Landtag

Grünen-Abgeordnete Gülseren Demirel auf der Terrasse des Landtags. (Foto: loh)

01.03.2019

Kämpferin gegen Hass

Abgeordnete im Porträt: Gülseren Demirel (Grüne)

Gülseren Demirel kämpft für Toleranz, Inklusion, Chancengerechtigkeit und Weltoffenheit. „Ich will ein buntes Bayern“, ließ sie in großen Lettern auf ihre Wahlkampfplakate drucken. Demirel, 1964 in Ostanatolien geboren, kam in den 70er-Jahren als Kind türkischer Gastarbeiter nach Deutschland. Wer glaubt, diese Werte seien in unserer Gesellschaft selbstverständlich, sieht sich getäuscht. „So bunt kannst Du’s haben“, schrieben ihr Menschen auf Facebook und posteten Bilder von verprügelten Frauen mit blauen Flecken dazu. „Für manche bin ich eine Provokation. Für andere ist es ein Statement, mich zu wählen.“ Es ist ein Satz, den Demirel oft sagt, auch im Gespräch mit der Staatszeitung. Er klingt wie ein Mantra.

Was Diskriminierung und Verfolgung bedeuten, hat Demirel schon früh durch ihr kurdisches Elternhaus erfahren. Ihre Familie wurde 1938 aus dem kurdischen Dersim ins westtürkische Bursa deportiert. Aber auch soziale Not kennt die Abgeordnete. Mit 17 machte sie in Deutschland ihren Hauptschulabschluss, mit 22 Jahren wurde sie Mutter. Nach der Trennung von ihrem Mann stand Demirel da – alleinerziehend, ohne Job und ohne Wohnung. „Bloß nicht zum Sozialamt“, dachte sie sich damals. Also begann sie als Putzkraft bei der Münchner Arbeiterwohlfahrt (AWO). Diese Tätigkeit sollte die Weichen für ihre Politkarriere stellen.

Die AWO erkannte Demirels Fähigkeiten. Schnell stieg sie zur Sozialbetreuerin auf und kümmerte sich als Erziehungsbeistand um jugendliche Migranten. Parallel holte sie ihr Abitur nach und studierte Sozialpädagogik. 1995 trat sie den Grünen bei, um selbst etwas zu bewegen. Genervt, bei der Bundestagswahl als Türkin nicht stimmberechtigt zu sein, beantragte sie drei Jahre später die Einbürgerung – „ein Kraftakt“, erinnert sie sich. Der Nationalitätswechsel selbst war für Demirel keine große Sache. „Das Grundgesetz hätte ich auch ohne deutsche Staatsbürgerschaft sofort unterschrieben.“

Auch bei den Grünen übernahm Gülseren rasch Verantwortung. Von 2008 bis zum Einzug in den Landtag saß sie für die Partei im Münchner Stadtrat, ab 2012 als Fraktionsvorsitzende. Ihre Schwerpunkte erscheinen bei ihrem Lebenslauf nur logisch: Unterstützung für Familien und Alleinerziehende, bessere Bildungs- und Beteiligungschancen – nicht nur für Migranten. Außerdem setzte sie sich dafür ein, dass zum Beispiel türkische Rechtsextremisten wie die Grauen Wölfe in München keine öffentliche Unterstützung mehr bekommen. Die revanchierten sich, indem sie Demirel als „verlängerten Arm der PKK“ bezeichneten, der in Deutschland verbotenen kurdische Arbeiterpartei.

Das hatte weitreichende Konsequenzen. Für Demirel ist es seitdem zu riskant, in die Türkei zu reisen. Nicht nur wegen der offenen Fehde mit den Grauen Wölfen. Erst im Dezember wurde ein Münchner Kurde wegen kritischer Facebook-Posts in der Türkei festgenommen. Das Auswärtige Amt warnte Demirel, sie gehöre zur „gefährdeten Gruppe“. Das ist besonders tragisch, weil Demirels Mutter in der Türkei schwer krank ist. „Ich werde sie wohl nie mehr wiedersehen“, sagt sie. Es ist einer der wenigen Momente, in dem sie nicht ihren grenzenlosen Optimismus versprüht. Hätte sie politisch anders gehandelt, wenn ihr die Konsequenzen bewusst gewesen wären? „Nein, meine Haltung steht fest“, betont sie.

Beleidigungen im Netz: Für Demirel leider Alltag

Während Demirel den rechten Türken zu wenig türkisch ist, ist sie den rechten Deutschen zu wenig deutsch. „Seit zwei Jahren ist die Hemmschwelle in sozialen Netzwerken deutlich gesunken“, erzählt sie. Als Medien über ihre Landtagskandidatur berichteten, mussten sie wegen der Flut an Beleidigungen die Kommentarfunktionen auf ihren Webseiten deaktivieren. Demirel steckt so etwas weg, ihrer Familie fällt das schwer. Ihre Tochter schrieb einen offenen Brief, in dem sie von dem „unendlichen Hass“ gegenüber ihrer Familie berichtete. Demirel versuchte, sie davon abzuhalten, damit sie nicht auch zur Zielscheibe wird. „Wenn ich mit den Konsequenzen meiner politischen Entscheidungen leben muss, ist das meine Entscheidung“, sagt sie. „Ich will aber nicht, dass auch noch meine Tochter darunter leidet.“

Während die Trolle im Netz toben, hat Demirel beim Straßenwahlkampf ausschließlich positives Feedback erhalten. Entsprechend deutlich gewann sie ihr Direktmandat bei der Landtagswahl im Wahlkreis München-Giesing vor dem zweitplatzierten CSU-Konkurrenten. Ihr Erfolgsrezept: Mit Bürgern ins Gespräch kommen. Die CSU habe es den Grünen mit dem Kreuzerlass und der Flüchtlingspolitik aber auch sehr einfach gemacht, räumt sie ein.

Im Landtag will sie nun Rassismus, Hass und Rechtsruck entgegenwirken. Als Sprecherin für Integration, Asyl und Flucht versucht sie, gut integrierte Flüchtlinge vor der Abschiebung zu bewahren. „Da gibt es schreckliche Einzelfälle“, erzählt sie. Und sie setzt sich dafür ein, dass Migranten nicht monatelang untätig in den sogenannten Ankerzentren verbringen müssen. Nicht jeder Migrant könne in Deutschland bleiben. „Aber jeder sollte das Recht haben, Deutsch zu lernen, eine Qualifikation zu erwerben, die Zeit sinnvoll zu nutzen.“

Demirel wurde auch als Schriftführerin ins Landtagspräsidium gewählt. Was ihre genaue Aufgabe dort ist? „Das habe ich auch erst fragen müssen“, sagt sie und lacht. „Klingt hochtrabend“, meint sie. Kurz gesagt unterstütze sie aber einfach die Landtagspräsidentin und ihre Vizes bei der Arbeit. Sie sei froh, das Amt übernommen zu haben, weil sie dadurch enger in die Landtagsabläufe eingebunden sei und einen kurzen Draht zu den Kollegen der anderen Fraktionen entwickeln könne. „Im Moment erlebe ich noch eine starke Trennung zwischen Opposition und Regierungsbank“, klagt die Landtagsnovizin. Sie hofft, es wird besser, wenn man sich erst kennt. Es gebe einige Themen, bei denen überparteilich agiert werden könne.

Ihr Kommunalmandat hat Demirel mit dem Einzug in den Landtag abgegeben. Ämterhäufung wird bei den Grünen nicht gern gesehen. Was sie in der Landespolitik am meisten vermissen wird, sind die schnellen sichtbaren Erfolge. Früher hat sie zum Beispiel Sozialprojekte besucht, die auf einen Antrag der Stadtrats-Grünen zurückzuführen waren.

Was ihr auch fehlt, ist Zeit. „Früher haben wir immer gelästert, die im Landtag hätten nichts zu tun“, sagt sie beim Gehen. „Aber das stimmt gar nicht.“ Ein letzter Zug an der Zigarette, dann verschwindet sie in die nächste Sitzung. (David Lohmann)

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