Leben in Bayern

Thomas Kaniber, Polizist in Bad Reichenhall, kennt viele seiner Stammkunden persönlich. Foto: Vrenzel

18.02.2011

Alleskönner gefragt

Serie: Blaulicht – Bayerns Polizei im Einsatz (XV): Polizist auf dem Land gilt noch immer als Traumjob – doch auch dort wachsen die Probleme

Eine Stelle in einer Inspektion auf dem Land ist für die meisten Polizisten in Bayern der größte Wunsch. Doch es gibt kaum freie Posten. Polizist Thomas Kaniber hat es geschafft. Er hat in Bad Reichenhall seinen Traumjob gefunden. Doch wegen der Überalterung der ländlichen Inspektionen wird der Beruf mancherorts zum Trauma. Thomas Kaniber, Polizist in Bad Reichenhall, hat schon mal ein Rentier eingefangen. Keine einfache Angelegenheit. Stundenlang lief er dem Tier gemeinsam mit Kollegen hinterher. Das Rentier schien Spaß an der Verfolgungsjagd zu haben: Immer wieder ließ es die Polizisten auf fünf Meter Entfernung herankommen, lief dann weg, wartete, bis sie ein paar Meter entfernt waren und so weiter.
Auch Kaniber mochte den Job. Das Rentier war aus einem Tiepark im nahen Österreich ausgebrochen. Mit Hilfe eines Pflegers konnten die Polizisten das Tier nach Stunden schließlich einfangen„So was erlebt man nur auf dem Land“, sagt Kaniber.
Kaum Karrierechancen
Der 41-Jährige findet, abwechslungsreicher als in ländlichene Gegenden sei die Polizeiarbeit in der Stadt auch nicht. Er kennt beide Einsatzorte: Seit 21 Jahren ist er Polizist, vier Jahre tat er seinen Dienst im Ballungsraum München.
Doch Rentiere bleiben auch für Polizisten auf dem Land die Ausnahme. Normalerweise nehmen Kaniber und seine Kollegen Unfälle, Sachbeschädigungen und Einbrüche auf, sie schlichten Schlägereien und kontrollieren, ob die Autofahrer den Gurt angelegt haben oder ob einer zu viel Alkohol getrunken hat. Denn auch Verbrechen sind selten.
In München ist die Kriminalitätsrate etwa doppelt so hoch wie in der durchschnittlichen oberbayerischen Gemeinde. Dabei ist München die sicherste Großstadt in Deutschland überhaupt. Doch Kaniber bleibt dabei: Auf dem Land findet er es trotzdem spannender. „In der Stadt passieren zwar mehr Verbrechen, aber es gibt auch viel mehr Beamte.
Und weil alles schnell gehen muss, muss dort jeder Spezialist sein: Einer nimmt das Verbrechen auf, ein zweiter befragt die Zeugen, ein dritter sichert den Tatort“, sagt er. „Bei uns ist jeder Allrounder. Von der Aufnahme über die Fotos vom Tatort bis zur Zeugenvernehmung macht hier jeder alles.“
Tatsächlich wollen die meisten jungen Polizisten in Bayern zu einer Inspektion in einer kleinen Stadt – und zwar an den Ort, an dem sie aufgewachsen sind. Die meisten Nachwuchsbeamten kommen vom Land. Weil es auf den Dörfern viel weniger Betriebe und andere Ausbildungsmöglichkeiten gibt als in den Städten, wollen viele Beamte und besonders gern Polizist werden.
„Ich hatte nie einen Plan B“, sagt auch Thomas Kaniber. Als er zwölf Jahre alt war, hatte seine ältere Schwester einen Freund, der Polizist war. Als er diesen fragte, was er mache, antwortete der, er jage Verbrecher.Das wollte Kaniber auch. Es ist immer noch sein Traumberuf. Während der dreijährigen Ausbildung bei der Bereitschaftspolizei sind die angehenden Polizisten in Ballungsräumen wie München und Nürnberg stationiert. Denn in der Stadt kann der Nachwuchs die wichtigsten Einsatzsituationen besser trainieren als auf dem Land – weil eben doch häufiger etwas passiert.
Regelmäßig werden die jungen Beamten zum Beispiel bei Demonstrationen oder Fußballspielen eingesetzt, um den Ablauf von Großveranstaltungen kennenzulernen. Nach der Ausbildung steht in vielen Fällen eine weitere Station in einer Inspektion in einem Ballungsraum an.
Danach geben viele Jungpolizisten ihren Heimatort als Wunschziel an. Doch bis es soweit ist, vergeht meist einige Zeit, denn in den Dienststellen im ländlichen Raum werden nur selten Stellen frei. Wer einmal eine Stelle im Ort hat, aus dem die Familie kommt, will meist bis zur Pensionierung bleiben.
Für die Polizeiinspektionen in München und Nürnberg ist es dagegen umso schwieriger, ausreichend Leute in den Dienststellen im Ballungsraum zu halten. Deshalb gibt es finanzielle Anreize, außerdem werden den Nachwuchspolizisten viele Aufstiegsmöglichkeiten geboten.
Weil auf dem Land vor allem Streifenpolizisten, die jeden Tag draußen unterwegs sind, gebraucht werden, gibt es kaum Karriereschancen. Auch in der Dienststelle von Kaniber gehen mehr als die Hälfte der 48 Polizisten auf Streife. Die übrigen arbeiten als Verkehrserzieher, in der Verfügungs- oder in der Ermittlungsgruppe, so etwas wie die Kriminalpolizei in Klein, oder als Sachbearbeiter wie Kaniber.
Thomas Kaniber war es immer auch wichtig, in seinem Beruf weiterzukommen. Und trotzdem wollte auch er zurück nach Hause, nachdem er drei Jahre in Dachau und ein Jahr in München gearbeitet hatte.
Aufgewachsen ist er in Bad Reichenhall, jetzt lebt er in Bayerisch Gmain, in einem der Dörfer, das im Gebiet seiner Inspektion liegt. Auch bei ihm dauerte es eine einige Zeit, bis es soweit war. Zunächst bekam er eine Stelle in Freilassing, 16 Kilometer von seiner Heimat entfernt. Drei Jahre später hatte er Glück: Es wurde eine Stelle in Bad Reichenhall frei. „Ich wohne und arbeite da, wo andere ihren Urlaub verbringen“, sagt er.
Er sitzt in seinem Arbeitszimmer in der Bad Reichenhaller Inspektion, mitten in der Fußgängerzone des oberbayerischen Städtchens. Einen schöneren Platz als seine Heimat kann er sich zum Leben nicht vorstellen.
Doch das ländliche Idyll wird mancherorts getrübt: „Weil die meisten Beamten bis zur Pensionierung im ländlichen Raum bleiben, ist das Durchschnittsalter in den dortigen Inspektionen relativ hoch“, sagt Peter Schall, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in Bayern (GdP).
Der Experte weiß: „Das verursacht oft Probleme bei den kleinen Dienststellen auf dem Land, denn mit dem Alter gibt es oft gesundheitliche Einschränkungen, so dass ältere Kollegen keinen Schichtdienst mehr machen können.“ Die Inspektionen könnten als Folge den 24-Stundendienst „nur noch schwer aufrechterhalten.“
Doch Kaniber ist nicht nur da, wo er hin wollte, noch dazu konnte er Karriere machen. Schon seit fünf Jahren ist er kein Streifenpolizist mehr, größere Einsätze in der Gegend von Bad Reichenhall betreut er jetzt mit Kollegen aus anderen Inspektionen. „Den Schichtdienst, der für Streifenpolizisten zum Arbeitsalltag gehört, wollte ich nicht immer machen“, sagt er.
Die Dienste in der Nacht seien für ihn irgendwann anstrengend geworden. „Das ist aber ein Typfrage. Ein paar Kollegen gehen während der ganzen Berufszeit dem Schichtdienst nach und mögen das.“ Um den Streifendienst hinter sich lassen zu können, musste Kaniber Bad Reichenhall erst einmal wieder verlassen.
Es war ein Risiko, doch er setzte auf sein Glück. Er bewarb sich um eine Stelle bei der Kriminalpolizei in Traunstein, bekam sie und blieb zwei Jahre. Als der Posten eines Sachbearbeiters Einsatz in seiner Heimatgemeinde frei wurde, zögerte er nicht. Es klappte, seitdem ist er wieder in Bad Reichenhall.
Er koordiniert jetzt die Polizeieinsätze bei Veranstaltungen, zum Beispiel bei der Biathlon-Weltmeisterschaft oder beim Neujahrsempfang der Bundeswehr in diesem Jahr. Er ist wieder da, wo er sein will.
Doch ausgerechnet in seiner Heimatstadt erlebte Thomas Kaniber den schlimmsten Einsatz seiner bisherigen Laufbahn, den Einsturz der Eishalle von Bad Reichenhall im Jahr 2006. Er war daheim und sah fern, als die Nachbarin, deren Mann bei der Feuerwehr arbeitete, an der Haustür klingelte. „Da ist was passiert“, sagte sie nur. Kaniber rief sofort in der Inspektion an. „Was ist los?“ „Du musst kommen“, antwortete der Kollege und legte auf.
Tödliche Schneelast
Nur diejenigen Polizisten, die im Urlaub waren, kamen an jenem Tag nicht auf die Dienststelle. Kaniber war unter den ersten, die vor der Eishalle standen. Er sperrte mit Kollegen das Gelände ab, damit die Bergungsarbeiten nicht gestört wurden, sicherte anschließend die Stelle, an der die Toten aufgebahrt wurden. Fünf Tage war er fast rund um die Uhr im Einsatz. „Die Bilder von damals kommen immer wieder“, sagt Kaniber und schweigt einen langen Moment. „Ich bin kein cooler Hund, das war heftig. Jedes Jahr kommt es wieder hoch, wenn in den Zeitungen der Toten gedacht wird“, sagt er dann.
„Es war wohl der schlimmste Moment in meinem Leben.“ An dem Tag, als die Eishalle einstürzte, verunglückten auch drei Schneeschuhwanderer aus Bayerisch Gmain. Es waren gute Bekannte von ihm. Weil man alle Bewohner so gut kenne, sei die Arbeit in einem Ort wie Bad Reichenhall in dieser Situation besonders schwierig gewesen, sagt Kaniber. Denn er kannte die Familien einiger Opfer.
Oft ist es aber auch von Vorteil, dass er die Leute im Ort kennt. Wenn ein Zeuge einen Unfallflüchtigen, einen Randalierer oder einen Einbrecher genau beschreiben kann, wissen Kaniber und seien Kollegen oft schnell, um wen es sich handeln könnte.
„Da passiert es dann oft, dass man denkt, denn kenn ich doch“, sagt er. Diejenigen, die er immer wieder in der Inspektion trifft, nennt er Stammkundschaft. Auch viele Bewohner von Bad Reichenhall wissen mittlerweile, dass Kaniber Polizist ist. Wenn er nicht im Dienst ist, passiert es häufig, dass ihn jemand fragt: „Du bist doch bei der Polizei?“ Deshalb ist es für ihn manchmal schwer, auch im Kopf die Uniform abzulegen.
Aber das macht ihm nichts. Schließlich liebt er seinen Beruf. Und wenn mal wieder wochenlang Einbrüche und Unfälle zu bearbeiten sind, weiß er: Das nächste Rentier kommt bestimmt.
> vberonica frenzel

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