Landtag

In den Rathäusern (das Foto zeigt Ingolstadt) wird über das künftige Kommunalwahlrecht gerätselt. (Foto: dpa)

20.10.2017

Ein ganz neues System soll her

Die CSU ärgert sich darüber, dass sie 2010 einer Änderung des Kommunalwahlrechts zugestimmt hat. Wie geht’s weiter?

Aha, das Ganze war also keine CSU-Idee: Warum seine Partei 2010 dem Wechsel weg vom Mandatsauszählverfahren nach d’Hondt hin zu jenem nach Hare-Niemeyer überhaupt zugestimmt habe, wenn es jetzt doch wieder retour gehen soll, wollte der SPD-Landtagsabgeordnete Harry Scheuenstuhl während der Expertenanhörung im Innenausschuss von seinen CSU-Kollegen wissen. Das habe die FDP, mit der man damals regiert habe, so gewollt, antwortete Manfred Ländner (CSU).

Man tut der CSU nicht Unrecht, wenn man sagt, ihre Dominanz in Bayerns Kommunen gründete bis 2010 auch auf dem Verfahren nach d’Hondt. Durch diese mathematische Formel werden größere Parteien begünstigt. Nach dem Wechsel zu Hare-Niemeyer zogen vor allem in die Stadträte der größeren Kommunen oft mehr als zehn verschiedene politische Gruppierungen ein. Neben neuen Parteien wie etwa den Piraten – obwohl die sich inzwischen weitgehend erledigt haben – gehörten dazu auch viele lokale Listen, einige davon nicht selten mit nur einem einzigen Vertreter. Wobei dies oft unzufriedene Ex-Christsoziale sind oder jedenfalls Menschen aus dem bürgerlich-konservativen Spektrum.

Diese Kleingruppen, klagt die CSU, würden die Arbeit in den Stadt- und Gemeinderäten nicht selten eher blockieren als bereichern. Zu allem und jedem, zu Dingen, die früher gern rasch und im Konsens gelöst wurden, gibt es nun deutlich mehr Anträge und sehr lange Redebeiträge. Inzwischen dauern Sitzungen bis spät in die Nacht. Mehrheiten kommen seltener zustande. Einigen dieser unabhängigen Räte geht es erkennbar auch nur um die persönliche Profilierung. All das sind Gründe dafür, warum die CSU-Fraktion zurück will zu d’Hondt.

Den letzten Anstoß dafür dürften die sieben Bezirkstagspräsidenten gegeben haben; sie sind derzeit sämtlich von der CSU gestellt. Anders als Landräte und Bürgermeister werden sie nicht direkt, sondern vom Bezirkstag gewählt. Wegen Hare-Niemeyer sind in diesen Gremien nun noch häufiger Mehrheiten jenseits der CSU möglich. Zumal in den Bezirkstagen Grüne, FDP-ler, Sozialdemokraten und Vertreter der Bayernpartei kaum ideologische Berührungsängste haben. Das einigende Ziel: Endlich und erstmals in der bayerischen Geschichte einen Bezirkstagspräsidenten durchsetzen, der nicht aus den Reihen der CSU stammt. Das wäre ein Fanal für das Ende der schwarzen Dominanz. Und das wissen die Christsozialen.

Doch die SPD und die Freien Wähler – die beide sogar eher von einer Rückkehr zu d’Hondt profitieren würden – , aber auch die Grünen wollten da nicht mitmachen. Sie ließen vor dem Innenausschuss des Landtags jetzt verschiedene Experten befragen: den Präsidenten des bayerischen Landesamts für Statistik, vier Jura-Professoren der Universitäten Augsburg, Marburg und Heidelberg, einen Politikwissenschaftler der Uni Erlangen, einen Mathematiker der Technischen Hochschule Deggendorf und die Vertreter der vier kommunalen Spitzenverbände in Bayern: Städtetag, Gemeindetag, Landkreistag und Bezirketag.

Kommt jetzt Sainte-Laguë?

Ärgerlich für die CSU-Fraktion: Keiner plädierte für eine Rückkehr zu d’Hondt. Da half es auch nichts, dass die CSU auf Nordrhein-Westfalen verwies, wo der Landtag vor einiger Zeit aus ähnlichen Gründen eine 2,5-Prozent-Hürde für die Wahlen zu den Stadt- und Gemeinderäten beschlossen hatte. „Dass Sie als CSU ein Beispiel aus einem damals noch rot-grün regierten Bundesland anbringen, überrascht mich“, spottete die Abgeordnete Eva Gottstein von den Freien Wählern. Ein Rechtswissenschaftler warnte, dass es in diesem Fall sogar zu einer Verfassungsklage von Vertretern der benachteiligten politischen Gruppierungen kommen könnte. D’Hondt würde den politischen Willen großer Teile der Bevölkerung einfach ignorieren.

Genüsslich rieben die Oppositionsvertreter ihren CSU-Kollegen unter die Nase, dass auch Horst Seehofer sich gegen eine Rückkehr zu d’Hondt ausgesprochen hat. Auch wenn dessen Meinung nicht zwangsläufig von Dauer sein muss, wiegt sie doch schwerer als die von CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, der sehr gerne zu d’Hondt zurück möchte. Ein Argument, das die Opposition zur Verteidigung des aktuellen Hare-Niemeyer-Verfahrens anführte: In Stadträten und Kreistagen werde in der Regel nicht so streng nach Fraktionsdisziplin abgestimmt wie im Landtag. Außerdem gibt es dort immer mal wieder Fraktionsaustritte und neue Listen. „Das ist eine Buntheit, die wir aushalten müssen“, bilanzierte SPD-Mann Harry Scheuenstuhl.

Alle Beteiligten waren sich indes darüber einig, dass auch das Hare-Niemeyer-Verfahren Nachteile hat. Bei diesem kann es unter anderem zu folgendem paradoxen Fall kommen: Eine Partei verliert bei einer Erhöhung der Gesamtsitzezahl im Stadtrat – etwa, weil es im Ort mehr Einwohner gibt – trotz gleichen Prozentanteils an Wählerstimmen einen Sitz. Ein weiteres Risiko von Hare-Niemeyer: Selbst die absolute Mehrheit der Stimmen einer Partei garantiert nicht die absolute Mehrheit der Sitze im Stadtrat. „Das aber muss gewährleistet sein“, so das Urteil der Juristen.

Als Kompromiss im Gespräch ist deshalb ein ganz neues, drittes Verfahren namens Sainte-Laguë. Auch die CSU kann sich dafür erwärmen. Es orientiert sich eher an Hare-Niemeyer, korrigiert aber dessen Fehler. Seit 2009 wird es auch für den Deutschen Bundestag praktiziert. Theoretisch möglich, aber derzeit nicht im Gespräch, wäre auch das US-Modell: Überhaupt keine Listen mehr bei Kommunalwahlen, sondern nur noch Einzelkandidaten. Und wer die meisten Stimmen bekommt, zieht in den Stadtrat ein. (André Paul)

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