Politik

06.10.2022

Braucht Deutschland eine Vermögensabgabe wie nach dem Zweiten Weltkrieg?

Soll in Deutschland eine Vermögensabgabe wie nach dem Zweiten Weltkrieg eingeführt werden? Ates Gürpinar, stellvertretender Bundesvorsitzender der Linken, ist dafür - Herbert Kaltenhauser, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, hält dagegen

JA

Ates Gürpinar, stellvertretender Bundesvorsitzender der Linken

Die Vermögen sind in Deutschland sehr ungleich verteilt: 45 superreiche Haushalte besitzen so viel wie die gesamte ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen. Das reichste 1 Prozent besitzt mehr als ein Drittel des gesamten Nettovermögens.

Die Folgen von Corona und des Ukraine-Krieges verstärken die ungleiche Vermögensverteilung. Viele Reiche profitieren von den Krisen, während die Mittelschicht und Geringverdienende durch die gestiegenen Preise verarmen. Das Statistische Bundesamt warnt davor, dass die Armutsgefahr hierzulande so hoch ist wie nie zuvor. 14 Millionen Menschen leben in Armut. Zwei Millionen Menschen sind auf Lebensmittelspenden der Tafel angewiesen – in einem der reichsten Länder der Erde!

Nach langem Druck kündigt die Regierung endlich eine Energiepreisbremse an – 200 Milliarden Euro sollten endlich ein richtiger Schritt zur Entlastung der Menschen sein. Sie wird über Schulden finanziert, im Übrigen genau wie die 100 Milliarden für die Rüstung, die die Linke ablehnt. Wir brauchen aber noch weitere Mittel, etwa für die Sanierung der Schulen und Krankenhäuser, den Wohnungsbau, den Ausbau von Bus und Bahn und den Kampf gegen Armut.

Es ist naheliegend, starke Schultern über eine Vermögensabgabe auch stärker an der Bekämpfung der Folgen der größten Krisen seit dem Zweiten Weltkrieg und der Sanierung unseres Landes zu beteiligen. Die Vermögensabgabe ist übrigens nicht neu, sondern wurde bereits nach dem Zweiten Weltkrieg unter der konservativen Regierung Konrad Adenauers angewendet. Sie sorgte in der Nachkriegszeit für eine gerechtere Verteilung der Wiederaufbaukosten.

Die Linke fordert eine Vermögensabgabe, die die oberen 0,7 Prozent der Bevölkerung mit einem privaten Nettovermögen von zwei Millionen Euro beziehungsweise fünf Millionen Euro bei Betriebsvermögen mit einer einmaligen Abgabe belastet. Damit könnten langfristig rund 310 Milliarden Euro eingenommen werden, um Armut zu bekämpfen und in eine gute Zukunft für alle zu investieren.

NEIN

Herbert Kaltenhauser, finanzpolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion

Die Idee einer Vermögensabgabe stammt aus der Neiddebatte. Sie ist daher populistisch. Vor allem aber ist sie in ökonomischer Hinsicht strikt abzulehnen. Eine solche Abgabe würde die Substanz von Unternehmen erheblich schädigen. Denn das Kapital, das für die Abgabe fällig wäre, würde für dringend nötige Investitionen fehlen. Dies kann besonders für kleine und mittelständische Unternehmen existenzbedrohend werden. Der aktuelle Abschwung würde noch stärker ausfallen.

Und da für Sozialleistungen nur das vorher erwirtschaftete Geld ausgegeben werden kann, würde eine Vermögensabgabe zwangsläufig zu einer Verringerung von Sozialleistungen führen. Denn keinesfalls darf man mit neuen Schulden die nächsten Generationen belasten. Ein weiterer Punkt ist der Erhebungsaufwand. Dafür wäre zunächst zu klären, was generell unter Vermögen zu verstehen ist. Und man müsste festlegen, ab welcher Höhe die Abgabe und in welchem Umfang sie erhoben werden soll. Zudem muss die Erhebung praktisch durchführbar und netto ertragsbringend sein.

Meiner Einschätzung nach wäre eine Vermögensabgabe – ähnlich wie das Lastenausgleichsgesetz 1952 – mit einem enormen Bürokratieaufwand verbunden. Von neuen Ungerechtigkeiten ganz zu schweigen. Zudem sprechen auch psychologische Effekte gegen diese Abgabe. Das Vertrauen von Investoren und Sparern würde nachhaltig erschüttert werden, wenn die Vermögensbildung derart bestraft würde. Die Folge: Investitionen werden verlagert oder fallen ganz aus.

Hinzu kommen erhebliche rechtliche Bedenken. Die meisten Juristen halten eine Vermögensabgabe für verfassungswidrig.

Klar ist: Eine Vermögensabgabe ist ein Irrweg. Statt auf eine Umverteilungsdiskussion sollten wir uns gerade jetzt darauf konzentrieren, Anreize zu setzen. In der gegenwärtigen Situation würde die Vermögensabgabe wie ein Brandbeschleuniger wirken.

 

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