Landtag

Bäuerliche Familienbetriebe sowie der Einsatz für Umwelt und Klima sollen künftig finanziell stärker belohnt werden. (Foto: dpa/Maja Hitij)

08.11.2019

"Ohne Reformen wird aus Resignation Wut"

Expertenanhörung zur Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union nach 2020

Derzeit wird in Brüssel der neue EU-Haushalt für die Jahre 2021 bis 2027 diskutiert. Der größte Posten darin sind mit 58 Milliarden Euro die Agrarsubventionen. Aber sind Direktzahlungen an Landwirte überhaupt der richtige Weg? Wie kann die umweltschonende Bewirtschaftung stärker gefördert werden? Eine Expertenrunde im Agrarausschuss des Landtags ging diesen und anderen Fragen nach.

Kernelement der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) sind die Direktzahlungen, betonte Josef Weiß von der bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Allein 2018 seien über 950 Millionen Euro ausbezahlt worden. „Viele Landwirte sind darauf angewiesen – vor allem die im Nebenerwerb.“ Der Vorwurf, 20 Prozent der Betriebe würden 80 Prozent der Prämien erhalten, stimme nicht. Zumindest in Bayern haben laut Weiß 18 Prozent der Betriebe, die rund 56 Prozent der Flächen bewirtschaften, nur 54 Prozent der Direktzahlung erhalten. Kritisch sah er aber, dass die Prämien mit zunehmendem Gewinn steigen.

Matthias Borst, Direktor des Fachbereichs Agrar- und Umweltpolitik beim bayerischen Bauernverband, wünschte sich für den kommenden Haushalt eine bessere Finanzausstattung für die erste Säule, also die Direktzahlungen für Landwirte, aber vor allem auch für die zweite Säule. Diese umfasst Förderprogramme für die umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung. Borst forderte die Verhandlungspartner zudem auf, die Landwirte nicht durch immer mehr Kontrolle zu gängeln. Die EU-Kommission plant, die Flächennutzung per Satellit zu überwachen.

Ludwig Huber, Bereichsleiter Ware und Dienstleistung beim Genossenschaftsverband Bayern, schloss sich seinem Vorredner an. „Aus unserer Sicht ist die Fortführung der zweiten Säule unverzichtbar“, unterstrich er. Künftig müsse die GAP aber speziell für kleine und mittlere Vermarkter vereinfacht werden – Entbürokratisierung inklusive. Huber mahnte außerdem, darauf zu achten, dass es nicht zu einer Renationalisierung der Förderpolitik kommt, also jeder Mitgliedstaat eigene Regeln erlässt. Das würde den Wettbewerb insbesondere für die großen Vermarkter verzerren.

Hubert Heigl, Chef der bayerischen Landesvereinigung für ökologischen Landbau, verlangte Reformen innerhalb der Zwei-Säulen-Struktur. „Neue Herausforderungen durch den Klimawandel, den Verlust der Biodiversität oder den Trinkwasserschutz stellen Landwirte vor große Probleme“, berichtete er. Bei den Geldzuweisungen würden Klimaschutz, Umweltleistungen oder der Einsatz für das Tierwohl hingegen bislang keine Rolle spielen. Heigl glaubt, dass die Gesellschaft auf Dauer nicht bereit sein wird, Gelder an Landwirte ohne entsprechende Gegenleistungen auszuschütten.

Der Vorstandssprecher vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter, Hans Foldenauer, sprach sich für eine grundsätzliche Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik aus. „Wir sollten nicht nur diskutieren, wie wir das Geld anders verteilen, sondern wie Agrarpolitik wieder im Sinne der Bauern, Gesellschaft, Tiere und Umwelt gestaltet werden kann.“ „Alles andere führt zu Demotivation, Resignation und Wut“, sagte er und verwies auf die bundesweiten Bauernproteste der letzten Wochen. Dabei hätten Landwirte schon jetzt riesige Probleme, einen Hofnachfolger zu finden.

Aus der Wissenschaft kommen Rufe, die Direktzahlungen auslaufen zu lassen

Sebastian Lakner vom Thünen-Institut für ländliche Räume forderte, die Direktzahlungen umzugestalten oder gar auslaufen zu lassen. „Es fehlt ein wissenschaftlicher Beleg, dass landwirtschaftliche Haushalte ärmer sind als sonstige Haushalte“, sagte er. Selbst wenn Subventionen nötig seien, bleibe die Frage, ob Direktzahlungen das passende Mittel seien. Zum einen würden Pachtbetriebe die Einnahmen an den Verpächter weiterreichen. „Zum anderen bevorteilen Direktzahlungen große Betriebe und gehen in Osteuropa oft in korrupte Strukturen.“

Der Vertreter der Europäischen Kommission, Michael Niejahr, versicherte, Brüssel wolle den Landwirten die Direktzahlungen nicht wegnehmen. Allerdings sollen künftig weniger große Betriebe, sondern mehr aktive Landwirte gefördert werden. Noch sperren sich laut Niejahr aber einige Agrarminister in den EU-Mitgliedstaaten gegen die Änderung. Des Weiteren soll das Engagement für Umwelt- und Klimaschutz gefördert werden. Aber auch hier drückten manche Länder auf die Bremse. Nicht zuletzt soll in der Agrarpolitik das Subsidiaritätsprinzip stärker Anwendung finden, die Mitgliedsstaaten also mehr Gestaltungsmöglichkeiten erhalten. Wann mit einer Verabschiedung des Haushalts zu rechnen ist, konnte Niejahr auch wegen des unsicheren Brexit-Termins nicht genau sagen. Vermutlich im Herbst 2020.

Der Ausschusschef Leopold Herz (Freie Wähler) betonte, wie wichtig bei den aktuell niedrigen Produktpreisen Direktzahlungen für Landwirte seien. Bis der Agrarhaushalt steht, dauert es seiner Meinung nach noch: „Es wird schwierig werden, die einzelnen und vielfältigen Interessen der Länder zusammenbringen.“ Vizechef Martin Schöffel (CSU) unterstrich ebenfalls die Bedeutung der Direktzahlungen gerade für kleinere Familienbetriebe. Um sie stärker zu fördern, sollen aus seiner Sicht die ersten Hektar kleinerer Betriebe bessergestellt werden. Außerdem sollen Landwirte im Nebenerwerb so wie die Kollegen im Haupterwerb behandelt werden.

Gisela Sengl (Grüne) zeigte sich „erschüttert“, dass es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, ob an Umweltauflagen geknüpfte Direktzahlungen helfen, Umwelt und Artenvielfalt zu schützen. Die Abgeordnete befürchtet außerdem, dass manche Mitgliedstaaten die neuen Freiheiten nutzen, die Prämien gar nicht an Umweltauflagen zu knüpfen. Für Ruth Müller (SPD) beschleunigt die aktuelle GAP den Strukturwandel hin zu Groß- und Massenbetrieben. Sie forderte, EU-Fördergelder stärker nach Nachhaltigkeitskriterien zu vergeben und die Wünsche der Verbraucher stärker in den Fokus zu rücken.
(David Lohmann)

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