Landtag

Gerald Pittner. (Foto: privat)

03.02.2023

Der Befreite

Im Porträt: der Freie-Wähler-Abgeordnete Gerald Pittner

Kaum zu glauben, dass ein Richter sich entscheidet, in die Politik zu gehen. Denn viel unabhängiger kann man in einem finanziell gut abgesicherten Job kaum sein. Richter*innen dürfen ihre Arbeitszeit völlig frei einteilen, und bei der Urteilsfindung quatscht ihnen – von Schöffengerichten abgesehen – niemand dazwischen.

Warum gibt jemand so etwas auf? Um ausgerechnet Abgeordneter zu werden, eine überaus zeitaufwendige Aufgabe mit vielen Terminen, die man keineswegs frei wählen kann. Und mit der Unabhängigkeit ist es auch so eine Sache. Denn dem „freien Abgeordnetenmandat“ steht die Partei- und Fraktionsdisziplin gegenüber – wer immer seinen Kopf durchsetzen will, hat’s schwer.
Der Freie-Wähler-Abgeordnete Gerald Pittner (62) kann das bestätigen. Er ist einer von vier Richtern im Landtag. Vor seiner Wahl ins Parlament im Jahr 2018 fungierte er ein Vierteljahrhundert lang als Richter am Amtsgericht Bad Neustadt an der Saale. Ein toller Job, bestätigt Pittner. Schon als Kind wusste er, dass er Richter werden wollte. „Das Königlich Bayerische Amtsgericht war eine meiner Lieblings-Fernsehsendungen, als ich klein war“, erzählt er.

Andererseits war Pittner eben auch schon immer an Politik interessiert. Doch aktiv dabei sein mochte er nicht: „Ich wollte als Richter nicht Mitglied einer Partei sein.“ Der Unabhängigkeit wegen. Es kam anders.

Das Königlich Bayerische Amtsgericht war seine Lieblingssendung

Dass er im Jahr 2007 den Freien Wählern beitrat, lag auch daran, dass diese damals noch keine Partei waren. Die Parteigründung erfolgte erst im Jahr 2010. Hubert Aiwanger hatte das damals forciert, was viele Freie Wähler gar nicht gut fanden. Es gab die Befürchtung, dass es nun mit der Unabhängigkeit vorbei war. Auch Gerald Pittner dachte so. Die Parteigründung, bekennt er, „hat mich nicht gefreut“. Im Nachhinein musste er feststellen, dass es natürlich Vorteile hat, wenn man als Partei die Landespolitik beeinflussen kann. Eine Gruppierung, die nur auf kommunaler Ebene aktiv ist, hat diese Möglichkeit nicht.

Einer bestimmten politischen Richtung habe er nicht angehangen, betont Pittner. In seinem Leben habe er praktisch alle Parteien schon mal gewählt, von den Extremen abgesehen. Man tut Pittner aber gewiss nicht Unrecht, wenn man ihn als eher konservativ bezeichnet. Während der Corona-Pandemie zählte er, zumindest anfangs, zu den Befürwortern von Söders Team Vorsicht.

Auch bei der Innen- und Migrationspolitik ist er näher bei der Union als bei der Berliner Ampel-Regierung. Die deutsche Asylpolitik hält Pittner jedenfalls für fatal. Dass sich Menschen ohne Asyltitel vielfach der Abschiebung widersetzen, dürfe nicht so bleiben, findet er. Pittner übt harsche Kritik daran, dass viele Asylsuchende nicht daran mitwirken, ihre Identität zu klären – Ergebnis: Sie können nicht abgeschoben werden. Pittner sagt: Wer nach Deutschland kommt und sich nicht ausweisen kann, soll in einer Unterkunft bleiben müssen, „bis die Personalien geklärt sind“. Den Staaten, die ausreisepflichtige Bürger*innen von Deutschland nicht zurücknehmen wollen, würde der FW-Mann die Entwicklungshilfe kürzen.

Pittners Engagement bei den FW begann im Neustädter Stadtrat, dem er seit 2008 angehört. Im Kreistag sitzt er seit 2014. Für den Landtag kandidierte er erstmals 2013, allerdings vergeblich. Fünf Jahre später klappte es dann. Warum er in den Landtag wollte? „Ich wollte wissen, wie Gesetze eigentlich zustande kommen“, sagt er.

Die Arbeitsweise im Landtag irritiert ihn

Von der Arbeitsweise im Landtag war er dann, vorsichtig ausgedrückt, überrascht. Dass so lange über bestimmte Sachverhalte geredet wird, war für den früheren Richter eine neue Erfahrung. Vor allem irritierte ihn, dass es dabei nicht immer um Hochwichtiges ging. „Als Richter“, gesteht er, „hätte ich da auf den Tisch gehauen und gesagt, jetzt noch 30 Sekunden, dann ist Schluss.“

Was ihn auch geschockt hat: dass es im Landtag keineswegs immer um Inhalte geht und darum, was das Beste für Bayern ist. Sondern häufig auch um Ideologie. Er fand „erschreckend, dass viele sachfremde Aspekte ins Verfahren einfließen“. Die Effizienz der Landtagsgremien, stellt Pittner nüchtern fest, „lässt zu wünschen übrig“. Eine Schlussfolgerung, die viele Abgeordnete unabhängig vom Parteibuch unterschreiben würden, wenngleich sie es nicht offen sagen.

Eine gewisse Enttäuschung über die parlamentarischen Abläufe ist auch der Grund dafür, dass der 62-Jährige nicht wieder für den Landtag kandidiert.Verlorene Jahre seien das aber überhaupt nicht gewesen, beteuert er. „Ich sehe die Zeit insgesamt positiv.“ Er habe einiges erreichen können. So freut ihn als Franken zum Beispiel die Gründung des Biodiversitätszentrums Rhön im Jahr 2019.
Auch wenn er es seiner Fraktion nicht immer leicht machte, schätzt man den sympathischen Pittner dort als gradlinig und humorvoll. Außerdem, lobt der Parlamentarische Geschäftsführer der FW-Fraktion, Fabian Mehring, sei Pittner „einer der fleißigsten Parlamentarier“ im Landtag.

Pittner ist Mitglied im Haushaltsausschuss und im Ausschuss öffentlicher Dienst. Vor allem die Arbeit im Haushaltsausschuss fand er toll. Denn dort wird das Geld für alle Politikbereiche verteilt, man kann also viel gestalten. Und die Diskussionen laufen überwiegend sachlich ab. Zuletzt gehörte er außerdem dem Untersuchungsausschuss Maske an. Das Gremium sollte unter anderem aufklären, ob Abgeordnete ihr Mandat missbrauchten, um sich wirtschaftliche Vorteile bei der Beschaffung von Corona-Schutzmasken zu verschaffen. Die Beweisaufnahme ist inzwischen abgeschlossen.

In den Richterberuf wird Pittner nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag nicht zurückkehren. Er nimmt finanzielle Einbußen in Kauf, um nächstes Jahr mit dann 64 Jahren in den Ruhestand zu gehen. Langweilig wird ihm nicht werden. Der Vater einer erwachsenen Tochter freut sich darauf, endlich mal wieder sein Motorrad auszufahren: eine BMW-Geländemaschine, mit der er und seine Frau, eine ehemalige Hebamme, früher regelmäßig unterwegs waren.

Und dann gibt’s da noch Hund Trixi, ein Jack Russell Terrier, um den er sich wieder mehr kümmern will. Trixi darf ihn auch begleiten bei seinen alljährlichen Single-Campingurlauben, die er nutzt, um Zeit für sich zu haben. Diesmal will er in Ruhe über die Zeit nach dem Landtagsdasein nachdenken. Also darüber, „was ich dann alles mache“. (Waltraud Taschner)

 

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