Landtag

2028 soll das erste BMW-Serienmodell mit Wasserstoff-Brennstoffzelle auf den Markt kommen. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

18.07.2025

"Der Markt verändert sich – mit oder ohne uns"

Wirtschaftsausschuss: Sachverständigenanhörung zum technologischen Wandel in der bayerischen Automobilwirtschaft

Die SPD-Fraktion hat gemeinsam mit den Grünen mit ihrem Minderheitenrecht gegen CSU und Freie Wähler eine Sachverständigenanhörung zum Stand der Transformation in der bayerischen Automobil- und Zuliefererindustrie sowie zu notwendigen staatlichen Unterstützungsmöglichkeiten durchgesetzt. Vor allem die Zulieferbetriebe stecken in einer tiefen Krise. Die Hersteller hingegen sehen erste Anzeichen der Erholung. Einig sind sich nahezu alle Fachleute: Angesichts des unumkehrbaren Wandels braucht es ein klares und verlässliches Bekenntnis der Politik zu alternativen Antriebsformen.

Die aktuelle Krise der Automobilindustrie trifft vor allem die Zulieferer. „Wir sind sehr pessimistisch“, sagt Peter Hummel von der Dräxlmaier Group. Die Umsatzzahlen lägen unter den Erwartungen. In Gesprächen mit Kunden müsse um jeden Cent gekämpft werden. Die internationalen Strafzölle seien für viele Zulieferer „existenzbedrohend“. Zwar habe die Staatsregierung sinnvolle Maßnahmen ergriffen, dennoch komme es zu Werksschließungen und Entlassungen. Statt Diskussionen über Technologieoffenheit forderte Hummel von der Politik ein klares Bekenntnis zur Elektromobilität.

Auch Roger Möbus von der Schaeffler Group beklagte einen zunehmenden weltweiten Wettbewerb. Durch Bürokratie und ein nicht technologieoffenes Umfeld habe Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verloren. „Hinzu kommt der weltweite Protektionismus, der unsere Lieferketten vor neue Herausforderungen stellt.“ Um die Transformation weg vom Verbrenner hin zu Elektroantrieben auch beim Personal zu beschleunigen, gebe es spezielle Fortbildungen und interne Umschulungsprogramme.

Thomas Regnet unterstützt mit dem Cluster Automotive bei Bayern Innovativ die Automobilindustrie bei neuen Trends. Er beklagte vor allem das sinkende Interesse an automobilnahen Studiengängen. An der Technischen Universität München kämen von den 480 Studierenden 320 aus Drittländern – die meisten davon aus China. Gleichzeitig wechselten hochqualifizierte Arbeitskräfte die Branche. Regnet wünschte sich eine Stärkung der Hochschulkooperation, eine bessere Förderung von Ingenieursberufen und eine Vereinfachung von Förderprogrammen.

Für den Automobildesign-Experten Gert Volker Hildebrand bedroht vor allem das EU-Verbrennerverbot den bayerischen Automobilstandort. Hinzu kämen die hohen Produktionskosten, die bürokratische Überlastung, der Fachkräftemangel und die hohen Energiekosten. Schuld daran sei eine „fehlgeleitete Energiewende“, „EU-Bürokratiemonster“, die einseitige Förderung einer „E-Auto-Blase“ und die CO₂-Bepreisung. „Die Deindustrialisierung ist im vollen Gange“, war Hildebrand überzeugt. Dabei sei die Automobilindustrie das Rückgrat Bayerns.

Mangelnde Lademöglichkeiten für E-Lastwagen und E-Busse

Benedikt Nesselhauf von MAN Truck & Bus bewertete die Lage positiver. „Wir sehen eine leichte Trendwende bei unseren Kunden und hoffen, dass die Investitionsbereitschaft wieder zunimmt“, sagte er. In seinen Augen gibt es wegen der hohen Effizienz keine Alternative zu nachhaltigen Antrieben. Gerade für elektrische Lastwagen und Busse gebe es aber in ganz Europa noch zu wenig Ladeinfrastruktur. „Trotzdem müssen wir Strafen zahlen, wenn wir unsere Flottenziele nicht erreichen“, unterstrich er. Auch müssten Entwickler sich zu viel mit überbordender Bürokratie beschäftigen.

Noch optimistischer in die Zukunft blickte die Leiterin von Mobilität Bayern Innovativ, Jennifer Reinz-Zettler. „Ich versuche, überall Chancen zu sehen“, unterstrich sie. Natürlich stehe man durch den technologischen Wandel, neue Verkaufskanäle, veränderte Kundenstrukturen und unsichere Lieferketten vor einem historischen Umbruch. „Aber die bayerische Automobilindustrie genießt international hohe Anerkennung.“ Bei den Zulieferern gebe es viele Hidden Champions, die Forschungslandschaft sei stark, neue Start-ups versprächen Innovationen und die politischen Strukturen seien gut.

Glenn Schmidt, Vizepräsident bei der BMW Group für Global Sustainability, griff die positive Stimmung auf. „Trotz aller Herausforderungen ist es wichtig, dass wir optimistisch und chancenorientiert bleiben.“ Der Automobilhersteller investiere jedes Jahr eine Milliarde Euro in Bayern – von Rückzug oder gar Deindustrialisierung könne also keine Rede sein. Das Unternehmen setze dabei sowohl auf Verbrenner als auch auf neue Technologien. 2028 kommt laut Schmidt das erste BMW-Serienmodell mit Wasserstoff-Brennstoffzelle auf den Markt.

Positiv blickte trotz Preisdruck und Konkurrenz auch Bettina Hölzle in die Zukunft, die bei Audi für die Außenbeziehungen verantwortlich ist. „Der Automarkt in Deutschland kommt gerade wieder in Schwung – vor allem im Bereich Elektromobilität.“ Im ersten Halbjahr seien über 35 Prozent mehr Elektroautos zugelassen worden als im Vorjahr. Im Juni habe inklusive Hybriden mehr als jede zweite Neuzulassung einen alternativen Antrieb gehabt. Hölzle wünschte sich von der Politik verlässlichere Rahmenbedingungen, niedrigere Energiepreise und eine bessere Ladeinfrastruktur.

„Wer den Wandel dem Markt überlässt, riskiert Arbeitsplätze“

Ulrich Schöpplein war als Konzernbetriebsratsvorsitzender bei Schaeffler der Arbeitnehmervertreter unter den Fachleuten. Er forderte die Politik auf, sich nicht länger an alten Technologien festzuklammern. „Wer glaubt, den technologischen Wandel allein dem Markt zu überlassen, nimmt Arbeitsplatzverluste bis hin zum Scheitern ganzer Unternehmen in Kauf.“ Der Förderstopp habe vor allem in Forschung und Entwicklung Stellen gekostet. „Der Markt wird sich verändern – mit oder ohne Europa.“

Der Abgeordnete Florian von Brunn (SPD) sah für bayerische Unternehmen zwei Schwierigkeiten: sich auf dem chinesischen Binnenmarkt zu etablieren und die aggressive Preispolitik der chinesischen Regierung beim Export. Außerdem wünschte er sich mehr Unabhängigkeit bei Batterien von China und nicht nur in München einen deutlichen Ausbau der Schnellladepunkte.

Barbara Fuchs (Grüne) fordert, den Fokus in der Industriepolitik stärker auf kleine und mittlere Unternehmen zu legen. Damit sie in Bayern bleiben, bräuchten sie gezielte Unterstützung bei Software, Chips und autonomen Systemen. Zusätzlich müssten Ausbildungsinhalte schneller an die neuen digitalen Anforderungen angepasst werden.

Für die stellvertretende Ausschussvorsitzende Kerstin Schreyer (CSU) war vor allem interessant, dass die Verlässlichkeit der Bundespolitik bei der Unterstützung von Elektromobilität eine so große Rolle spielt. Ihr Kollege Benjamin Miskowitsch (CSU) setzte sich dafür ein, dass Bayern seine Vorreiterrolle beim Thema Wasserstoff weiter ausbaut – wenn möglich auch im Schwerlastverkehr.

Henne-Ei-Dilemma bei der Wasserstoffinfrastruktur

Für Rainer Ludwig (Freie Wähler) hat die Anhörung eine dramatische Lage aufgezeigt. Er wies darauf hin, dass immer mehr Wasserstofftankstellen schließen oder erst gar nicht genehmigt würden. „Das ist das Henne-Ei-Problem“, erklärte er. Ohne Wasserstoffautos keine Tankstellen, ohne Tankstellen keine Käufer von Wasserstoffautos. Es sei daher gut, dass BMW jetzt den ersten Schritt mache.

Für die AfD werden Automobilhersteller immer abhängiger von der Politik in München, Berlin und Brüssel. „Die E-Auto-Prämie führt dazu, dass sich Konzerne auf eine subventionierte Förderstruktur verlassen, anstatt sich öffentlich gegen Verbrennerverbote auszusprechen“, kritisierte deren Abgeordneter Florian Köhler. Durch ein neues Bundesgesetz dürften jetzt auch Kommunen keine Dieselfahrzeuge mehr beschaffen. (David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwimmbäder manche Ausländer abweisen dürfen?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

BR Player
Bayerischer Landtag
Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.