Die Bäume vor dem Haus der Kunst – wurden sie gepflanzt, um das Gebäude zu verstecken?“ Es ist eine eher rhetorische Frage, die David Chipperfield im Ausschuss für Wissenschaft und Kunst stellt. Der Architekt, der den Abgeordneten sein Konzept für die Grundinstandsetzung des monumentalen NS-Baus vorstellt, ist erkennbar der Meinung, dass das vor einem halben Jahrhundert gepflanzte Baumspalier an der Prinzregentenstraße die gigantische Säulenreihe des vor 80 Jahren eingeweihten NS-Kunsttempels in Schach halten soll. Und Okwui Enwezor, Direktor des Hauses der Kunst, spricht es unumwunden aus: „Diese Tarnung muss weg.“
Beim zuständigen Minister und der Mehrheitsfraktion rennen Enwezor und Chipperfield damit offene Türen ein. Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) stellt zwar die Frage, ob „Bausubstanz von Haus aus böse“ sein könne, aber nur, um sie umgehend zu verneinen. Die „Provinzialität“ und letztlich die „Kriminalität“ der Bauherren des Hauses der Kunst sei allein durch das, was sich darin abspiele, „zu bannen, wenn nicht ins Gegenteil zu verkehren“. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Oliver Jörg (CSU) plädiert dafür, sich „keine Denkverbote“ aufzuerlegen. Das Haus der Kunst stehe „wegen des verkrampften Umgangs in den Fünfzigern heute so lieblos da“. Wenn man diese verhüllenden Eingriffe beherzt rückgängig mache, werde das Museum „zukünftig in neuer Strahlkraft“ erscheinen. Auch Robert Brannekämper (CSU) schwärmt davon, das Haus der Kunst auf diese Weise „aus dem Dornröschenschlaf zurückholen“ zu können.
Die Opposition allerdings ist weniger begeistert. Als Chipperfield in seinem Vortrag zuerst ein Foto an die Wand projiziert, auf dem die Straßenseite des Hauses der Kunst etwa um 1940 zu sehen ist, und dann – nur für eine Sekunde – die gleiche Ansicht in einer Computersimulation, wie sie Chipperfield nach der Generalsanierung vorschwebt, da zucken etliche im Konferenzsaal des Maximilianeums zusammen. Nicht nur die verhüllenden Bäume sind weg, auch die ursprüngliche ausladende Freitreppe ist wieder da. Sie wurde 1971 vermutlich zugunsten der Straßenverbreiterung geopfert. Wenn man sie wiederherstellt, kommt der ursprüngliche Herrschaftsanspruch von Hitlers Lieblingsbauwerk schlagartig wieder zur Geltung.
Bäume sollen weg – für den unverstellten Blick
Das Haus der Kunst, diese „Stein gewordene Kampfparole gegen die Moderne“ (SZ) – auf einmal wiederauferstanden in ihrer ursprünglichen Virilität? Erschrecken bei SPD und Grünen. Sepp Dürr von den Grünen bringt es auf den Punkt: „Die Überwältigung wiederherstellen? Mut zum unverstellten Blick? Der Nazi schaut mich an? Das ist absurd!“ Auch Georg Rosenthal (SPD) meldet Bedenken an. Zuvor hatte schon Isabell Zacharias (SPD) gefordert, „das Gebäude zu entmonumentalisieren“. Der Ausschussvorsitzende Michael Piazolo (FW) bekundet partielles Verständnis für die Einwände.
Gegenüber der Glaubensfrage, ob die Bäume weiterhin die erschlagende Wirkung der Säulenreihe abmildern dürfen, geraten die weiteren Punkte des Sanierungskonzepts in den Hintergrund. Dass Chipperfield vorschlägt, den Westflügel zu reaktivieren, und zwar nicht nur als Ausstellungsraum, sondern auch als Performance- und Allzweckraum, stößt größtenteils auf Zustimmung. „Jedes Museum hat so was“, versichert Chipperfield, ob in London oder New York. So eine multifunktionale Halle sei „das erfolgreichste Element des Museums“. Auch dass die Oberlichte in der Mittelhalle wieder ihre ursprüngliche Funktion erfüllen sollen, nämlich das Himmelslicht hereinzulassen, findet allseits Beifall.
Die bautechnische Grundinstandsetzung steht sowieso außer Frage. Da ist unter vielen anderen Mängeln von der „Beseitigung von Sicherheitsrisiken“ etwa durch „absturzgefährdete Deckenmosaike“ die Rede. Was damit gemeint sein dürfte, wird einem klar, wenn man im Portikus, also hinter der Säulenreihe auf beiden Längsseiten des 175 Meter langen Gebäudes, nach oben schaut und an der Decke das bröckelnde Hakenkreuzmosaik (grün auf rotem Grund) von Hermann Kaspar erblickt. Man betritt das Haus der Kunst mit der Befürchtung, dass einem die Hakenkreuze auf den Kopf fallen.
Nicht nur die Bäume auf der Längsseite zur Prinzregentenstraße stören Chipperfield. Auch auf der Nordseite zum Englischen Garten hin wuchert ihm zu viel Grün. „Von der Terrasse aus gibt es keine Sichtbezüge zum Englischen Garten! Man sieht ihn nicht!“ Chipperfield will also Bäume fällen, um den Blick auf Bäume freizumachen. Denn er sieht den Park vor lauter Bäumen nicht. Der Stararchitekt versichert: „Das ist wirklich eine philosophische Frage!“
Nach der bombastischen Eröffnung des „Hauses der Deutschen Kunst“ am 18. Juli 1937 war es am nächsten Tag gleich um die Ecke im Hofgarten mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ weitergegangen: Eine folgenschwere, bis heute nachwirkende Verfemung der Moderne. Der Versuch der Auslöschung der modernen Kunst und ihrer Schöpfer ist untrennbar mit dem Haus der Kunst verbunden. Ist der kriminelle Geist aus den hohen Hallen gebannt, seit 1955 Picassos Guernica an den Wänden hing? Oder seit 2003 Maurizio Cattelans Hitler auf dem Boden kniete? Okwui Enwezor erinnert daran, dass das „Haus der Deutschen Kunst“ 1946 zum Haus der Kunst wurde. Und dennoch, die NS-Ausstrahlung ist unvermindert. Enwezor formuliert es ganz unverkrampft: „Jeden Tag, wenn ich ins Büro gehe, habe ich das Gefühl: Ich bin ein Nazi-Beamter.“ (Florian Sendtner)
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