Der Bierdurst machte die Nürnberger vor langer Zeit ziemlich erfinderisch. In purer Handarbeit hauten sie über 500 Jahre hinweg - also vom 14. bis zum 19. Jahrhundert - ein weit verzweigtes Kellersystem in den Burgberg der historischen Altstadt. Auf über 25 000 Quadratmetern entstand so ein gewaltiges Kühl- und Lagerareal - und zwar nur für Bier. "Ein anderer Grund, sich solche Mühen anzutun, ist schlicht nicht vorstellbar, zumindest nicht in Franken", ruft Hannes Ziener einer Touristenschar zu.
Der Mann mit dem gemütlichen Bass in der Stimme führt seit gut fünf Jahren durch die Historischen Felsengänge. Deren Fläche umfasse fünf bis sechs Fußballfelder, erzählt Ziener seinen Zuhörern. "Klingt nach einer Schweinearbeit, oder?"
Dann beginnt der Abstieg in den Abgrund. Ein gewisser Gruselfaktor stellt sich im spärlichen beleuchteten Labyrinth aus ockerfarbenen Gewölben durchaus ein, verflüchtigt sich dank Zieners guter Laune und seinem bärbeißigen Humor aber schnell.
Das Bier rettete den Nürnbergern das Leben - zumindest indirekt
Dabei hatten die Bierkeller vor nicht zu langer Zeit auch einen ernsten Zweck. Im Zweiten Weltkrieg seien sie als Luftschutzbunker genutzt worden, sagt Ziener. Rasch seien damals neue Zugänge angelegt worden, damit viele Leute sich bei Fliegeralarm in Sicherheit hätten bringen können. "Während oben die Bomben runtergekracht sind, war das hier wirklich dicht gedrängt voller Menschen. Man war hier sicher. Aber Zuckerschlecken war das nicht."
Die Mühe der Steinmetze in früheren Jahrhunderten habe sich da also ausgezahlt. "Oder um das Ganze wieder ein bisschen aufzulockern - was rettete den Nürnbergern indirekt das Leben? - das Bier", sagt Ziener. "Bier ist gesund."
Und weil das so ist, wurde der Durst mit steigender Stadtbevölkerung in Nürnberg einst naturgemäß größer und größer, wie der Guide erzählt. Die Brauer mussten also mehr brauen und brauchten mehr Lagerkeller. Der Platz sei da freilich irgendwann knapp geworden, weswegen die Nürnberger in die Tiefe gebaut hätten. Und so seien im Laufe der Jahrhunderte unter der Altstadt im Viertel Sebald teilweise bis zu vier Stockwerke - sogenannte Sohlen - untereinandergestapelt worden, teils mehr als 20 Meter tief.
Mit dem Aufkommen der Kühlanlagen, war es mit der Kellerlagerung vorbei
Ein anderes Problem der Brauer: Die ganzjährigen Temperaturen von acht bis neun Grad in den Kellern seien zwar noch für Reifung und Lagerung von Bier kalt genug gewesen, nicht aber für die Hauptgärung. Für Letztere seien eher Temperaturen zwischen zwei und sechs Grad nötig, erklärt Ziener. Die Lösung: Um die Keller herunterzukühlen, sei Eis hinabgetragen worden.
Manche Brauer hätten an der Erdoberfläche vier bis fünf Meter hohe Holzbalken gespannt - sogenannte Eisgalgen. Diese habe man bei ganz niedrigen Temperaturen mit Wasser beträufelt, sodass lange Eiszapfen entstanden, die abgeschlagen und in die Keller gebracht worden seien. Andere Brauer wiederum hätten im Winter Bauern bezahlt, damit sie mit speziellen Geräten Eis aus den Weihern in der Umgebung heraussägten. "Das hieß damals Eisernte."
Mit dem Aufkommen von Kühlanlagen zum Ende des 19. Jahrhunderts habe die Bierlagerung in den Kellern aber ziemlich abrupt aufgehört, sagt Ziener. Eine Weile hätten Firmen die Felsengänge noch für die Kühlung von Essiggurken, Sauerkraut, Marmelade und Kompotte genutzt.
Für große Menschen ist das Gewölbe ziemlich eng
Nach einer Stunde ist der Ausflug in die Tiefe vorbei. Vera Werning aus Dresden hat es gefallen. "Es ist

kurzweilig, nicht langweilig und schön gemacht", sagte die Teilnehmerin - auch wenn es für große Menschen wie sie in den Gewölben ziemlich eng sei.
An seinen Job als Kellerführer geriet Ziener über Umwege. Früher habe er als Finanzplaner gearbeitet und das Ziel verfolgt, sein eigenes Geschäft aufzubauen. Das Problem: Das Brüten über einer Businessidee habe länger gedauert als erwartet, das Geld sei knapp geworden.
Den Wendepunkt brachte letztlich der Umstand, dass Ziener direkt über der Hausbrauerei Altstadthof wohnt, in deren Auftrag die Touren durch die Felsengänge stattfinden. Von seinem Schreibtisch aus habe er im Sommer den Trubel vor den Führungen mitbekommen. "Und dann habe ich gedacht, das könnte ich eigentlich mal probieren", sagt Ziener.
Gesagt, getan. Nach erfolgreicher Bewerbung beim Verein Felsengänge durchlief er eine halbjährige interne Ausbildung. Nach einer Probeführung und einer weiteren Tour war Ziener festgelegt: "Ich habe gleich gewusst, ich habe ein Problem, weil mir das so viel Spaß macht. Ab dem Moment habe ich gewusst, das will ich weitermachen." (
Bernard Darko, dpa)
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