Kultur

Der eingebildete Kranke, umringt von scheinbar Besorgten (Antonia Münchow, Thomas Lettow, Florian von Manteuffel). (Foto: Sandra Then)

23.12.2019

Zum Kranklachen

Schräg und abgedreht: „Der eingebildete Kranke“ am Münchner Residenztheater

Allein schon diese Frisuren! Sie als haarsträubend zu bezeichnen, wäre fast eine Untertreibung. Wie starre Helme, Türme, Turbane kleben sie auf den Köpfen all dieser Tollhäusler, die als durchgedrehte Hysteriker-Clique mit umgehängten Handys und rotgeschminkten Augen über die Bühne des Münchner Residenztheaters toben. Die Damen tragen eine Art Ganzkörper-Strumpfhosen, in denen der Popo mit dicken Polstern unförmig ausgestopft ist (Kostüme: Vanessa Rust), und der Titelheld, der Hyper-Hypochonder Argan, läuft in weißer Feinripp-Unterwäsche samt Sockenhaltern herum. Dazu trägt er eine Allonge-Perücke wie Ludwig XIV., denn tatsächlich fungiert er quasi als Zentralgestirn seines Privatuniversums, als Krankheitsmittelpunkt, um den sich alles drehen muss. So auch die kongeniale Bühnenarchitektur (Andreas Auerbach): ein Turm, dessen eine Seite eine Show-Arena darstellt, während die Rückseite einen auf mehrere Etagen verteilten Backstage-Bereich zeigt.

Sie ist also nachgerade zum Kranklachen, die hinreißend schräge, schrille und total abgedrehte Molière-Sause, die uns der Autor Peter Licht und die Regisseurin Claudia Bauer hier verschreiben - einschließlich Kissenschlacht, Trampolinhüpfen und weißen Plüschkaninchen. „Der eingebildete Kranke oder Das Klistier der reinen Vernunft“ heißt Lichts rezeptpflichtige Adaption des Komödienklassikers.

Tuntiger Schlagerkönig

In der ist Argan kein reicher Bürger, sondern ein neurotischer Superstar aus der Pop-Branche, der seine Crew und die Familie dazu mit Krankheitslaunen auf Trab hält. Florian von Manteuffel gibt ihn sehr komisch als tuntigen Schlagerkönig, der seine Entourage mit Divengehabe so nervt, dass alle hoffen, er würde wirklich bald abnippeln, wie er immer verkündet. Allen voran hofft das wegen der Erbschaft seine Gattin (Pia Händler), die schon den Notar („den Noti“) bestellt hat, mit dem sie nicht nur in geschäftlicher Beziehung steht.

Argans Töchterchen Angélique („Likki“) wiederum ist bei Antonia Münchow ein puppiges Pieps-Girlie mit Mickymaus-Frisur, aber wenn sie ein Lied ins Mikro kiekst, wird sie zum stimmgewaltigen Nina-Hagen-Verschnitt. Der Arzt Purgon („Purgi“), den Christoph Franken zur grandiosen Karikatur hochschraubt, wirft seine „Ibuprofenchen“ mit vollen Händen wie Smarties ins Publikum und belehrt uns, was man nach der gerade aktuellen Medizin-Mode alles (nicht) tun oder (nicht) essen soll, um gesund zu leben. Aber er selbst greift backstage gern mal zur Zigarette, wie überhaupt hinter Argans Rücken alle ständig qualmen, was per Live-Video auf einen Bildschirm übertragen wird.

Hintersinnige Hirnrissigkeit

Dass die Figuren als entfremdete Persönlichkeitshülsen steil überzeichnet sind, passt natürlich zum Milieu des oberflächlichen Showbusiness. Aber es folgt auch notwendig aus Peter Lichts genialen Sprachverwirbelungen. Denn der Autor parodiert hier - einerseits - das gängige Alltagsgeplapper mit seinen gedankenlosen Phrasen wie „alles gut“, „das geht gar nicht“ oder „wie geil find ich das denn“. An anderen Stellen wiederum kippt der Text genau in die entgegengesetzte Richtung um, in eine aberwitzig manierierte Künstlichkeit: „Die Nichtsogutgehung, die MEINIGE“, ruft Argan („Argi“), und der Chor deklamiert, „Denn der Schmerz ist ein Bäcker aus Deutschland“. Ja, gelegentlich schwingen sich alle hier sogar zu einem absurden Philosophieren von herrlich hintersinniger Hirnrissigkeit auf, wenn etwa die Rede ist von der „Gnade des ungefühlten Gefühls“.

Am Ende hat Argan dann im Glitzerlook seinen großen Auftritt, bei dem er an Seilen wie David Bowie in die Arena herabschwebt und singt - ehe er plötzlich zusammenklappt, auf den Boden abgelassen wird und dort mit leblos einknickenden Gliedmaßen wie eine Marionette zum Liegen kommt. Merke: Superstars sind auch bloß seelenlose, fremdbestimmte Puppen.  „Alles gut“, kann man da nur sagen. (Alexander Altmann)

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