Landtag

Laut einer Studie haben 73 Prozent der weiblichen Schwerbehinderten in Deutschland bereits körperliche Gewalt erlebt. (Foto: Getty)

31.10.2014

950.000 Euro für 38 Frauenhäuser

Schriftliche Anfrage der SPD: In den letzten fünf Jahren wurden im Freistaat 1200 behinderte Frauen Opfer von Gewalt – mehr Geld für Hilfseinrichtungen gibt es trotzdem nicht

Frauen mit Behinderungen sind besonders häufig von Gewalt und sexueller Belästigung betroffen. Zu diesem Ergebnis kam die Studie „Lebenssituation und Belastungen von Frauen mit Beeinträchtigungen und Behinderungen“ der Universität Bielefeld im Auftrag des Bundesfamilienministeriums. Laut Autoren setzt sich die in Kindheit und Jugend erfahrene Gewalt häufig im Erwachsenenleben fort. So berichteten 90 Prozent der schwerbehinderten Frauen über psychische Gewalt und physisch verletzende Handlungen – im Bevölkerungsdurchschnitt sind es „nur“ 45 Prozent. Zudem haben 73 Prozent der weiblichen Schwerbehinderten körperliche Gewalt und 43 Prozent erzwungene sexuelle Handlungen erlebt. Im bundesdeutschen Vergleich liegen die Zahlen lediglich bei 35 beziehungsweise 13 Prozent. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Simone Strohmayr, wollte daher jetzt von der Staatsregierung wissen, wie viele Mädchen und Frauen mit Behinderungen seit 1995 im Freistaat Opfer von Gewalt wurden.

Das Familienministerium schreibt zwar in seiner Antwort, Staatsministerin Emilia Müller (CSU) nehme den durch die Studie aufgezeigten Handlungsbedarf sehr ernst. „Nachdem die Bereitstellung von Unterstützungsangeboten für von Gewalt bedrohte oder betroffene Frauen Teil der Daseinsvorsorge und damit in erster Linie Aufgabe der Landkreise und kreisfreien Städte ist, hat die Staatsregierung aber keinen bayernweiten Überblick über die Details des regional vorhandenen Beratungs- und Hilfssystems.“

Statistiken zu Gewalttaten liegen ebenfalls erst ab 2009 vor. Nach Angaben des Müller-Ressorts schwankte die Zahl der behinderten weiblichen Opfer seitdem zwischen 230 und 256 pro Jahr. Wie viele davon in Heimen oder Frauenhäusern leben, kann das Ministerium mangels personenbezogener Daten ebenfalls nicht beantworten. „Fälle von Gewaltanwendungen werden aber sofort bei Bekanntwerden durch die Aufsichtsbehörden an die zuständige Staatsanwaltschaft weitergeleitet“, versichert ein Fachsprecher.

Ein weiteres Problem ist die Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die mangelnde Barrierefreiheit der Frauenhäuser. Derzeit habe sich im Freistaat nur eines von 38 auf Behinderte spezialisiert. Ein weiteres sei gut und 21 lediglich teilweise für Rollstuhlfahrerinnen geeignet. „Nach Auskunft der Freien Wohlfahrtspflege sind circa vier weitere behindertengerechte Plätze in Bayern geplant“, betont das Ministerium. Die Frauenhäuser in München, Ingolstadt und Würzburg sollen modernisiert werden. Geld von der Staatsregierung gibt es dafür nicht – sie beteiligt sich lediglich an den Personalkosten.

Finanzielle Unterstützung für Zusatzausbildungen steht ebenfalls nicht zur Verfügung. „Derzeit werden die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel vollumfänglich für die Regelförderung der Frauenhäuser und Notrufe und die Wanderausstellung ’Blick dahinter – Häusliche Gewalt gegen Frauen’ benötigt.“ Allerdings gebe es einen Sozialfonds, aus dem im Rahmen des Projekts „Prävention und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen“ 90 000 Euro für Fortbildungsmaßnahmen vorgesehen sind. Darüber hinaus werde das Familienministerium noch im Herbst eine bayernweite Bedarfsermittlungsstudie zum Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen und Kinder in Auftrag geben. Im Herbst 2015 sollen dann mit den kommunalen Spitzenverbänden und der Freien Wohlfahrtspflege die Handlungsfelder diskutiert werden.

SPD-Frauenpolitikerin Strohmayr dauert das zu lang. „Die Zuschüsse für Frauenhäuser wurden in 20 Jahren nur ein einziges Mal erhöht“, schimpft sie. Insgesamt habe der Freistaat im vergangenen Jahr nur 950 000 Euro für 38 Frauenhäuser ausgegeben. „Das ist für viele lediglich der berühmte Tropfen auf den heißen Stein." (David Lohmann) INFO: Hilfsangebote für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderungen

Mädchen und Frauen stehen im Freistaat verschiedene Beratungsangebote offen:
Frauennotruf Nürnberg: Die Einrichtung hat das Modellprojekt bUnt – barrierefreie Unterstützung für Frauen und Mädchen mit Behinderung ins Leben gerufen.
Netzwerkfrauen Bayern: Das Netzwerk von und für Frauen mit Behinderungen unter dem Dach der LAG Selbsthilfe Bayern bietet in Zusammenarbeit mit dem Frauennotruf München viele Beratungsangebote.
Wildwasser München: Die Fachstelle für Prävention und Intervention bei sexueller Gewalt hat als Schwerpunkt die Beratung von Frauen mit geistiger Behinderung oder Lernschwäche.
Projekt „Prävention und Hilfe für gewaltbetroffene Frauen mit Behinderung“: Herzstück ist ab März 2015 die beim Paritätischen Landesverband Bayern angesiedelte zentrale barrierefreie Service-Homepage.
LAG Selbsthilfe Bayern: Bei einem neuen Projekt sollen Frauenbeauftragte in Einrichtungen der Behindertenhilfe installiert werden. Start ist noch unklar.
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe: Gemeinsam mit der Frauenhauskoordinierung werden auf der Webseite www.frauen-gegen-gewalt.de zahlreiche Informationen angeboten.
Hilfstelefon „Gewalt gegen Frauen“: Die bundesweite Hotline ist rund um die Uhr unter 08000/ 116016 kostenlos und anonym erreichbar. Alle Berater sind geschult, in leichter Sprache zu beraten. Gebärdendolmetscher können bei Bedarf hinzugezogen werden. (LOH)

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