Landtag

Im Plenarsaal fanden in dieser Legislaturperiode 152 Plenarsitzungen statt – zwölf mehr als zwischen 2013 und 2018. (Foto: Ralf Kruse)

06.10.2023

Eine Legislatur der Rekorde

Mehr Sitzungen, mehr Drucksachen, aber auch Rügen und Razzien: die Bilanz der letzten fünf Landtagsjahre

Wenn mit der Wahl am Sonntag die 18. Legislaturperiode des Bayerischen Landtags zu Ende geht, wird diese als eine historische in die Parlamentsannalen eingehen. Erstmals drängten sich sechs Fraktionen in den Plenarsaal des Maximilianeums, mit der AfD rückte eine neue Kraft ins Hohe Haus ein, die praktisch vom ersten Tag an Ton und Stil der politischen Debatte veränderte. Die Regierungsgeschäfte übernahm die neue Verbindung aus CSU und Freien Wählern, die von beiden Parteien „Bayern-Koalition“ getauft wurde. Am dramatischsten griff aber das Coronavirus in das Arbeiten und die Abläufe des Parlaments ein. Immerhin löste die Pandemie einen vorher nicht für möglich gehaltenen Digitalisierungsschub in der Volksvertretung aus.

Für den ersten Paukenschlag der neuen Legislaturperiode sorgte der Grünen-Abgeordnete Markus Ganserer. Nach jahrzehntelangen mit sich selbst ausgetragenen Zweifeln an seiner Identität als Mann entschied er oder besser sie sich, in ein neues Leben als Frau und Tessa Ganserer einzutreten. Ganserer war damit die erste Transgender-Person im Landtag, was neben allen Herausforderungen für sie und ihr Umfeld auch Neuland für die Geschäftsordnung des Parlaments war. In der Landtagssitzung vom 23. Januar 2019 bat Präsidentin Ilse Aigner (CSU) die Abgeordneten, Ganserer im persönlichen Gespräch fortan als Frau anzusprechen. Da der rechtliche Status Ganserers noch nicht geklärt war, firmierte sie auf Schriftstücken des Landtags zunächst als „Markus (Tessa) Ganserer“.

Am selben Tag sorgten Teile der AfD-Fraktion für einen weit über Bayern hinausreichenden Eklat. Im Rahmen einer Gedenkfeier für die Millionen Opfer des Nationalsozialismus in Deutschland verließen zusammen mit der damaligen Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner mehrere AfD-Abgeordnete während einer Rede der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens, Charlotte Knobloch, den Plenarsaal. Knobloch hatte erklärt, die AfD gründe ihre Politik „auf Hass und Ausgrenzung und steht nicht nur für mich nicht auf dem Boden unserer demokratischen Verfassung“.

Insgesamt gab es neun Fraktionsaustritte

Gut ein Jahr später nahm Corona den Parlamentsbetrieb in den Griff. Unter dem Eindruck einer rasch steigenden Zahl an Corona-Toten und auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfenden Menschen stellte sich der Landtag einmütig hinter die ersten von der Staatsregierung beschlossenen Corona-Schutzmaßnahmen sowie den kreditfinanzierten 10-Milliarden-Euro-Schutzschirm vor allem für das Gesundheitswesen, Unternehmen und Selbstständige. Zudem beschloss das Parlament bei nur einer Gegenstimme die Anpassung seiner Geschäftsordnung an die Notwendigkeiten der Pandemiebekämpfung. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hielt dabei die erste seiner insgesamt 14 Corona-Regierungserklärungen. Auf Druck des Landtags stellte die Staatsregierung ihre Corona-Verordnungen ab Mitte 2020 unter Parlamentsvorbehalt.

Über weite Teile der Pandemie tagte der Landtag in verminderter Besetzung, die Präsenzpflicht für Ausschusssitzungen wurde aufgehoben. Stattdessen konnten sich Abgeordnete über digitale Videokonferenzsysteme live in die Sitzungen zuschalten. Über diese Tools wurde auch die in der bayerischen Verfassung garantierte Öffentlichkeit der Sitzungen gewährleistet. Im Landtag selbst galten strenge Hygiene- und Zutrittsregeln, in den Tagungsräumen wie im Plenum wurden die Sitz- und Arbeitsplätze für in Präsenz anwesende Abgeordnete durch Plexiglasscheiben abgetrennt. „Unsere Demokratie befindet sich nicht im Shutdown, das Parlament ist und bleibt der Ort der Entscheidung über Gesetze – auch und gerade in der Krise“, betonte Präsidentin Aigner schon Anfang 2020.

Trotz der zeitweiligen coronabedingten Einschränkungen hat der Landtag in der 18. Legislaturperiode so viel gearbeitet wie nie zuvor. Es gab Stand Juli 2023 152 Plenarsitzungen, zwölf mehr als zwischen 2013 und 2018. Es fanden 31 Regierungserklärungen statt – 14 mehr als in der letzten Legislaturperiode. Außerdem 11 904 Parlamentarische Anfragen, das entspricht einem Plus von 1493. Und 10 179 Anträge, was einer Steigerung um 2678 entspricht. Nur die Zahl der behandelten Gesetzentwürfe ging um 16 auf 250 zurück. Dazu kamen 1203 Ausschusssitzungen, 190 Expertenanhörungen und -fachgespräche sowie vier Untersuchungsausschüsse. Erstmals seit Jahrzehnten trat in der Sommerpause 2023 der sogenannte Zwischenausschuss zusammen, der in der sitzungsfreien Zeit in dringenden Fällen einberufen werden kann. Grund war die Debatte um ein neonazistisches Flugblatt in der Schultasche von Vizeministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) im Jahr 1988 sowie dessen öffentliche Reaktion nach Bekanntwerden des Vorfalls im August.

In die Rekordbilanz der Legislaturperiode reihte sich einiges Unerfreuliches ein. So gab es 25 Rügen, so viele wie noch nie. Je eine entfiel auf die Fraktionschefs von SPD und Grünen, Florian von Brunn und Katharina Schulze, die sich in der Hitze der Wortgefechte zu unbedachten Äußerungen hinreißen ließen. Der Rest betraf die AfD, zum Beispiel für den Auftritt mit einer Gasmaske am Rednerpult, das unerlaubte Hochhalten von Plakaten, vor allem aber wegen beleidigender oder ehrverletzender Äußerungen. Rekord zudem bei den Fraktionsaustritten. Neun Abgeordnete kehrten den eigenen Reihen den Rücken. Auch hier war die AfD mit fünf Fällen Spitzenreiter, gefolgt von der CSU mit drei und der SPD mit einem. Bis auf Franz Pschierer (CSU), der direkt zur FDP wechselte, arbeiteten die übrigen Abtrünnigen als Fraktionslose weiter. Rekord auch die beiden Razzien, die das Hohe Haus erlebte. Eine betraf die Räume der AfD wegen des Verdachts auf Verletzung von Persönlichkeits- und Urheberrechten bei den Internet-Aktivitäten der Fraktion, die andere das Büro des in die „Masken-Affäre“ verwickelten CSU-Abgeordneten Alfred Sauter.

Neue Gesetze aus der Politik – und vom Volk

Die Affäre um die mit Millionen-Provisionen eingefädelte Beschaffung von Corona-Schutzmasken hat auch zu einer deutlichen Verschärfung des Abgeordnetengesetzes geführt. Parlamentarier*innen müssen nun unter anderem ihre Zusatzeinkünfte betragsgenau offenlegen. Untersagt ist ihnen bezahlte Lobbytätigkeit für Dritte sowie die Annahme von Geldspenden und von Vortragshonoraren im Zusammenhang mit der Tätigkeit als Abgeordnete. Neu eingeführt wurde zudem ein Lobbyregister, in dem sich alle Interessenvertreter von Verbänden und Vereinigungen eintragen müssen, die gegenüber Abgeordneten beratend oder informierend tätig sind.

Zu den wichtigsten vom Landtag verabschiedeten Gesetzen gehörten das lange diskutierte Hochschulinnovationsgesetz sowie das erste Digitalgesetz in einem deutschen Bundesland. Ins Werk gesetzt und nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch einmal überarbeitet wurde das neue Bayerische Klimaschutzgesetz, mit dem der Freistaat bis 2040 klimaneutral werden soll. Auch die bayerischen Bürger*innen haben per Volksinitiative die Verabschiedung eines Gesetzes angestoßen. Nach dem erfolgreichen Volksbegehren „Rettet die Bienen!“ einigte sich der Landtag mit großer Mehrheit auf ein darauf fußendes Arten- und Naturschutzgesetz. (Jürgen Umlauft)
 

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