Kultur

Meister des historischen Instrumentenbaus: Andreas Spindler inmitten seiner Instrumente, die er Kunden quasi auf den Leib „maßschneidert“. (Foto: Tim Hufnagl)

09.09.2016

Zinken, Fideln und Schalmeien

Andreas Spindler fertigt in seiner Wernsdorfer Manufaktur Instrumente, die in früheren Zeiten populär waren

Kürzlich fragte die New York Times einen Spezialisten für „älteste“ Musik, wie man eine 3000 Jahre alte Lure spielt: „Keine Ahnung“, sagte Peter Holmes und probierte es einfach. Bis zu 30 000 Jahre alte Knochenflöten hat Andreas Spindler schon in der Hand gehabt: auch auf der Suche nach dem vielleicht richtigen Klang der Mittleren Steinzeit. Er verdient sein Geld allerdings mit nicht so alten Instrumenten: „Von der Romanik bis zur Renaissance“ ist das Spezialgebiet seiner 2015 eröffneten „Manufaktur Schloss Wernsdorf“. Auch da muss er, zum Beispiel zusammen mit den Computertomografen-Spezialisten der Frauenhofer-Gesellschaft Erlangen, erst einmal erforschen, wie die Instrumente des Mittelalters geklungen haben mögen, bevor er sie für seine bunt zusammengewürfelte Kundschaft rekonstruiert oder restauriert: Dudelsäcke, Schalmeien, gotische Harfen, Zinken, Pommern, Fideln.

Lebenstraum erfüllt

Andreas Spindler, Sohn des Bamberger Musikwissenschaftlers und Leiters der Capella Antiqua Bambergensis Wolfgang Spindler, ist Instrumentenmacher seit seinem 19. Lebensjahr. Er hat eine Lehre für Tasteninstrumente gemacht, hat das gelernt, was man in diesem Beruf unbedingt können muss: Drechslermeister. Jetzt, mit 52 Jahren, hat er sich zusammen mit seiner Familie den Lebenstraum erfüllt – eben diese Manufaktur auf dem Gelände von Burg und Schloss Wernsdorf südlich von Bamberg. Schon lange gibt es dort einen Treffpunkt der Gemeinde für „Alte Musik“, mit einem Dachboden-Konzertsaal und Konzertthemen aus dem Mittelalter. Die Instrumente von damals kennt man von ziemlich detailgetreuen Abbildungen (etwa aus der Manesse-Liederhandschrift). Aber wie sie klingen, das muss Andreas Spindler für jeden seiner individuellen Aufträge erst erforschen und festlegen. Er tut das interdisziplinär: Die Kirchenmalerei hilft hinsichtlich des Farbauftrags, mit der Archäologie erforscht er die Hölzer und Knochen, die damals verwendet wurden, und die Klangfarben der Materialien. Die Radiocarbonmethode ist heute weitgehend durch die computergestützte Analyse ersetzt, weil sie berührungs- und beschädigungsfrei den Instrumentenresten ihre Geheimnisse entlockt. Und Archäologen bringen manchmal eine steinzeitliche Knochenflöte zur Untersuchung des Klangs nach Wernsdorf, obwohl die eigentlich nicht zu Spindlers Rekonstruktionsrepertoire gehört. 35 bis 40 neue „alte“ Instrumente verlassen pro Jahr seine Manufaktur, die der Orangerie von Schloss Birkenfeld bei Ebrach nachempfunden ist. Für jedes Instrument übernimmt er auch den Service: Und so geben sich Dudelsackbläser von Mittelaltermärkten, für Mittelaltermusik entflammte Bankerinnen aus Frankfurt oder die vielen Musiker aus den an der historischen Aufführungspraxis orientierten Orchestern die Klinke in die Hand.
Andreas Spindler unterhält ein umfangreiches Lager für Materialien, die teils lange ablagern müssen: hauptsächlich Buchs aus Spanien oder der Türkei, einige Hölzer kommen aus Afrika, Elfenbein aus Altbeständen der Schnitzer oder das seltene Grenadill-Holz, dessen Ringe den Buchscorpus vor dem Zerreißen schützen.

Lebenslange Garantie

Ein Instrument aus der Manufaktur wird dem Besteller auf den Leib gemacht: auf seine Fingergröße, seine Armlänge ausgerichtet. Deshalb muss man bei Andreas Spindler zur Bestellung auch nach Wernsdorf kommen, muss auf einen Dudelsack mindestens ein halbes Jahr warten und hat ein Leben lang Garantie. Klar, dass so ein echter Spindler dann zwischen 800 und 20 000 Euro kostet und die Billig-Konkurrenz aus Fernost nicht zu fürchten braucht. Die wenigen Konkurrenten sind mehr Kollegen in Deutschland und stehen sich untereinander eher mit Rat und Tat zur Seite, als dass sie sich Kunden abjagen würden – wenn es etwa um eine Hotteterre-Flöte geht, die im Frankreich des 16. Jahrhunderts in Mode war und sich aus den Hähnen von Apfelweinfässern entwickelt hat. Oder um echte Jacobus-Stainer-Geigen aus dem 17. Jahrhundert, die lange Zeit berühmter und teurer waren als eine von Stradivari – und die Spindler jetzt restaurieren soll. Beim Rundgang durch das neue Manufakturgebäude wird der Aufwand klar, den die Herstellung von Spindler-Instrumenten und deren Service erfordert. Teils hat Andreas Spindler die Maschinen, hauptsächlich Drehbänke, dafür selbst entworfen, die vielen Bohrer und Meißel hängen säuberlich aufgereiht an den Wänden. Alles läuft über Strom aus der Geothermie.

Im Reich der Zauberharfen

Im Obergeschoss dieses lichtdurchfluteten Gebäudes werden die „Zauberharfen“ hergestellt: einfache Zupfinstrumente, die von krebskranken Kindern zusammengebaut werden. Seit 15 Jahren gibt es diese Instrumente von Wolfgang und Andreas Spindler. Eigentlich sind es nur die Halbfertigprodukte, die dann unter Leitung des Seniors von den Kindern zusammengefügt werden – und die sie spielen lernen. Wie ihm immer wieder bestätigt wird, eine wunderbare therapeutische Maßnahme, besonders in der Reha-Phase der Behandlung. Aber oft kommen Eltern, Geschwister mit dem Erkrankten auch länger als den einen, unbedingt nötigen Tag, übernachten in Wernsdorf und erleben die Welt der alten Musik ganz direkt und wie ein echter Instrumentenbauer. 30 Prozent der gesamten Produktion entstehen auf diese Weise, der Rest geht in den Verkauf an Therapie-Einrichtungen oder in die Familien. Die neue „Manufaktur Schloss Wernsdorf“ jedenfalls macht Spindler „jeden Tag Spaß, und man lernt jeden Tag dazu“. Auch für sein ganz auf die Familie ausgerichtetes Geschäftsmodell ohne Angestellte und mit genau den Räumlichkeiten, die er für den Instrumentenbau braucht: mit besonderer Klimatechnik, mit schwenkbaren Absauggeräten für den Bohrstaub, mit einer besonderen Nähmaschine für den Dudelsack und sein sämisch gegerbtes Leder. (Uwe Mitsching)

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