Kultur

Aufgrund von besonderen Veränderungen an dem Fallbeil, ist anzunehmen dass es sich bei dem Depotstück aus dem Bayerischen Nationalmuseum um jene Guillotine handelt, mit der auch die Geschwister Scholl hingerichtet wurden. (Foto: dpa)

07.03.2014

"Wir brauchen eine Ethik des Präsentierens"

Der neue ICOM-Präsident Michael Henker über Probleme im Umgang mit dem erst jüngst entdeckten Münchner Fallbeil aus der Nazi-Zeit

Klebt das Blut von Sophie und Hans noch an der Klinge? Können DNS-Forscher nachweisen, dass mit gerade diesem Fallbeil im Depot des Bayerischen Nationalmuseums die Geschwister Scholl enthauptet wurden? Soll man überhaupt danach suchen? Und wenn der Nachweis gelingt: Soll dann gerade deswegen der Vollstreckungsapparat ausgestellt werden? Oder gerade deshalb nicht? Wo soll „das Ding“ jetzt hin?
Anworten auf die Frage, wie man pietätvoll und zugleich mahnend der Opfer von Unrechtsregimen gedenkt, begleitet den Demokratisierungsprozess der deutschen Gesellschaft seit Jahrzehnten. Das Gedenken scheint professionalisiert, breit verankert – bisweilen hört man gar schon Murren über eine inflationär auswuchernde Gedenkkultur. Wächst also Gras über „die Sache“?

Schockartiges Aufwachen

Wenn man das, was sich in Bibliotheken, Archiven und Museen befindet, als „Gedächtnis der Gesellschaft“ begreift, dann schaut es allerdings derzeit so aus, als kehre ein partieller Komapatient aus seiner Bewusstlosigkeit zurück: Für den Museumsbereich hat schon der Fall Gurlitt das Aufwachen beinahe schockartig beschleunigt. Immer mehr Einrichtungen klopfen von sich aus ihre Bestände ab: Ist etwas darunter, das dort rechtmäßig nicht hingehört? Bei der Provenienzforschung steht momentan NS-Raubkunst schlagzeilenträchtig im Mittelpunkt.
Nun das Fallbeil. Unrechtmäßig erworben wurde es nicht – aber es ist doch ein Museumsstück aus der Geschichte des Nationalsozialismus, das zutiefst irritiert. Es schlägt eine neue Kerbe in das Thema – und spaltet die Lager derart, dass Kunst- und Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle umgehend zum Runden Tisch bittet.
Eigentum verpflichtet: Nämlich nicht nur dazu, die Besitzrechte zu klären. Sondern auch zum richtigen Umgang mit dem Besitz. „Wir müssen jetzt vielleicht eine Ethik der Präsentation erarbeiten“, überlegt Michael Henker, „als logische Erweiterung einer Ethik des Sammelns.“
So hatte ICOM Deutschland nämlich seine Jahrestagung 2010 programmatisch überschrieben. „Sammeln verbindet“ lautet auch das vom ICOM ausgegebene Motto für den Internationalen Museumstag am 18. Mai. Henker hat zum 1. Januar das Präsidentenamt der Standesorganisation übernommen, in der auch Richtlinien zu Grundsatzfragen im Museumswesen entwickelt werden. Brisant verspricht die gemeinsame Tagung der Kommittees aus Deutschland, der USA und Russland im September in St. Petersburg zu werden: Dann geht es um „Museen und Politik“.

Schmerzgrenzen ausloten

Die Diskussion um das Münchner Fallbeil kann Katalysatorwirkung haben. „Wir müssen Schmerzgrenzen ausloten“, sagt Michael Henker: "Wann muss man ein Artefakt ausstellen, um etwas zu verdeutlichen, weil Worte nicht mehr ausreichen, einen realitätsnahen Blick in die Vergangenheit zu vermitteln? Wann muss man darauf verzichten, weil es droht, nur Sensationslust zu befriedigen?“
Das Münchner Fallbeil: Grundlegend sei das erst einmal ein Instrument, mit dem eine Strafe vollzogen wurde, sagt Michael Henker, „es dokumentiert ein Kapitel Rechtsgeschichte.“ Die Guillotine war rechtlich legitimiert, „der Umgang damit quasi als Alltagsgegenstand war deshalb früher eher locker.“ Hinrichtungen wurden bis weit ins 19. Jahrhundert öffentlich vollzogen, manchmal regelrecht volksfestartig inszeniert.
Anders ist das, wenn die Hinrichtung unrechtmäßig stattfand, wenn obendrein die Termini des Heldenhaften und der hohen Gesinnung hinzukommen. „Dann kann sich so ein Fallbeil als Artefakt von besonders hoher ethischer Aussagekraft qualifizieren.“ Und bedürfe deshalb eines anderen musealen Umgangs als ein Fallbeil, mit dem Tausende Namenlose und Unbekannte hingerichtet wurden.
Wollte man das Fallbeil aus dem Depot des Nationalmuseums ausstellen, dann müsse das „würdig und angemessen“ sein, plädiert der ICOM-Präsident. Ein wesentliches Kriterium dafür könnte die Präsentation am authentischen Ort sein, beispielhaft zu sehen im Zuchthaus Brandenburg und der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee. In der JVA Stadelheim ist das heute nicht mehr möglich.
Das Fallbeil in einer musealen Dauerausstellung: „Welchen bildungspolitischen Mehrwert, welche Erkenntnis soll das bringen?“, wundert sich Michael Henker. „Brauchen wir überhaupt noch ein solch singuläres optisches Belegstück für die Erkenntnis, dass das Nazi-Regime unrechtmäßig, menschenverachtend und grausam war?“
Der promovierte Historiker und Kunsthistoriker überlegt zweifelnd: „Kann man damit heute überhaupt das Grauen von einst nachempfinden? Das Abstumpfen durch all die Tötungsroutinen in Shooter-Spielen lassen so ein Fallbeil doch eher als antiquierte Kuriosität erscheinen. Seine Bedeutung als Symbol für die grausame Konsequenz für die Aufrechten ginge verloren.“

In welches Depot?

Michael Henker macht keinen Hehl aus seiner Meinung: In einer Dauerausstellung hat das Fallbeil nichts zu suchen. Allenfalls in einer Sonderausstellung kann er es sich vorstellen, dann aber auch nur sensibel eingebettet in den rechtshistorischen Zusammenhang, in den gesamten Kontext der NS-Unrechtsgeschichte – aber keinesfalls unter besonderer Hervorhebung.
Am besten sei das Fallbeil momentan tatsächlich im Depot aufbewahrt, meint er: „Ein Depot ist keine Rumpelkammer, sondern wesentliches Teil unseres materiellen Gedächtnisses. Und mit allem, was dort hineinkommt, identifizieren wir uns. Es ist besonders erinnerungswürdig.“
Bleibt die Frage: In welchem Depot? Warum das Fallbeil ins Bayerische Nationalmuseum gebracht wurde, lässt sich nicht genau sagen. Vermutlich landete es dort, weil man nicht wusste, wohin sonst damit. Der zeitliche Sammlungsauftrag des Nationalmuseums lief allerdings mit dem Ende der Monarchie in Bayern aus.
Und so wird mit dem heiklen Fund einmal mehr deutlich, wie groß die Gedächntislücke in Bayerns Museumslandschaft klafft. Fast 100 Jahre bayerische Geschichte harren ihrer musealen Aufarbeitung: viel Arbeit für das Museum der Bayerischen Geschichte, das 2018 in Regensburg eröffnet werden soll. Und genau dessen Depot und nicht die Dauerausstellung sei der richtige Erinnerungsort für das Fallbeil, plädiert ICOM-Präsident Michael Henker. (Karin Dütsch) ICOM-Präsident: Auch ein politisches Amt Der ICOM (International Council of Museums) wurde 1947 gemeinsam mit der Unesco gegründet und ist die Standesvertretung von weltweit gut 20 000 Museen. Sitz der Dachorganisation ist Paris, von ICOM Deutschland Berlin. Seit 1. Januar ist Michael Henker Präsident von ICOM Deutschland, in dem gut 5000 der weltweit etwa 30 000 Mitglieder organisiert sind. Das Ehrenamt ist auf zwei Wahlperioden (insgesamt sechs Jahre) beschränkt. Dem Präsidenten stehen sechs Vorstandsmitglieder zur Seite. Der promovierte Historiker und Kunsthistoriker Michael Henker war stellvertretender Direktor am Haus der Bayerischen Geschichte, ab 2008 Leiter der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern und ist derzeit im Aufbaustab Sudetendeutsches Museum in München engagiert. Mit ihm steht der dritte bayerische Museumsexperte in Folge an der Spitze von ICOM Deutschland: Er folgt Klaus Weschenfelder (Direktor der Kunstsammlungen der Veste Coburg) und York Langenstein, Henkers Vorgänger als Leiter der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern. Das sei aber kein Erbhof, winkt Michael Henker ab und nennt ausschlaggebende Gründe: größte Mitgliederzahl, größte Vielseitigkeit und hoher Standard der Museumslandschaft. Seine ICOM-Präsidentschaft begreift Henker auch als politisches Amt: „Die Vertreter des ICOM sind an der Schnittstelle von Wissenschaft, Vermittlung und Politik. Sie wissen, wie man politische Unterstützung bekommt und auch erhält. Wichtig ist, die politischen Entscheidungsträger laufend zu informieren und zu beraten.“ Eines seiner Ziele als Präsident lautet: Einen institutionalisierten Austausch zwischen ICOM und Politik, am besten „ganz oben“ im Staatsministerium für Kultur und Medien der Bundesregierung zu etablieren – und zwar so, dass er über eine Legislaturperiode hinaus Bestand hat. Auch der Wunsch nach einer Umstellung von projektbezogener auf institutionelle finanzielle Förderung durch den Bund steht auf der To-Do-Liste des Präsidenten. () Abbildungen (Fotos: dpa) Würdevoll und angemessen sind Schlüsselbegriffe, wenn es um die Präsentation des Münchner Fallbeils geht. Das könnte möglich sein am authentischen Ort, wie die Beispiele im Zuchthaus Brandenburg (oben) und in der Gedenkstätte Berlin-Plötzensee (unten) zeigen. Eine vergleichbare Installation des Münchner Fallbeils in der JVA Stadelheim ist dagegen nicht mehr möglich.

Kommentare (1)

  1. Monster am 07.03.2014
    Das ist ein guter und wichtiger Artikel zu einem heiklen Thema. Man fragt sich, ob und wann der Roundtable des Staatsministers dazu tagt.
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