dort? Oder wird er vielleicht doch noch von dem zarten Wasserfräulein gerettet, wie bei Andersen?

Undine ist jedenfalls auch hier eine Metapher für die Sehnsucht nach einer ganz großen, einer romantischen Liebe. Ob sie tatsächlich (er-)lebbar ist, diese Frage bleibt offen. In Schreiners Tanzversion des märchenhaften Stoffes sollte man nicht nachgrübeln, sondern sich einfach forttragen lassen von dem Fluss der Bewegung und Gustav Mahlers Musik, ganz in der engagierten Obhut des Staatstheaterorchesters unter Michael Brandstätter. Ob Mahler, der vor Vollendung der Sinfonie 1911 starb, in dieser Musik die Trennung von seiner Frau Alma verarbeitet hat? Sie soll eine Beziehung zu Walter Gropius begonnen haben.

Die Komposition, die in die Moderne drängt, hat aber durchaus auch bukolisch heitere Momente, treibt den Tanz rhythmisch an – und lässt letztlich im getragenen fünften Satz Verlorenheit spüren. Das regt zum Nachdenken an: in dieser Pandemie mit ihren Hygieneregeln, der auferlegten gesellschaftlichen Abschottung – die an diesem Abend in den transparenten Hängern angedeutet wird. In der schon allzu lange anhaltenden depressiven Selbstisolierung scheint Undine der richtige Traumstoff: Ein Loslösen von der Realität, eine Flucht in eine überirdische Liebe, die vollkommenes Glück verspricht und letztlich tragisch endet. Ein Märchen eben, in das man sich für kurze Zeit Welt- oder besser Virus-vergessen fallen lassen kann. (Katrin Stegmeier)

 

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