Landtag

„Wir sind nicht mehr der hundertprozentig bequeme Koalitionspartner“, sagt Florian Streibl. (Foto: dpa/Stefan Puchner)

16.02.2024

"Sicher schießt Aiwanger manchmal übers Ziel hinaus"

Florian Streibl, Vorsitzender der Freie-Wähler-Landtagsfraktion, über sinkende Umfragewerte, Demos gegen rechts und die Zukunft des Religionsunterrichts

Der Jurist Florian Streibl (60) fungiert seit 2018 als Chef der Freie-Wähler-Landtagsfraktion. Mit seiner feinen diplomatischen Art bildet er einen deutlichen Kontrast zum oftmals polternden Auftreten von Parteichef Hubert Aiwanger. Allem Anschein nach harmonieren beide gut.

BSZ: Herr Streibl, die Freien Wähler verlieren in Umfragen etwas an Zustimmung. Ist das „System Aiwanger“ ausgereizt?
Florian Streibl: So sehe ich das nicht. Aber klar ist, dass man nach der Phase der Demonstrationen in den vergangenen Wochen wieder zur Tagespolitik übergehen muss. Ich habe den Eindruck, dass die vielen Demonstrationen gerade der Landwirte in der Öffentlichkeit inzwischen etwas an Zustimmung verlieren.

BSZ: Hubert Aiwanger war auf unzähligen Demos, also „draußen bei die Leut“. Hätte das nicht einen Schub für die Freien Wähler geben müssen?
Streibl: Bei Landwirten und im Mittelstand hat uns das schon einen Schub gebracht, aber unsere Gesellschaft besteht eben aus sehr viel mehr Gruppen.

BSZ: Das heißt, die Menschen erwarten von einem Minister mehr als Dauerprotest?
Streibl: Wir sind gewählt für fünf Jahre und haben für diese Zeit Regierungsverantwortung übertragen bekommen. Wir haben geworben mit dem Slogan „Anpacken für Bayern“ – das müssen wir jetzt umsetzen.

BSZ: War die dosierte Aiwanger-Rede beim Politischen Aschermittwoch also nach Ihrem Geschmack?
Streibl: Ja, das war eine gute und ausgewogene Rede, die auch gut angekommen ist.

BSZ: Die CSU legt in Umfragen leicht zu. Ärgert Sie das?
Streibl: Ärgern nicht. Die Umfragen zeigen ja, dass die Koalition bei den Menschen stabil dasteht. Das freut mich. Ansonsten ist es wie immer: Mal legt die CSU etwas zu, mal die Freien Wähler.

BSZ: Warum haben Sie dann so dünnhäutig auf die CSU-Resolution für den ländlichen Raum reagiert?
Streibl: Weil ich da wirklich ein bisschen verärgert war. Denn den Führerschein mit 16 für Auszubildende auf dem Land, den hatten wir in die Koalitionsverhandlungen eingebracht. Und dann kommt das auf einmal als großes Überraschungspaket von der CSU. Ich meine, wir sollten den Koalitionsvertrag gemeinsam umsetzen. Vor diesem Hintergrund habe ich den Alleingang der CSU als unpassend empfunden.

„Wäre die SPD Koalitionspartner in Bayern, wäre sie auch nicht der Halleluja-Verein von Markus Söder“

BSZ: Das war ja nicht die einzige Reiberei zuletzt. Man kabbelte sich ums Faxen und eine Religionsstunde, um Stilfragen und Kompetenzen. Die SPD spricht schon von „100 Tagen Knatsch-Koalition“.
Streibl: Ach, da soll sich die SPD mal an die eigene Nase fassen. In Berlin steht die Ampel für mehr als 100 Tage Knatsch. In Bayern arbeiten wir gut zusammen. Dass man sich gelegentlich aneinander reibt und Grenzen austestet, das gehört dazu. Man muss auch sehen: Wir Freie Wähler sind gestärkt in diese Koalition gegangen und können auf fünf Jahre Erfahrung mit der CSU zurückgreifen. Dass wir nun nicht mehr der hundertprozentig bequeme Koalitionspartner sind, halte ich deshalb für völlig legitim. Wäre die SPD Koalitionspartner in Bayern, wäre sie auch nicht der Halleluja-Verein von Markus Söder.

BSZ: Gerade demonstrieren breite Bevölkerungsschichten gegen Rechtsruck und Intoleranz und für die Demokratie. Wie bewerten Sie das?
Streibl: Ich halte es für sehr wichtig, dass eine große Mehrheit in der Bevölkerung rechtsextremes Gedankengut, wie es auch von der AfD verbreitet wird, erkennbar ablehnt, dass eine große gesellschaftliche Rote Karte gezeigt wird. Wir befinden uns gerade an einem Kipppunkt. Würden die AfD und ihr Gedankengut immer stärker, wäre das zum Schaden für unser Land und unsere Demokratie in Gefahr.

BSZ: Würden Sie sich wünschen, dass Hubert Aiwanger dort auch einmal Flagge zeigt?
Streibl: Das würde ich äußerst begrüßen.

BSZ: Reden Sie mit ihm darüber? Auch über seine Wortwahl, wenn er nicht jugendfreie Begriffe verwendet oder politische Gegner in die Nähe von Geisteskranken rückt?
Streibl: Hubert Aiwanger hat oft eine sehr direkte Wortwahl, die aber auch breit verstanden wird. Nun ist es so, dass vielfach der Wunsch nach Politikern besteht, die das Herz auf der Zunge tragen und als Charaktere oder Originale gelten. Deshalb darf man sich dann nicht so arg beschweren, wenn es einen solchen gibt. Sicher schießt Hubert Aiwanger manchmal über das Ziel hinaus, aber er wird dadurch auch gut verstanden – positiv wie negativ.

BSZ: Macht er mit manchen Äußerungen AfD-Narrative nicht ein Stück weit salonfähig?
Streibl: Nein. Die AfD hat ihre Sprache, aber es geht zu weit, wenn man all das nicht mehr sagen dürfte, was irgendwann auch einmal ein AfD-Politiker gesagt hat. Da bekäme man am Ende eine reglementierte Sprache, die die Meinungsvielfalt einschränkt. Es soll der Wähler entscheiden, was er goutiert und was nicht. Ich würde manches sicher anders formulieren als Hubert Aiwanger, aber manche reden halt etwas deftiger.

BSZ: Wie erleben Sie allgemein die aktuelle Entwicklung der AfD?
Streibl: Positiv ist, dass die Bürgerproteste offenbar Wirkung zeigen und die AfD in Umfragen etwas verliert. Es stimmt mich aber schon nachdenklich, wie die AfD in manchen Bundesländern wie Thüringen zur stärksten Kraft aufsteigt. Wenn ich mir die neue AfD-Fraktion im Landtag anschaue, dann erlebe ich täglich, dass die kein besonderes Interesse an unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und an unserem Freistaat hat. Die wollen einen anderen Staat. Das bereitet mir schon große Sorgen.

BSZ: Wie stehen Sie zu einem AfD-Verbot?
Streibl: Da bin ich skeptisch. Es gab in der deutschen Geschichte auch schon ein Verbot der NSDAP, das nicht viel Wirkung gezeigt hat. Ich befürchte, dass ein AfD-Verbot deren Gedankengut nur noch beflügeln würde. Es könnte schnell eine Ersatzorganisation gegründet werden, die noch stärker als jetzt schon auf dem Opfer-Narrativ aufbaut.

BSZ: Was ist dann Ihre Strategie?
Streibl: Man muss die AfD demaskieren, indem man aufzeigt, was die Partei eigentlich will. Im Landtag nimmt sie ja schon kein Blatt mehr vor den Mund. Außerdem brauchen wir eine Politik, die den Menschen Sicherheit und Verlässlichkeit gibt. Wenn man Rahmenbedingungen gefühlt im Stundentakt ändert, so wie das die Ampel tut, wird Politik unglaubwürdig.

BSZ: Mit welchen Themen wollen die Freien Wähler in Bayern punkten?
Streibl: Indem wir verlässliche Rahmen für Bayern setzen. Das gilt in der Bildungspolitik genauso wie in der Wirtschafts- und Energiepolitik. Dafür stehen wir Freie Wähler mit unseren Ministerinnen und Ministern.

BSZ: Stehen Sie hinter Ihrer Kultusministerin Anna Stolz, die erwägt, bei Bedarf auch eine Stunde Religion für mehr Mathe und Deutsch zu opfern?
Streibl: Selbstverständlich stehe ich hinter unserer Kultusministerin, und sie wird sicher einen Vorschlag vorlegen, der allem gerecht wird. Der Religionsunterricht ist ein starkes Fundament für die Wertevermittlung in unserer Gesellschaft, das erhalten werden muss. Allerdings kann er das Elternhaus nicht ersetzen. Grundlage für jegliche Wertevermittlung ist jedoch das Beherrschen der Muttersprache. Diese Grundkompetenz gilt es zu stärken, und wenn möglich ohne Einschränkungen im Religionsunterricht.

BSZ: Zum Schluss ein Blick nach vorne: Wird die Bayern-Koalition die anstehenden Europa- und Bundestagswahlkämpfe überleben?
Streibl: Davon gehe ich fest aus. Es wird sicher manche Rangelei geben, aber wir wollen den Wählerauftrag bis 2028 erfüllen. Es darf nicht sein, dass Regierungen daran scheitern, dass ein Bundestags- oder Europawahlkampf geführt wird. Das wäre ein Armutszeugnis für beide Koalitionspartner. (Interview: Jürgen Umlauft)

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