In Bayern gibt es über 130 000 staatlich geprüfte Pflegekräfte. Im Gegensatz zu Ärzten, Apothekern oder Therapeuten existiert für sie keine institutionalisierte Berufs- und Interessenvertretung. Das will die Staatsregierung jetzt mit der „Vereinigung der bayerischen Pflege“ ändern. Doch viele Experten sind skeptisch.
In Deutschland sind über 2,6 Millionen Menschen pflegebedürftig. Dass Pflegekräfte in einer alternden Gesellschaft eine stärkere Stimme benötigen – darüber waren sich bei der Anhörung im Gesundheitsausschuss alle Experten einig. Allerdings nicht, wie dies konkret erreicht werden soll. Für Marliese Biederbeck, Geschäftsführerin des Berufsverbands für Pflegeberufe in der Region Südost, kann der Gesetzentwurf der Staatsregierung den Pflegeberuf nicht aufwerten. „Dieser sieht keine demokratisch legitimierte Vertretung für Pflegekräfte vor“, kritisierte sie. Somit gebe es keine Möglichkeiten zur Mitgestaltung, zur Lösung des Personalmangels oder um den Pflegeberuf attraktiver zu machen. „Stattdessen stehen die Arbeitgeberinteressen im Vordergrund“, ergänzte Biederbeck. Gemeinsam mit Edith Dürr, Vorsitzende des Bayerischen Landespflegerats, sprach sie sich für die Gründung einer Pflegekammer aus.
Dies war 2013 auch der Wunsch der Mehrheit der Pflegekräfte. In einer vom Gesundheitsministerium in Auftrag gegebenen Umfrage sprachen sich 50 Prozent dafür aus, 34 Prozent stimmten mit „Nein“ und 16 Prozent machten keine Angabe. Allerdings lehnte ebenso jeder zweite Befragte eine klassische Pflegekammer aufgrund der Beitragspflicht beziehungsweise Pflichtmitgliedschaft ab, weshalb die Staatsregierung sich für das Modell der Vereinigung entschied.
Siegfried Hasenbein, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, befürchtet durch diese Variante allerdings Einschnitte bei der Selbstbestimmung, da die Delegiertenversammlung der Vereinigung nur in begründeten Ausnahmefällen vom Votum des Beirats, der zu gleichen Teilen aus Vertretern von Arbeitgebern und Pflegekräften und einem vom Ministerium bestimmten Vorsitzenden besteht, abweichen darf. „Vor dieser restriktiven Regelung will ich deutlich warnen“, sagte er. Außerdem verlangte Hasenbein, den geplanten Namen in „Vereinigung der Pflegeberufe“ umzuändern, um sich von der Pflege durch Laien abzugrenzen.
Datenschützer Petri mahnte eine Überarbeitung des Gesetzentwurfs an
Thomas Kunczik, Geschäftsführer des Deutschen Bundesverbands für Altenpflege, begrüßte den Gesetzentwurf der Staatsregierung. „Der bayerische Weg ist ein guter Weg“, lobte er. Eine Pflegekammer könne den Mangel an examinierten Altenpflegern nicht lösen. Gleicher Meinung war Robert Hinke, bayerischer Landesfachbereichsleiter für Gesundheit und Soziales der Gewerkschaft ver.di. „Eine Pflegekammer gibt es bisher nur in Rheinland-Pfalz – und selbst da verweigern viele die Zwangsmitgliedschaft“, erklärte er. Vorteile der Vereinigung gegenüber der Kammer seien, dass nur examinierte Pflegekräfte vertreten wären, dass keine neue Vertretung gegründet werden müsste und dass sie ein politisches Mandat hätte. Im Übrigen ist laut Hinke auch die Bundespflegekammer keine Kammer, sondern ein Verein – dem auch die Vereinigung der bayerischen Pflege beitreten könnte.
Der Präsident der Landespflegekammer in Rheinland-Pfalz, Markus Mai, wiederum kritisierte schriftlich, der Gesetzentwurf entkerne die Zuständigkeit der Pflegeberufsangehörigen in der legitimen Selbstverwaltung und als Garanten der pflegerischen Versorgung der Bevölkerung. Zudem gebe es gravierende juristische Probleme, wie der Pflegerechtler Heinrich Hanika ebenfalls in einer schriftlichen Stellungnahme aufzeigte: Er empfiehlt darin eine verfassungsrechtliche Überprüfung, falls der Gesetzentwurf der Staatsregierung nicht modifiziert werde. Auch der bayerische
Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri wies im Gesetzentwurf auf Probleme hin. Die Registrierung aller Pflegekräfte sei mit dem Datenschutz nur vereinbar, wenn im Gesetz eine „hinreichende Wertigkeit“ festgeschrieben sei. So kann der Grundrechtseingriff etwa durch die Erfüllung gesetzlicher Aufgaben wie Weiterbildungen gerechtfertigt werden. „Solche sind nicht im Gesetzentwurf enthalten“, sagte Petri.
Klaus Holletschek (CSU) lobte den Gesetzentwurf als „schlankes Gesetz“. Dass Jurist Hanika eine Verfassungsbeschwerde empfehle, wertete er als „politisches Urteil“. Peter Bauer (Freie Wähler) sprach von einer „Pflege am Gängelband der Politik“: „Leider plant die Staatsregierung ein Konstrukt, das organisatorisch und finanziell weitgehend von ihr abhängig ist.“ Zudem lehne er es ab, über ein Gesetz zu entscheiden, in dem wesentliche Regelungen zum Datenschutz nicht enthalten seien. Für Ulrich Leiner (Grüne) handelt es sich bei dem Entwurf um ein Gesetz zur „Verhinderung einer Pflegekammer“. Außerdem sorgt er sich um die Macht des Beirats: „Wir haben eine ganze Reihe von Trägern, die nicht unbedingt die Interessen der Pflegenden am Bett verfolgen.“
Geschäftsführer Wilfried Mück von der Freien Wohlfahrtspflege in Bayern mahnte, oberstes Ziel müsse der Ausbau der Pflege sein: „Wir können uns kontroverse Meinung nicht länger leisten.“ (David Lohmann)
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