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Die Zahl der teilstationären Therapieplätze liegt in Bayern um 50 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt, bemängelt die SPD-Fraktion. (Foto: Getty)

11.04.2014

Immer mehr Bayern sind seelisch am Ende

Interpellation der SPD: Versorgung psychisch Kranker – es gibt zu wenig Therapieangebote

In Bayern steigt die Zahl der Menschen, die sich wegen psychischer Erkrankungen oder Suchtproblemen in Behandlung begeben, kontinuierlich an. Das geht aus der Antwort der Staatsregierung auf eine Interpellation der SPD-Fraktion hervor. Genaue Zahlen konnte das federführend zuständige Gesundheitsministerium aus statistischen Gründen aber nur für einzelne Bereiche vorlegen. So ist zum Beispiel die Zahl der Frühverrentungen als Folge psychischer Störungen von 1993 bis 2010 um 70 Prozent gestiegen.

SPD beklagt „Hilflosigkeit und Desinteresse“

Die Zahl der stationären und ambulanten Therapieangebote ist allerdings nicht in gleichem Umfang angewachsen. Indiz dafür sind wochenlange Wartezeiten für die Patienten. Gesundheitsministerin Melanie Huml räumte in der Debatte zur Interpellation ein, dass immer mehr psychiatrische Leistungen nachgefragt würden. Bayern verfüge dafür fast flächendeckend über ein „komplexes, hochdifferenziertes und gut ausgebautes System der psychiatrischen, psychotherapeutischen und psychosomatischen Versorgung“.

Weniger rosig zeichnete das Bild SPD-Gesundheitsexpertin Kathrin Sonnenholzner. Die Antworten auf die insgesamt rund 1000 Einzelfragen ließen an markanten Punkten „Hilflosigkeit und Desinteresse“ der Staatsregierung erkennen. So fehlten grundlegende Daten für den Gesamtbereich der psychiatrischen Versorgung und eine systematisch anwendungsbezogene Versorgungsforschung. Mit der Antwort sei die Chance auf eine umfassende Bestandsaufnahme und daraus zu ziehende Konsequenzen vertan worden. „Das Ergebnis ist dürftig, ernüchternd und enttäuschend“, urteilte Sonnenholzner. Die Antwort Humls zeige, dass „keinerlei Gestaltungswille vorhanden“ sei.

Sonnenholzner wollte der Staatsregierung in einzelnen Punkten Handlungsbemühungen nicht absprechen, allerdings zeigten die kaum Erfolg. Bei der Versorgung mit niedergelassenen Psychiatern, Nervenärzten und Psychotherapeuten gebe es in einzelnen Regionen Bayerns eine dramatische Unterversorgung, die Zahl der teilstationären Therapieplätze liege um 50 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt, ähnlich, aber weniger deutlich sei es bei der stationären Versorgung. Auf die Zunahme von Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen werden nicht angemessen reagiert. Keine Antworten gebe die Staatsregierung auf die allein wegen der demographischen Entwicklung steigende Zahl älterer Patienten mit psychischen Erkrankungen.

Nach Ansicht von Karl Vetter (Freie Wähler) habe Bayern noch einen „weiten Weg“ hin zu einer guten Versorgung psychisch kranker Menschen vor sich. Als Handlungsschwerpunkte zählte er die fehlenden teilstationären Plätze, die langen Wartezeiten, das „erschreckend hohe Durchschnittsalter“ der Therapeuten und die regionale Unterversorgung auf. Zur rechtlichen Absicherung des Schutzes betroffener Menschen forderte er nach dem Vorbild Baden-Württemberg ein Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz.

Auch Ulrich Leiner (Grüne) sah in vielen Bereichen „dringenden Handlungsbedarf“. Er ergänzte den oppositionellen Forderungskatalog um eine Reform des Maßregelvollzugs, ein verbessertes Beschwerdewesen und mehr Patientenrechte. Seine Fraktionskollegin Kerstin Celina warf der Staatsregierung „Politikverweigerung“ vor. Die Antwort auf die Interpellation enthalte viele Tabellen, aber keine fachlichen Interpretationen dazu. „Wenn der Staatsregierung nicht mehr Erkenntnisse vorliegen, dann sehe ich schwarz für eine zukunftsweisende Reform“, sagte sie.

Völlig anders bewertete Bernhard Seidenath (CSU) die 467 Seiten starke Interpellation. Mit dieser läge eine „umfassende Bestandsaufnahme und ein komplettes Bild der aktuellen Situation“ vor. „Die Antwort der Staatsregierung wird auf lange Sicht ein Nachschlagewerk für alle Fragen rund um dieses Thema sein“, erklärte er. Die Generalkritik der Opposition sei nicht nur „undankbar, hochnäsig und unhöflich, sondern letztlich auch unwürdig“. Seidenath hob unter anderem die zahlreichen Aktivitäten Bayerns in der Präventionsarbeit hervor, räumte in einzelnen Bereichen wie der regionalen Versorgung aber auch die Notwendigkeit von Nachbesserungen ein. Insgesamt sei die Versorgung psychisch kranker Menschen in Bayern aber „sehr spezialisiert und gut ausgebaut“, so Seidenaths Fazit.

Huml will eine Telefon-Hotline schaffen

Ministerin Huml betonte, die Versorgung der betroffenen Patienten sei in Bayern noch nie auf einem derart hohen Niveau gewesen wie heute. Die „Verwahrungspsychiatrie der Vergangenheit“ sei überwunden. „Wir modernisieren kontinuierlich die traditionellen Standorte, wir errichten dezentrale stationäre Strukturen, der komplementäre Versorgungssektor wird ausgebaut, bedarfsgerechte und wohnortnahe Angebote werden geschaffen“, zählte Huml auf. Ziel sei es, niederschwellige Hilfsangebote zum Beispiel durch die Einrichtung einer Telefon-Hotline zu verbessern und die Wartezeiten zu verkürzen. Huml warnte die Opposition davor, „die hohe Qualität der psychiatrischen Versorgung in Bayern zu zerreden“. (Jürgen Umlauft)

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