Bereits 2015 hat das Europaparlament beschlossen, das Asyl- und Migrationssystem zu reformieren. Neun Jahre später könnte es kurz vor der nächsten Europawahl im Juni so weit sein. Corinna Ullrich von der EU-Kommission gab jetzt Einblick in den noch unfertigen Vertrag. SPD und Grüne sorgen sich um humanitäre Standards.
Nach dem Tiefstand während der Corona-Pandemie sind die illegalen Grenzübertritte in der EU mit 330 000 auf den höchsten Wert seit 2016 gestiegen. Hinzu kommen 3,6 Millionen Aufenthaltsgenehmigungen. „Der Trend ist klar“, sagte Corinna Ullrich, Direktorin in der Generaldirektion Migration und Inneres der EU-Kommission, im Europaausschuss. „Es gibt eine Zunahme bei der irregulären als auch der legalen Migration.“ Darauf will die EU jetzt mit der Reform des europäischen Asyl- und Migrationssystems reagieren.
2022 gab es laut Ullrich in der EU 966 000 Asylbewerbungen. Die Top-Nationalitäten dabei waren syrisch (14 Prozent), afghanisch (13 Prozent) und türkisch (5 Prozent). Die meisten Asylanträge wurden in Deutschland (244 000), Frankreich (145 000) und Spanien (118 000) gestellt, im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße die meisten in Zypern, Österreich und Luxemburg. Die Gesamtanerkennungsquote lag laut Ullrich bei 49 Prozent, damit ist aber nur subsidiärer Schutz und kein echtes Asyl verbunden. Subsidiärer Schutz bedeutet, dass Betroffene weder Flüchtlingsschutz noch Asyl erhalten, sie aber bleiben dürfen, weil ihnen im Herkunftsland Schaden droht.
Die EU-Reform beruht auf vier Säulen. Erstens soll legale Migration erleichtert werden, um den Fachkräftemangel zu lindern. Zweitens sollen die EU-Außengrenzen besser geschützt und Einreisende registriert, kontrolliert sowie gesundheitlich untersucht werden – eine Lehre aus Corona. Wer die Außengrenzen umgeht und innerhalb der EU kontrolliert wird, soll nicht länger bessergestellt sein. Drittens soll die Zusammenarbeit mit Drittländern verstärkt werden, um Rückführungen zu vereinfachen. Viertens soll das Dublin-System durch ein neues System ersetzt werden, „weil es seit Jahren nicht funktioniert“. Das Dublin-Verfahren besagt, dass jeder Asylantrag innerhalb der EU nur einmal geprüft wird – in dem Land, in dem die Person europäischen Bodenbetritt.
Gleicher Schutz und gleiche Rechte bei Aufnahme, Erziehung, Schule und Sprache
Staaten sollen künftig mehr Zeit haben, einen Antrag auf Rücknahme der eingereisten Person zu stellen, oder können Geld zahlen, um keine Flüchtlinge aufnehmen zu müssen. Zusätzlich sollen Grenzverfahren beschleunigt werden. Beispielsweise durch eine sogenannte Fiktion des Nichteintritts. Es wird also so getan, als hätte die Person die EU offiziell gar nicht betreten. Dies betrifft laut Ullrich zum Beispiel Personen mit Sicherheitsrisiko oder aus Ländern, in denen die Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt. Spätestens im April sollen diese Regeln vom EU-Parlament verabschiedet werden.
Im Europaausschuss des Landtags nannte Gerhard Hopp (CSU) den Umgang mit Migration „eine der Schicksalsfragen für Europa“. Zur Entlastung der Kommunen sei eine Außengrenzsicherung mit Kontrollen unerlässlich. Viele EU-Staaten hätten die Grenzsicherung inzwischen selbst in die Hand genommen. Hopp wünschte sich, dass die EU künftig auch die Grenz- und Küstenwache Frontex personell stärker unterstützt und Migrationsanreize reduziert.
Gabi Schmidt (Freie Wähler) forderte, statt auf Bargeld EU-weit auf Guthabensysteme zu setzen. „Das funktioniert bereits in Ländern wie Jordanien, Griechenland und Finnland“, erklärte sie. Außerdem vermisste die Abgeordnete im Bericht die Lage von queeren geflüchteten Menschen. Sie hätten oft massive Gewalt erlebt und bräuchten bei der Unterbringung speziellen Schutz.
Cemal Bozoğlu (Grüne) begrüßte das neue Verteilungsverfahren, „weil einige Länder überproportional belastet werden“ und die Zustände in den Unterkünften entsprechend schlecht seien. Seine Fraktion hegt aber auch Bedenken gegen die Reform. Zum Beispiel, „dass die humanitären Standards an den Außengrenzen nicht eingehalten werden“.
Verhaltenes Lob kam von Markus Rinderspacher (SPD). Bei der Reform sei oft von „gemeinsamen Grundlagen“ und „Harmonisierung“ die Rede. Damit Menschen überall in der EU den gleichen Schutz und die gleichen Rechte bei Aufnahme, Erziehung, Schule und Sprache haben, müssten aber Mindeststandards definiert werden. Sonst könnten Schutz und Rechte je nach Mitgliedsland „up- oder downgesized“ werden, warnte Rinderspacher. (David Lohmann)
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