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Einsatzkräfte sind auf Hochwasserereignisse mit vergleichsweise langen Vorwarnzeiten ausgelegt. Für die zunehmend auftretenden Starkregen mit Sturzfluten fehlt es laut Fachleuten an Wissen und Planung. (Foto: dpa/Julian Stratenschulte)

11.02.2022

"Wenn wir nicht schneller werden, sterben Menschen"

Fachleute fordern, Ausrüstung, Ausbildung und Einsatzpläne für Katastrophenfälle an die neuen Wetterextreme anzupassen

Fachleuten in Bayern bereiten Starkregen und die zunehmenden Sturzfluten Sorgen. Sie fordern eine bessere Personalausstattung und Alarmierung der Bevölkerung im Katastrophenfall. Auch brauche es Vorkehrungen für den Fall, wenn gar nichts mehr geht – beispielsweise bei einem Komplettausfall der digitalen Infrastruktur. Umstritten ist die Unterstützung von sogenannten Spontanhelfern.

Angesichts der verheerenden Sturzfluten des vergangenen Sommers auch in Bayern haben Experten verschiedener Rettungs- und Hilfsdienste die Politik aufgefordert, den Katastrophenschutz „klimafest“ zu machen. Insgesamt sei der Katastrophenschutz im Freistaat gut aufgestellt, doch müssten Ausrüstung, Ausbildung und Einsatzpläne an die neuen Wetterextreme angepasst werden, hieß es bei einer Fachanhörung im Innenausschuss. So erklärte der technische Leiter der Wasserwacht Bayern, Marcus Röttel, die Szenarien der Einsatzkräfte seien auf vorhersehbare Hochwasserereignisse mit vergleichsweise langen Vorwarnzeiten ausgelegt. Für die vermehrt vorkommenden Starkregen mit Sturzfluten fehle es an Wissen und Planung.

Als ein Problemfeld identifizierten die Fachleute die Einsatzkoordinierung bei Großschadensereignissen über Landkreisgrenzen hinweg. Hier brauche es klare Führungsstrukturen und mehr verbändeübergreifende Großübungen. Johann Eitzenberger, Präsident des Landesfeuerwehrverbands, riet zur Schaffung gemeinsamer Lage- und Beobachtungszentren, in denen alle Daten zusammenlaufen müssten. Um besser vorbereitet zu sein, müssten Früherkennung und Bewertung von Unwetterlagen besser werden und schneller für alle im Katastrophenschutz Tätigen verfügbar sein. Röttel mahnte zudem klare Einsatzstrukturen an. „Es muss jeder wissen, wer wann was zu sagen hat“, sagte er. Der Landesvorsitzende der Bergwacht in Bayern, Thomas Lobensteiner, sprach vom Prinzip „regional führen, zentral koordinieren“.

Als entscheidend für kurzfristig lokal auftretende Schadensereignisse bezeichnete Lobensteiner die rasche Hilfe. Gerade für die Anfangsphase nach der Alarmierung brauche es gut ausgebildete und ausgerüstete Teams als eine Art schnelle Eingreiftruppe. Dem pflichtete Röttel bei. „Es muss schneller gehen, wenn wir wirklich Leben retten wollen“, betonte er. Gerade bei Sturzfluten gehe es um Minuten. Mehrere Experten betonten dabei die besondere Rolle der Kreisverwaltungsbehörden bei der Koordinierung. Dort müsste entsprechend geschultes Personal in den Zivilschutzabteilungen sitzen, erklärte der THW-Landesbeauftragte Fritz-Helge Voß. „Krisenmanager ist man nicht einfach, das muss man lernen.“ Klaus Geiger vom bayerischen Landkreistag knüpfte daran die Forderung nach einer besseren Personalausstattung an.

Handlungsbedarf sahen die Praktiker auch bei der Alarmierung der Menschen und deren Verhalten im Katastrophenfall. Dass wieder mehr auf die Warnung durch Sirenen gesetzt werde, wurde allgemein begrüßt. Allerdings müssten die Bürgerinnen und Bürger insgesamt besser auf plötzlich eintretende Katastrophenfälle vorbereitet werden. „Sirenen allein reichen nicht“, sagte der Präsident des Medizinischen Katastrophen-Hilfswerks Deutschland, Robert Schmitt. Die Menschen müssten wieder lernen, wie sie sich im Ernstfall verhalten sollten. Er empfahl Aufklärung schon in der Schule und „Selbstschutzkurse“ für die breite Bevölkerung.

"Spontanhelfer wollen nur den vermeintlich handlungsunfähigen Staat vorführen"

Kontrovers diskutiert wurde die Hilfe durch unorganisierte „Spontanhelfer“ aus der Bevölkerung. Deren Engagement sei in vielen Bereichen hilfreich, doch müssten sie besser in die Einsatzdurchführung eingebunden werden, meinte die neue BRK-Landesvorsitzende Angelika Schorer. Schmitt betonte, die Spontanhelfer müssten von den Einsatzkräften schon von Beginn an in die Hilfsmaßnahmen integriert werden, „sonst verstopfen sie uns den Einsatz und vergrößern das Chaos“. Der Münchner Oberbranddirektor Wolfgang Schäuble riet dazu, die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung zu nutzen. Diese müsse aber in den offiziellen Strukturen erfolgen, um die „Spontanhelfer“ nicht selbst bei ihrem Einsatz zu gefährden. Genau darin sah THW-Mann Voß das größte Problem. Unter die Helfer mischten sich zunehmend Personen, die es bewusst ablehnten, sich der Einsatzleitung zu unterstellen. Mit ihrem Einsatz wollten sie nur vordergründig helfen, dafür aber den vermeintlich handlungsunfähigen Staat vorführen. „Das ist auch ein Staatsschutzproblem“, sagte Voß.

Der Leiter der Sektion Notfall- und Katstrophenmedizin an der Uniklinik Würzburg, Thomas Wurmb, warb für einen ganzheitlichen Ansatz im Katastrophenschutz. Man müsse diesen „ereignisübergreifend denken“. Es sei nicht zielführend, wenn jetzt wegen der jüngsten Sturzfluten alle Blicke auf die Hochwasserrettung gerichtet seien „und dann haben wir einen flächendeckenden Stromausfall“. Zudem brauche es „Ideen für den Fall, wenn gar nichts mehr geht“. Als Beispiel nannte Wurmb den Komplettausfall der digitalen Infrastruktur.

Auf die Herausforderungen abseits der eigentlichen Notfallrettung blickte der Berchtesgadener Landrat Bernhard Kern, dessen Landkreis im vergangenen Jahr ebenfalls von einer verheerenden Sturzflut betroffen war. Gerade bei extremen Zerstörungen sowie Todesfällen brauche es eine professionelle psychosoziale Notfallversorgung – sowohl für die von existenziellen Schäden Betroffenen und die Hinterbliebenen von Opfern als auch für die damit konfrontierten Einsatzkräfte. Letztere müssten besser auf derartige Lagen vorbereitet werden und bräuchten vielfach eine psychologische Nachsorge. Unterstützung erbat Kern auch für die Zeit nach dem Katastrophenfall. Er berichtete von Hilfslieferungen, die nicht mehr gebraucht würden. Auch um deren Weiterverwendung müsse sich das örtliche Personal kümmern. Und dann gebe es noch das Problem mit Glücksrittern, die ein Geschäft mit der Not witterten. Auch beim Umgang mit solchen Katastrophenfolgen bräuchten die betroffenen Kommunen mehr Unterstützung. (Jürgen Umlauft)

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