Landtag

Schwierige Gesprächsrunde: Tasos Telloglou, Ursula Münch, Evripidis Stylianidis mit Dolmetscher (von links). (Foto: Landtag/Poss)

30.10.2015

Innenansichten einer geprüften Nation

Akademiegespräch: Was griechische Experten über Politik und Gesellschaft in ihrer Heimat denken, blieb trotz hartnäckiger Nachfragen weitgehend nebulös

Ob sie es von vorneherein geahnt hat? Im Akademiegespräch gelte es nicht, die vorgetragenen Meinungen zu übernehmen, erklärte Ursula Münch dem Publikum vor Beginn der Veranstaltung, „sondern sich auf ihrer Grundlage eigene Gedanken zu machen“. Dazu bot das Akademiegespräch zum Thema „Politik und Gesellschaft in Griechenland“ ausführlich Gelegenheit.

Über „Innenansichten einer geprüften Nation“ referierten der ehemalige griechische Minister Evripidis Stylianidis und der Journalist und ehemalige Deutschland-Korrespondent Tasos Telloglou. Und bemerkenswert war, wie sich beide vehement den Versuchen Ursula Münchs widersetzten, das Gespräch auf eine höhere, analytische Ebene zu heben. Münch versuchte, mit klugen Fragen herauszufinden, wie es zu Griechenlands desolater Lage kommen konnte. Und sie wollte ihren Gesprächspartnern entlocken, wie der Weg heraus aus dieser Lage verlaufen könnte.

Vor allem Evripidis Stylianidis verfolgte allerdings seine ganz eigene Agenda. Sobald Münch eine Frage an ihn richtete, hob er sehr staatsmännisch zu einem Impulsreferat an, das kaum Neues hervorbrachte und selten auf die Frage einging. Das war überaus schade. Dass die Korruption das Land fest im Griff hat, beschreiben Fachleute mit dem feinen Wort „Klientelismus“. Münch wollte wissen, wie man ihm beikommen kann. Auf welche gesellschaftlichen Gruppen kann man in Griechenland hoffen? Wer ist motiviert, Reformen voranzutreiben? Wer leistet Widerstand, und was könnte man dagegen tun?

Stylianidis gab so gut wie nichts von sich, was man nicht längst in der Zeitung gelesen hatte. Dass die Griechen „ein stolzes Volk und keine Bettler“ seien. Dass Griechenland für seine Fehler „teuer bezahlt“ habe. Deutschland forderte der ehemalige Minister zu Investitionen in Griechenland auf, zum Beispiel „im Bildungssektor“. Was genau er sich darunter vorstellte, beschrieb er nicht. Eine Frage aus dem Publikum, warum Österreich mit gesamt 200 000 Beamten auskomme und Griechenland zu Hochzeiten eine Million Beamte beschäftigt habe, beantwortete Stylianidis mit den 3000 Inseln, die das Land zu verwalten habe.

Man soll sich ja hüten, von einem ehemaligen Minister auf eine ganze Nation zu schließen. Aber man konnte sich bei diesem Akademiegespräch schon die Frage stellen, ob die Art und Weise des Diskurses vielleicht mehr über Lage und Zukunft einer Gesellschaft aussagt als die vorgetragenen Positionen.

Auch Tasos Telloglou versuchte immer wieder, Münchs Fragen zu umschiffen. Er sprach über die Hunderttausende Flüchtlinge, die in Griechenland ankommen und in hohen Zahlen von dort weiterreisen – viele bis nach Bayern. Ein Thema, das auch Barbara Stamm umtreibt. Die Landtagspräsidentin hatte in ihrem Grußwort keinen Hehl daraus gemacht, dass der Freistaat an seine Grenzen komme. Sie sei nicht sicher, so Stamm „ob die veröffentlichte Meinung immer in der vollen Dimension darstelle“, wie viele Flüchtlinge wirklich derzeit Stunde um Stunde nach Bayern einreisten. Und damit wollte sie wohl andeuten, dass der Aufruhr unter den Bürgern größer wäre, würde jeder diese Dimension kennen.

Münch fragte Telloglou, ob es Griechenland helfen könne, wenn Deutschland sich nun auch direkt mit Flüchtlingsströmen auseinandersetzen müsse. Und deshalb vielleicht mehr Verständnis für die Nöte Griechenlands habe? Fast eine halbe Million Flüchtlinge sind bis dato auf der Insel Lesbos eingetroffen. Das Flüchtlingschaos, das Passau gerade erlebt, kennt Griechenland seit Jahren. Telloglou wollte aber lieber darüber reden, warum Europa eigentlich nicht die USA in die Pflicht nehme. Schließlich hätten die Vereinigten Staaten viel mehr als Europa mit den Kriegen auf der Welt zu tun, die derzeit Anlass zur Flucht geben. Eine durchaus interessante These. Nur hatte sie nur sehr bedingt mit dem Thema des Abends zu tun. Ursula Münch musste ihre beiden Gesprächspartner immer wieder einfangen.

So geriet dieses Gespräch für Publikum und Moderatorin zum Geduldsspiel. Man gewann den Eindruck, dass Griechenland mit dem jüngsten Rettungspaket Zeit gewonnen hat. Ob das Land diese Zeit nutzen kann oder nutzen will, blieb bestenfalls vage. Die allgemeine schlimme wirtschaftliche Lage ist bekannt. Siebenmal hat Griechenland jüngst die Steuern erhöht. Die Einkünfte sind um 40 Prozent gesunken. Steuern auf Immobilien sind heute 800 Prozent höher als vor Ausbruch der Krise.

Griechischer Teufelskreis

Schlimmer aber wirkt, dass Griechenland offenbar weiter kaum Anstrengungen unternimmt, seine reichen Einwohner regelgerecht zu besteuern oder zumindest eine arbeitsfähige Steuerverwaltung aufzubauen. Telloglou forderte, die zahlreichen sich widersprechenden Gesetze zu vereinheitlichen, um Beamten weniger Spielraum bei ihren Verwaltungsakten zu geben. Je mehr Spielraum, ließ Telloglou durchblicken, desto größer die Gefahr, dass Beamte weiterhin die Hand aufhalten.

Damit sich überhaupt etwas ändern könne, müsse die griechische Regierung hinter dem Reformprogramm stehen. Dies sei aber nur möglich, so Telloglou, wenn ihr das Programm nicht von Europa aufgezwungen werde. Ein eigenes Programm könne die griechische Regierung aber nicht auf die Beine stellen, da ihr dafür allein das geeignete Personal fehle. Ein Teufelskreis? Die Lösung liege, befand Stylianidis, „in einer Allparteienregierung, die dem Volk die Wahrheit sagt“. Es klang alles so, als müsse es immer noch schlimmer werden, bevor es besser werden kann. (Jan Dermietzel)

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