Leben in Bayern

Manfred Schauer (Bild im Text) lässt als Schichtl seit 1985 Wiesngäste hinrichten. (Fotos: Felix Hörhager/dpa)

01.10.2019

150 Jahre Wiesnkult mit Guillotine

"Auf geht's beim Schichtl" - den Spruch kennen viele, die Herkunft weniger. Er hat seinen Ursprung auf dem Oktoberfest - und ist um die 150 Jahre alt

Die Bevölkerung einer bayerischen Kleinstadt habe er zahlenmäßig in seiner gut dreißigjährigen Amtszeit köpfen lassen, sagt Manfred Schauer. Der 66-Jährige ist der amtierende "Schichtl" auf dem Oktoberfest. Seit Generationen wird in dem Traditionstheater, benannt nach dem Begründer Michael August Schichtl, die "Enthauptung einer lebenden Person auf offener, hell erleuchteter Bühne mittels Guillotine" zelebriert. Dieses Jahr feiert das Varieté als eines der ältesten Geschäfte auf der Wiesn sein 150-jähriges Bestehen. Schauer köpft seit 1985: an jedem Wiesntag ungefähr 20 Mal, jede halbe Stunde. Etwa 320 Mal also allein bei dieser Wiesn bis zum 6. Oktober.

Schon in den Anfängen lud der "Schichtl" sein Publikum zu der "Extra-Galavorstellung mit noch nie dagewesenen Sensationen" mit den Worten "Auf geht's beim Schichtl". Der Spruch wurde zum geflügelten Wort - weit über Münchens Grenzen hinaus.

1985 stand der Familienbetrieb zum Verkauf. Schauer bewarb sich und bekam den Zuschlag. Seitdem animiert er Wiesngäste vor dem Theater zum Eintreten - ein wesentlicher Teil der Show. Lukas, der Henkersknecht, so muntert er das Publikum auf, sei eine "Leihgabe von der Geisterbahn gegenüber", sein Lieblingsgericht "Kopfsalat mit Hirnwurst".

"Ich könnte heute eine Million im Lotto gewinnen, ich würde nicht aufhören"

Wer das Theater betreten hat, muss sich auf die eigene Hinrichtung einstellen. Dieses Mal hat der Henker eine Ines ausgesucht, die sich zunächst etwas sträubt. Sie bekommt die schwarze Haube über ihren kunstvoll geflochtenen Zopf - ab aufs Schafott. Der Kopf rollt, der Henker zeigt die blutige Speiseröhre, "Kerndl" habe sie verzehrt, verkündet er sachkundig, und Nutella. Damit sie weiteressen könne, bekomme sie den Kopf nun wieder aufgesetzt. Mit leicht lädierter Frisur verlässt sie die Bühne.

Die Enthauptung - sie kann außerhalb der Wiesn auch für Firmenpartys und runde Geburtstage gebucht werden - ist seit Generationen das unverrückbare Element der etwa viertelstündigen skurrilen Show. Während die anderen Elemente wechseln, bleibt sie im Wesentlichen gleich. Trotzdem scheint sich beim "Schichtl" niemand zu langweilen.

Das Geschäft sei eben ein Klassiker, sagt Wiesnchef Clemens Baumgärtner. "Die Leute wollen nicht immer schneller, höher, weiter." Wiesn-Originale, wie Schauer mit Herzblut dabei, seien unverzichtbar.

Schauer, humormäßig irgendwo zwischen Karl Valentin und Gerhard Polt, spöttelt, Ärger mit der Enthauptung habe es gelegentlich nur deshalb gegeben, weil "der Ehepartner lebendig wieder runtergekommen ist". Aber: "104 Prozent aller Zuschauer haben wir als Sympathisanten gewonnen." Die Gema für die Nutzung diverser Melodien in der Show werde pauschal abgegolten - "wenn ich auf dem letzten Loch pfeif', ist das gratis." Prominenz komme immer mal, der Magier David Copperfield sei sogar zwei Mal dagewesen: "Was der noch übt, haben wir schon wieder vergessen".

Begonnen hatte Schauer in Frack und Zylinder, dann wechselte er auf Tracht. Heute trägt er Kombi: Lederhose mit Zylinder plus Leopard - das tierische Kunstfell ziert Zylinder und Weste. Warnung an Nachahmer: "Tracht und Leopard geht nur auf der Bühne."

Eine halbe Stunde später, neue Runde. "20 Euro ist der Eintritt wert, 6 Euro verlang' ich", wirbt Schauer. Das Wirtshaus nebendran, sagt er, bringe mehr. Aber Schichtl sei seine Lebenserfüllung. "Ich könnte heute eine Million im Lotto gewinnen, ich würde nicht aufhören."
(Sabine Dobel, dpa)

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