Kultur

Konzert mit Krzystof Urbanski und Augustin Hadelich. (Foto:Tobias Hase)

28.06.2022

Zurück in die Zukunft

Das Festival „MPHIL 360°“ der Münchner Philharmoniker

Viel war geplant, als im vorigen Herbst der „Gasteig HP8“ in Sendling eröffnet wurde. Die Münchner Philharmoniker hatten eigentlich vor, das Areal und den Münchner Stadtteil umfassend zu bespielen. Daraus wurde nichts. Viele Pläne mussten coronabedingt abgeblasen werden. Der Rauswurf von Chefdirigent Valery Gergiev infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine war eine weitere Herausforderung.

Trotzdem haben es die Philharmoniker geschafft, eine spannende Ausgabe ihres Festivals „MPhil 360°“ zu schnüren. In diesem Rahmen haben sie auch nachgeholt, was sie grundsätzlich in Sendling vorhatten. Alles drehte sich um das Motto „Space Odyssey“. Passend hierzu haben die Philharmoniker als Auftakt in der Isarphilharmonie unter den jungen Dirigenten Krzysztof Urbański vor allem Werke gegeben, die Stanley Kubrick in seinem gleichnamigen Meisterfilm von 1968 verwendet hat.

Neben Also sprach Zarathustra von Richard Strauss gilt das für György Ligetis Atmosphères. Als Reflexion auf kosmische Unendlichkeit lassen sich die geräuschhaft und großflächig expandierenden Cluster-Klangtrauben auffassen. Im 2005 komponierten Violinkonzert Concentric Paths von Thomas Adès mit Augustin Hadelich als Solisten geht es im Kopfsatz „Rings“ nicht minder sphärenhaft zu: eine perfekte Überleitung zum weiteren Programm.

Kosmos und Natur

Es ging um Kosmos und Natur, wobei in zwei Podiumsdiskussionen auch die Nachhaltigkeit in den Fokus gerückt wurde. Die Philharmoniker sind dafür die richtigen Ansprechpartner, denn: Vor zwei Jahren haben sie das „Ökoprofit“-Zertifikat erhalten. In der deutschen Orchesterlandschaft sind die Münchner eine treibende Kraft auf diesem Gebiet, auch im Rahmen der bundesweiten Initiative „Orchester des Wandels“.

Leider kam nicht mehr heraus als das, was man ohnehin schon weiß. Eine erste Runde drehte sich um das Thema „Orchestertourneen in Zeiten des Klimawandels“. Alle, selbst Ronja Hofmann von „Fridays for Future“, waren sich darin einig, dass es Orchester-Tourneen weiterhin geben müsse. Gerade für Spitzenorchester wie die Philharmoniker sind auch Übersee-Reisen alternativlos.

So betonte Philharmoniker-Intendant Paul Müller die Dringlichkeit von internationaler Präsenz, Wettbewerbsfähigkeit und kulturellen Austausch. Auch über die Notwendigkeit von Alternativen zu Flugreisen innerhalb Deutschlands und Europas herrschte Einigkeit. Wie man dies erreichen kann, angesichts des maroden Bahnnetzes innerhalb Deutschlands, darüber herrschte indessen einmal mehr allgemeine Ratlosigkeit.

Verzicht üben

Da wurde wieder die Forderung aufgestellt, sich beim Reisen im Zweifel in Verzicht zu üben. Wie das beruflich bei einer Darbietungskunst wie die Klassik möglich ist, ohne diese Kunst gänzlich kaputt zu machen? Allgemeines Stochern in Nullaussagen und viel hohle Phrasen. Auch „Charter-Züge“ für Orchester sind laut Annette Lux von Luxreisen, eine führende Expertin für Orchesterreisen, unter den jetzigen Gegebenheiten keine wirkliche Alternative.

Sie benötigten schon planmäßig das Doppelte an Zeit im Vergleich zu regulären Zügen innerhalb Deutschlands. Noch dazu sei eine ordnungsgemäße Lagerung der empfindlichen Instrumente hinsichtlich Kälte- und Hitzeschutz nicht gegeben. Was zudem gerne vergessen wird: Auch tarif- und arbeitsrechtliche sowie musikermedizinische Rahmenbedingungen müssen erfüllt werden.

Denn Orchestermusik ist dem Hochleistungssport vergleichbar. Ruhephasen sind zwingend erforderlich, gerade auf Tourneen. Ein noch weiteres Feld war die zweite Runde über eine nachhaltige Gasteig-Sanierung und ihre Kosten. Diese Plauderstunde war im Grunde ziemlich sinnlos, denn: Gegenwärtig ist nicht einmal der Investoren-Findungsprozess abgeschlossen. Welche Konzepte konkret vorliegen werden und wer den Zuschlag erhält, das muss sich erst zeigen.

Kostendeckel

Daran ist letztlich auch gekoppelt, ob der Gasteig vor 2030 eröffnet werden kann und der Kostendeckel von 450 Millionen Euro eingehalten wird. Hierzu wollten sich erwartungsgemäß weder der Münchner Stadtkämmerer Christoph Frey noch Stadtrat Klaus Peter Rupp (beide SPD) nicht konkret äußern. Auch ob und wie es danach mit dem „Gasteig HP8“ weitergeht, blieb offen. 

Viele Forderungen und Visionen, aber nichts Konkretes: So gelingen gewiss weder eine nachhaltige Kulturpolitik noch ein nachhaltiger Klimaschutz, jedenfalls nicht in der harten Berufs-Praxis. Weitaus erhellender und spannender waren die vielen Formate, die von den Philharmonikern erprobt wurden: darunter ein „Symphonic Mob“ in der Halle E, dem großen Foyer der Isarphilharmonie.

Hier gaben Laien sowie Profis der Philharmoniker ein gemeinsames Konzert. Die Besetzung glich fast schon der „Symphonie der Tausend“ von Gustav Mahler. Felix Mayer führte diese Riesentruppe sicher durch den Musikkosmos. Vom Walzer An der schönen blauen Donau von Johann Strauss, ebenfalls bekannt aus Kubricks Odyssee im Weltall, ging es über den Gefangenenchor aus Giuseppe Verdis Nabucco bis hin zum Pomp and Circumstance von Edward Elgar.

Bestens funktioniert

Das alles hat bestens funktioniert, obwohl nur einmal kurz zuvor gemeinsam geprobt wurde. In einem Gesprächskonzert mit der Münchner Volkshochschule im Saal X führte wiederum der Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch unterhaltsam durch die Geheimnisse des Universums. Für die passende Musik sorgten Iason Keramidis und Victoria Margasyuk (Violinen) sowie Clément Courtin (Bratsche) und Shizuka Mitsui (Cello) von den Philharmonikern.

Als krönender Abschluss leitete Sonja Lachenmayr das Oratorium Die Schöpfung von Haydn, mit Profis und Nachwuchskräften. Das Fazit des Festivals: Die Philharmoniker wüssten ganz genau, wie man dieses tolle Areal in Sendling auch nach der Wiedereröffnung des Gasteig zeitgemäß bespielen kann. Vielleicht entwickeln auch andere große Orchester in München endlich eine ähnliche Experimentierfreude in der Musikvermittlung wie diese Truppe.
(Marco Frei)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Ist das geplante Demokratiefördergesetz sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.