Landtag

Tessa Ganserer ist die erste transidente Landtagsabgeordnete Deutschlands. Ihr Outing erfolgte Ende 2018. (Foto: dpa/Matthias Balk)

17.01.2019

Test für die Liberalitas Bavariae

Die Grüne Tessa Ganserer ist bundesweit die erste transidente Landtagsabgeordnete – Bayern sollte Vorbild werden im Umgang mit Betroffenen

Unglaublich, eigentlich. Wer nach jahrelanger Pein bekennt, fremd im eigenen Körper zu sein, darf vor dem Gesetz nicht einfach vom Mann zur Frau werden  – oder umgekehrt. Jedenfalls nicht in Deutschland. Wer den Personenstand wechseln möchte, muss zwei psychiatrische Gutachten vorlegen – die Kosten von rund 2500 Euro zahlen die Betroffenen. Das ist nur ein Punkt, den die grüne Landtagsabgeordnete Tessa Ganserer (41) beklagt. Ganserer hat sich kürzlich als erste Person in einem deutschen Landesparlament zu ihrer Transidentität bekannt. Bis dahin lebte sie in der männlichen Rolle.

Jetzt will Ganserer im Landtag – und überhaupt – als Frau angesprochen werden. Damit trifft sie im Maximilianeum auf breites Verständnis – und hat trotzdem Probleme. Vor ihr liegt ein bürokratischer Hürdenlauf. Erst wenn sie die gesetzlich geforderten Gutachten präsentieren kann, werden ihre amtlichen Dokumente umgeschrieben. Und das kann dauern. Zu Recht empfinden Ganserer und andere Betroffene die externe Zwangsbegutachtung als demütigend. Ganserer fordert: „Die Selbsteinschätzung muss genügen.“

Länder wie Argentinien, Irland oder Belgien haben viel liberalere Vorschriften


Andernorts ist das längst der Fall. Interessenvertretungen von Trans-Menschen wie die Bundesvereinigung Trans und die deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität verweisen auf Länder wie Argentinien, Irland, Belgien oder Luxemburg, in denen Betroffene ihren Vornamen und ihr Geschlecht einfach beim Standesamt ändern lassen.

Auch wenn die ganze Situation für Tessa Ganserer derzeit äußerst belastend sein mag – verglichen mit vielen anderen Betroffenen ist sie privilegiert. Denn im bayerischen Landtag erfährt sie viel Zuspruch und Unterstützung. Mit Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) habe sie ein „menschlich sehr angenehmes Gespräch“ geführt, berichtet Ganserer.

Fakt ist, dass Trans-Menschen nach einem Outing mit Mobbing und Diskriminierung rechnen müssen. Ebenso wie Intersexuelle, die sich nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen können. Für sie gibt es seit Jahresbeginn die Möglichkeit des so genannten dritten Geschlechts – im Pass steht dann „divers“. Eine Option, die sich viele Transidente ebenfalls wünschen, die ihnen aber derzeit verwehrt wird. Dabei können sich bis zu einem Drittel von ihnen nicht dauerhaft dem einen oder anderen Geschlecht zuordnen. Deutschland täte gut daran, derlei Muff-Regeln, die nach vorletztem Jahrhundert riechen, abzuschaffen. Wem bitte würden liberalere Vorschriften schaden?

Dass Bayern die erste transidente Landtagsabgeordnete hat, sollte der Gesetzgeber nutzen – und jedenfalls dem öffentlichen Dienst im Freistaat eine Vorbildfunktion im Umgang mit Transidenten, Inter- und Homosexuellen verordnen. Dazu gehören verbindliche Leitlinien zum Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt für den öffentlichen Dienst. Im 21. Jahrhundert eine mehr als überfällige Maßnahme.
(Waltraud Taschner)

Kommentare (4)

  1. Adrian am 25.01.2019
    Ich finde den Artikel großartig geschrieben: mit sehr viel Feingefühl formuliert und überzeugend argumentiert. So etwas hätte ich in der Bayerischen Staatszeitung nicht erwartet. Umso besser, Frau Taschner, dass Sie diesen Text geschrieben haben.
    "Wem bitte würden liberalere Vorschriften schaden?" Eine einfache und doch so entwaffnende Frage. Denn die Antwort sollte der großen Mehrheit klar sein: Niemandem.
  2. A - Hörnchen am 22.01.2019
    Hm. Wahrscheinlich bin ich mal wieder die Ausnahme von jeder bekannten Regel, das Fossil weil FÜRCHTERLICH altmodisch/reaktionär die Auslegung des Christentums betreffend, nicht zu vergessen selbstverständlich:

    der politisch nun so GAR NICHT korrekte Sonderling und als „bekennender, aktiver, traditioneller Katholik“ in Zeiten, in denen selbst der Herr Dr. M. Luther als Glaubensvorbild , ja tatsächlich als „Glaubwürdiger Zeuge“ an dem angeblich „früher doch sowohl ABSICHTLICH, als auch FÄLSCHLICHERWEISE kein gutes Haar gelassen wurde“, ob seiner so offenkundig das Zeugnis der Heiligen Schrift verletzt bis vollkommen ignoriert (um von der ununterbrochenen Tradition erst mal gar nicht zu reden!) zwar weiterhin dem guten alten Sensus Fidelium mehrheitlich noch immer überaus suspekt ist, sowieso + ganz generell absolut nicht mehr zu retten!

    Jedenfalls finde ich die geltende Regelung durchaus sinnvoll. Immerhin geht es hier um irreversible physische Eingriffe bzw. ebenso unumkehrbare psychische, sprich, SEELISCHE Veränderungen, die auf keinen Fall auch nur ANSATZWEISE unterschätzt oder aufgrund falscher Voraussetzungen oder aber aus „falschen Motiven“ heraus angestrebt geschweige denn tatsächlich umgesetzt werden dürfen!

    Sööö. Soweit erstmal Ihr Lieben!!
  3. Der Gesetzeshüter am 18.01.2019
    Also ich finde unsere Tessa sehr gut, sie zeigt es allen die es nich nicht verstanden haben ,was das recht auf Freieentfaltung ist, sie macht sich stark für die Menschen die mehr Verluste und unterdrückungen erfahren müssen. Das Transgenderleben ist nicht immer einfach und aber sehr schön zu leben , denn wenn der Mensch das sein kann und leben kann als Geschlecht und Mensch (Psyche/ Seele,das eigene Ich) was er sich wünscht ,dann ist dieser Weg der beste Weg den der Mensch einschlagen kann. Wenn es noch Menschen gibt, die dies akzeptieren und mit den Transmenschen mitgehen und sich mitziehen lassen ,dann ist dass das schönste was die Seele erleben kann. Man muss nicht alles lieben aber man sollte akzeptieren das manche Menschen anders sind und dass können wir ,wir müssen es nur wollen oder zulassen. Die Transgendermenschen sind genauso Menschen wie alle anderen auch, nur dass sie eine Geschlechtsangleichung machen lassen, um das sein zu können was sie sich vorstellen. Es ist nicht so zu vergleichen als wenn ich eine Schönheits OP haben möchte ,weil ich mit solchen Dingen am Körper nicht einverstanden bin ,sondern ein wille der anzeigt was er ist und für immer sein möchte. Ich wünschen mir ebenfalls das Tessa etwas erreichen kann und das andere menschen da mehr tolleranter werden. Wir können soviel und ganz viele Menschen haben auch Herz und zeigen es nur nicht.
  4. egirl am 17.01.2019
    Ich wünsche Tessa Ganserer viel Kraft und Ausdauer. Trans* Personen gehören zu den am meisten
    benachteiligten Menschen überhaupt. Obwohl die WHO 2018 endlich gemerkt hat, dass Transsexualität kein psychisches Problem ist, ist dieser Aberglaube noch weit verbreitet und man nimmt Menschen mit dieser Eigenschaft mit solchen Ansichten häufig die Menschenwürde. Es wird Zeit, dass Gesetze, die vom Verfassungsgericht schon in großen Teilen als verfassungswidrig befunden wurden endlich dem Stand der Wissenschaft angepasst werden. Wozu braucht man für die Änderung (nur) des rechtlichen Geschlechts Gutachter ? Die wissen es nicht besser als die Begutachteten.
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