Sie sind Kolleginnen und Freundinnen. Während des Studiums in Karlsruhe 2014 hatten sie sich kennengelernt. Inzwischen sind Darima Tcyrempilova und Hanna Asieieva fest angestellt im Bayerischen Staatsorchester in München. Seit 2018 streicht Tcyrempilova dort das Cello und Asieieva seit 2016 die Geige. Asieieva stammt aus der Ukraine, Tcyrempilova ist Russin. Gemeinsam mit Dmitry Mayboroda bilden sie das Trio Qualia. Der russisch-ukrainische Pianist wirkt als Korrepetitor am Bayerischen Staatsballett.
Der Krieg in der Ukraine hat ihre Beziehung nicht zerstört, im Gegenteil: Sie achten umso mehr aufeinander. Für Asieieva ist es gerade besonders schlimm. Ihre Mutter lebt in Kiew und befindet sich aktuell auf der Flucht. Auch für Tcyrempilova ist es alles andere als einfach.
Wann sie wieder nach Russland reisen kann, um ihre Eltern zu sehen, das steht in den Sternen. Aus ihrem Orchester erfahren beide sehr viel Unterstützung und Zuspruch.
Die Betroffenheit im Musikleben ist angesichts des Krieges in der Ukraine sehr hoch. Es werden Benefiz- und Solidaritätskonzerte veranstaltet. Auch Vladimir Jurowski, der Generalmusikdirektor der Staatsoper, mischt mit. Seine Familie stammt aus Russland und der Ukraine. „Ob Georgier, Armenier, Kasachen, Russen, Juden, Ukrainer – das waren alles Brüder und Schwestern“, betont er im Interview. In diesem Sinn möchte er das 4. Akademiekonzert des Bayerischen Staatsorchesters als „Plädoyer für den Frieden“ verstanden wissen.
Auch dem Georgischen Kammerorchester in Ingolstadt (GKO) geht der Krieg ganz persönlich nah. Nach einem Gastspiel in Norddeutschland war der Klangkörper 1990 geschlossen im Westen verblieben und hatte in Bayern eine neue Heimat gefunden. Auch Georgien war einst Teil der Sowjetunion, und das Verhältnis zu Russland ist ebenso seit Jahren angespannt – samt „Kaukasuskrieg“ 2008. Man sei „zutiefst betroffen und erschüttert“ über den „Angriff auf die Demokratie, die Souveränität, den Frieden und die Unabhängigkeit der Ukraine“ und verurteile dies „mit allen unseren Landsleuten“ auf das Schärfste, teilt der GKO-Vorstand mit. Man sorge sich „um die Menschen, die sich in der Ukraine und in Russland für Demokratie, Frieden, die Freiheit des Wortes und der Kunst und die Menschenrechte einsetzen“. Um ein Zeichen zu setzen, wird auch in Ingolstadt ein Benefizkonzert veranstaltet.
Wie stark der Krieg das Musikleben in Bayern bereits verändert hat, verrät der Blick nach München. Dort hat sich die Stadt von Valery Gergiev als Chef der Münchner Philharmoniker getrennt. Zuvor hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Tag nach Kriegsbeginn dem Stardirigenten aus Russland ein Ultimatum gestellt: Bis vergangenen Montag hätte er sich klar positionieren sollen. „Valery Gergiev hat sich trotz meiner Aufforderung, sich eindeutig und unmissverständlich von dem brutalen Angriffskrieg zu distanzieren, den Putin gegen die Ukraine und nun insbesondere auch gegen unsere Partnerstadt Kiew führt, nicht geäußert“, ließ Reiter nach Verstreichen des Ultimatums mitteilen. „Ich hätte mir erwartet, dass er seine sehr positive Einschätzung des russischen Machthabers überdenkt und revidiert. Das hat er nicht getan“, deswegen „eine sofortige Trennung“.
Verspätete Reaktion
Auch Katrin Habenschaden (Grüne), Zweite Bürgermeisterin Münchens und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Gasteig München GmbH, reagierte. Die Philharmoniker seien weltweit Botschafter Münchens. „Gergiev hält einem Kriegstreiber die Treue, wie soll er da weiter Dirigent unseres Orchesters bleiben können? Es befremdet mich, politische Bekenntnisse zu fordern, in diesem Fall war es notwendig.“ Man könne „gar nicht anders, als Gergievs Schweigen als Zustimmung zum Krieg seines Freundes Putin zu verstehen“, so Habenschaden. „Bereits die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland hatte er begrüßt, auch den Georgienkrieg, weshalb die Grünen 2018 im Stadtrat gegen sein Engagement in München gestimmt hatten – damals leider als einzige große Fraktion.“ In den letzten Tagen hätte sich Gergiev „für die Musik und gegen den Krieg“ entscheiden können: „Er hat es nicht getan.“
Mit dem Rausschmiss machen es sich Reiter und die gesamte Stadt allerdings viel zu einfach. Schon das Ultimatum des OB wirkte mehr wie eine leidlich verspätete Reaktion. Tatsächlich hatten Mailand und die dortige Scala bereits zu Beginn des Krieges von Gergiev eine offene Distanzierung von Putins Angriffskrieg verlangt. Auch die Wiener Philharmoniker hatten frühzeitig ein Gastspiel mit Gergiev in New York umbesetzt. Vor allem aber wirkt das Agieren Reiters unglaubwürdig, weil es schon viel früher massive Probleme gab, wie auch Habenschaden skizziert.
Unterschiedliche Maßstäbe
Schon seit 20 Jahren sind Gergievs freundschaftliche Beziehungen zu Putin bekannt. Was Habenschaden als Grünen-Politikerin erstaunlicherweise nicht erwähnt: Auf einer Pressekonferenz in München im Herbst 2013 relativierte der damals noch designierte Philharmoniker-Chef homophobe Gesetzgebungen in Russland. Jetzt die Reißleine zu ziehen und dafür auch noch Münchens Partnerstadt Kiew heranzuziehen, kann von eigenem Versagen nicht ablenken. Schon bei der Krim-Annexion hatte die ukrainische Gemeinde Münchens heftig protestiert, ohne dass sie damals ernsthaft gehört worden war. Rund ein Jahr später konnte Gergiev sein Amt in München offiziell antreten, ohne nennenswerte Gegenreaktionen aus der Politik.
Dieter Reiter und Katrin Habenschaden müssen sich ebenso wie ihre Parteien viele Fragen gefallen lassen. Wieso wird Valery Gergiev rausgeschmissen, während Altkanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder (SPD) weiterhin durch lukrative Verträge mit Russland verbunden ist? Wieso braucht die Bundesregierung nach Kriegsbeginn drei lange Tage, um sich selber klar zu positionieren? Mit der strikten Weigerung, Waffen an die Ukraine zu liefern, sowie dem Swift-Veto war Deutschland in den ersten Tagen innerhalb der Nato und der EU faktisch isoliert.
Vor diesem Hintergrund von einem Dirigenten eine klare Positionierung einzufordern, grenzt an Scheinheiligkeit.
Gleichzeitig übergehen Reiter und Habenschaden, was Gergiev künstlerisch für München getan hat. Diese Leistungen sind sichtbar zum Beispiel in Gestalt der Isarphilharmonie. Er hatte sich unermüdlich für sie eingesetzt und zudem Starakustiker Yasuhisa Toyota gewonnen. Wie die Stadt aus einem millionenschweren Vertrag herauskommen möchte ohne finanzielles Fiasko, das bleibt vorerst ein Geheimnis. Ob das Nichtäußern von Gergiev oder gar ein Redezwang überhaupt eine fristlose Kündigung rechtfertigen, ist ebenfalls ungewiss.
Am Tag der fristlosen Kündigung Gergievs erteilte zudem der Münchner Staatsopernintendant Serge Dorny der Starsopranistin Anna Netrebko eine Absage: wegen einer „fehlenden ausreichenden Distanzierung“ vom Krieg, lässt er twittern. „Als Kulturinstitution ist für uns der Respekt füreinander, Integrität zueinander und Dialog untereinander absolut essenziell“, heißt es weiter.
Indessen war es Dorny, der im September an der Staatsoper in Sachen Corona-Politik einen fragwürdigen Kurs gefahren ist. Während für Festangestellte die 3G-Regel galt, mussten freischaffende, externe Kräfte mit harten 2G-Regeln leben. Wo bleibt da der Respekt und vor allem die Gleichheit?
In Gesinnungshaft
Im Gegensatz zu Gergiev hatte sich Netrebko zudem klar gegen den Krieg ausgesprochen. Dass sie sich gleichzeitig als „unpolitisch“ bezeichnete, obwohl auch sie in der Vergangenheit die Politik Putins verteidigt hatte, das war falsch. Wenn Netrebko aber schreibt, dass man niemanden zu politischen Äußerungen in der Öffentlichkeit zwingen dürfe, so geht dieser Punkt an sie.
Wie aufgeheizt die Stimmung inzwischen ist, davon weiß auch ein russischer Musiker zu berichten. Er spielt in einem großen Sinfonieorchester in Bayern und möchte seinen Namen nicht nennen. „Was macht dein Land in der Ukraine? Warum führt ihr Krieg?“, wurde er auf Facebook in einer Nachricht gefragt. „Diese Frage musst du Putin stellen“, erwidert der Musiker – und ist schockiert, dass er quasi in Gesinnungshaft genommen wird. Solche Berichte mehren sich zusehends.
„Es ist sehr wichtig, dass wir gerade jetzt die Einigkeit zwischen uns Menschen nicht vergessen“, fordert deshalb Darima Tcyrempilova. „Welche Staatsbürgerschaft man hat, sagt nichts über die eigene Haltung und Menschlichkeit aus. Wenn wir die Welt nur in Schwarz und Weiß sehen, unterstützen wir selber den Krieg. Das dürfen wir nicht zulassen.“ (Marco Frei)
Abbildung:
Darf man überhaupt jemanden zu einer öffentlichen politischen Aussage zwingen? Die Entlassung Valery Gergievs wird wohl noch ein (teures) Nachspiel haben. (Foto: Tobias Hase)
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