Landtag

Viele Kunstwerke sind marode oder verschollen. (Foto: dpa/Puchner)

16.06.2023

Erstaunliche Ahnungslosigkeit

Der Freistaat weiß nicht, wie viel Kunst am Bau er besitzt – die Opposition ist fassungslos

Ein Antrag der Freien Wähler zur Kunst am Bau – nichts Aufregendes, denkt man. Doch der Antrag, die im Freistaat vorhandenen Objekte zu inventarisieren, hat es in sich. Der Gesamtbestand der Kunst am Bau ist nach wie vor unbekannt, viele Werke sind überwuchert, vergessen, in einem jämmerlichen Zustand.

Christine Mantel, Leitende Baudirektorin, die für das Ministerium für Wohnen, Bau und Verkehr dem zuständigen Ausschuss Bericht erstattete, musste den Abgeordneten gestehen, dass man immer noch „keinen Überblick“ habe über die vorhandenen Werke, die im Lauf der Jahrzehnte als Kunst am Bau angekauft wurden. Es stehe lediglich fest, dass ein „umfangreicher Bestand“ vorhanden sei. Aktuell habe man 1050 Datensätze erfasst, hinter denen sich durchaus mehr Kunstwerke verbergen könnten. Eine Studie zum verbesserten Umgang mit Kunst am Bau sei in Arbeit.

Natascha Kohnen (SPD) zeigte sich „fassungslos“ angesichts dieses Berichts: „Es kann doch nicht sein, dass wir über Jahrzehnte Kunst am Bau machen und dann nicht wissen, was wir haben!“ Die von Mantel in Aussicht gestellte Studie stimmte Kohnen nicht milder: „Warum machen Sie eine Studie zum verbesserten Umgang mit Kunst am Bau, wenn Sie gar nicht wissen, was da ist?“ Man könne doch nicht etwas beurteilen, wenn man die Grundlage nicht kenne.

Ursula Sowa (Grüne) blies unter den Missfallensbekundungen der Koalitionsvertreter*innen ins gleiche Horn: Es werfe „ein schlimmes Licht auf den Freistaat“, dass man bei der Kunst am Bau nach wie vor im Dunkeln tappe. Der Antrag der Freien Wähler, die vorhandenen Werke zu inventarisieren, stammt immerhin vom August 2021. Und allem zugrunde liegt eine „Beratende Äußerung“ des Obersten Rechnungshofs (ORH) vom November 2019.

Sowa nannte es „erfreulich“, dass das Ministerium dem Ausschuss Bericht erstattet habe und sprach vor allem dem ORH ihren Dank aus. Zugleich äußerte sie ihr Unverständnis, dass es seitdem keinen entscheidenden Fortschritt gegeben habe: „Es müsste doch möglich sein, binnen eines Jahres eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Kunst am Bau zu bewerkstelligen!“

SPD: "Es kann doch nicht sein, dass wir Kunst am Bau machen und dann nicht wissen, was wir haben"

Thorsten Schwab (CSU) versuchte vergeblich, die aufgebrachten Oppositionsvertreterinnen zu beschwichtigen. Man habe die Kunst am Bau im Rahmen der Gebäudeinstandhaltung sehr wohl im Blick und im Griff. Es sei doch „alles in der normalen Gebäudebilanz enthalten“. Und auch wenn es kein eigenes Inventar gebe: „Irgendwo steht es sicher.“ Es fehle nur noch, dass SPD und Grüne einen Untersuchungsausschuss zur Kunst am Bau verlangten. Dabei sei alles in bester Ordnung: „Da gibt es überhaupt keinen Skandal!“

Ziemlich nach Skandal indes klingt die gut 60 Seiten umfassende „Beratende Äußerung“ des ORH von 2019, die alles ins Rollen brachte. Der ORH hält dem Freistaat vor Augen, dieser verfüge „über einen unübersehbar großen Bestand von Kunst am Bau“. Dieser Bestand „wächst fortwährend, ist aber weder zentral inventarisiert noch monetär bewertet“. Auch für den ORH habe sich „eine genaue Anzahl der Objekte nicht ermitteln lassen“. Und dann folgt einer der Sätze, die Natascha Kohnen im Ausschuss nur zu zitieren brauchte: „Ohne Überblick fehlt jegliche Grundlage für eine ordnungsgemäße Verwaltung, Pflege und Instandhaltung.“

Das klingt zunächst pedantisch, hat aber ernsthafte Konsequenzen, wie der ORH unerbittlich feststellt: „Viele Kunstwerke des Bestandes sind in sehr schlechtem Zustand oder fristen ihr Dasein in einem für sie beschämenden Umfeld.“ Man stoße auch auf Werke, die schlicht nicht mehr vorhanden seien: „Zahlreiche Objekte wurden derart vernachlässigt, dass sie stillgelegt oder beseitigt wurden.“

Dutzende Fotos in der Beratenden Äußerung des ORH zeigen völlig verwahrloste Beispiele von Kunst am Bau. Die Kunstwerke sind teils so marode, teils so überwuchert, teils so zweckentfremdet, dass sie überhaupt nicht mehr als Kunstwerke erkennbar sind. Manchmal sind sie so gut wie verschwunden. Mantel bestätigt den ORH-Befund: „Man muss die Kunstwerke manchmal tatsächlich suchen.“ Es ergibt sich ein neues Forschungsfeld: eine Art Archäologie der modernen Kunst.

Das ist nichts Neues. 2010 wurden bei Straßenarbeiten in Berlin vor dem Roten Rathaus antik anmutende Skulpturen gefunden, die sich erst nach eingehender Analyse als Kunstwerke entpuppten, die keine hundert Jahre alt waren. Es handelte sich um moderne Kunst, die von den Nazis als „entartet“ beschlagnahmt, in Kellergewölben verräumt worden war und seitdem als verschollen gegolten hatte. Der „Berliner Skulpturenfund“ machte schlagartig klar, dass mittlerweile auch moderne Kunst ein Fall für Archäolog*innen sein kann.

Im Befund des ORH zeigt sich das in Dutzenden von Fotos von Kunst am Bau, die teilweise tatsächlich erst wieder ausgegraben werden müssten. Da ist ein nicht mehr als solches erkennbares „Brunnenbecken“ an der Uni Regensburg, „das von einer Plastik aus Carrara-Marmor überspannt wird“ – die nur noch als seltsam überwuchertes Gebilde erkennbar ist. Einst sprudelten aus dem Brunnenbecken vier kleine Fontänen, brachte der ORH in Erfahrung. Inzwischen macht es den Eindruck einer vergessenen Baustelle.

Ein anderer, längst ausgetrockneter Brunnen, ebenfalls an der Regensburger Uni, wird zwar wahrgenommen, aber nicht als Kunstwerk, sondern als Aschenbecher und Mülleimer. An der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Uni Erlangen-Nürnberg wurde dereinst eine Holzskulptur aufgestellt, die heute „ohne Kenntnis kaum mehr auffindbar“ ist. Die Uni Augsburg schmückte sich vor vielen Jahren mit einer Steinskulptur, die heute von einem Brennnessel-Biotop überwuchert ist.

Nicht nur Universitäten, auch Behörden und Anstalten wie Polizeiinspektionen, Gymnasien und Justizvollzugsanstalten sind erfolgversprechende Suchorte für vergessene, aufgegebene, entfernte oder zweckentfremdete Werke, die einmal als Kunst am Bau angekauft wurden. Da ist die Steinskulptur vor dem Wasserwirtschaftsamt Ingolstadt, die als Müllkippe missbraucht wird. Oder die Wandbilder in der JVA Niederschönenfeld, die mithilfe von Zimmerpflanzen und eines Getränkeautomaten zum Verschwinden gebracht wurden.

„Wie sieht es denn mit dem Landtag aus?“, wollte Ursula Sowa am Ende wissen. „Wir sitzen hier doch auch vor Kunst!“ Nicht zu übersehen: Auch im Saal S 401, in dem der Bauausschuss tagte, hängen Kunstwerke. Doch Christine Mantel musste hier ebenfalls passen: Auch die Kunst am und im Maximilianeum sei noch nicht vollständig erfasst. Was die Abgeordnete Sowa zu der abschließenden Bemerkung veranlasste: „Wir können aus dem Desaster nur lernen!“ (Florian Sendtner)

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