Leben in Bayern

Schon jetzt ist das Defizit der Kreisklinik in Bogen in Niederbayern enorm. Die Angst dort ist groß, dass es in den kommenden Jahren noch weiter steigen wird. (Foto: Bäumel-Schachtner)

05.10.2023

Am Abgrund

Wird die Krankenhausreform gerade kleine Kliniken in die Pleite führen? Der Vorstand zweier Häuser in Niederbayern ist davon überzeugt

Zahlreichen Kliniken und Krankenhäusern in Deutschland steht finanziell das Wasser bis zum Hals. Sie sind hochdefizitär. Abhilfe will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit einer grundlegenden Krankenhausreform schaffen, die nach seinen Worten gerade auch die kleineren Kliniken absichern sollen. Doch die sind davon nicht überzeugt.

Stellvertretend dafür kann man Robert Betz, Vorstand der Kreiskliniken in Bogen und Mallersdorf im Landkreis Straubing-Bogen, nehmen. Er glaubt, dass ausgerechnet durch die Krankenhausreform viele kleine Häuser auf der Strecke bleiben werden, weil ihr Leistungsspektrum erheblich eingeschränkt werden wird. „Selbst in Fachkreisen ist die Tragweite der Reform teilweise noch nicht angekommen“, schlägt er Alarm. Betz ist seit vielen Jahren in der Geschäftsführung von Krankenhäusern – seit 2015 ist er Vorstand der beiden Kreiskliniken in Mallersdorf und Bogen.

Er liebt seinen Job, betont die Freude am Gestalten. Deshalb will er seinen Anteil leisten, dass die Menschen wohnortnah eine gute medizinische Versorgung erhalten. Doch in letzter Zeit wird sein Blick auf die Zukunft immer sorgenvoller. Auf der Brusttasche seines blauen Businesshemds klebt daher ein großer Aufkleber. Darauf steht geschrieben: „Alarmstufe Rot! Kliniken im Protest. Wir sind trotzdem für Sie da!“ In vielen politischen Gremien wie dem Kreistag von Straubing-Bogen ist Betz daher derzeit unterwegs, um Aufklärung zu leisten, was die geplante Krankenhausreform aus seiner Sicht für kleine Häuser an Ungemach bedeutet.

Das Defizit steigt schon jetzt immer weiter

Es muss etwas passieren, da ist sich Betz mit Lauterbach einig. Aber das Wie gefällt ihm überhaupt nicht. Das Defizit in seinem Haus baut sich seinen Worten nach folgendermaßen auf: In Bogen werden derzeit rund 6000 Patient*innen pro Jahr behandelt, vor Corona waren es rund 7000.

Nach dem bisherigen System bekommt die Klinik für jede behandelte Person eine Fallpauschale. Darin enthalten sind bereits heute auch sogenannte Vorhaltungskosten. Das bedeutet: Wenn jemand eine künstliche Hüfte bekommt, dann ist in der Fallpauschale zum Beispiel auch anteilig das Gehalt des Pförtners des Krankenhauses enthalten oder auch das des Geschäftsführers, nicht nur die reinen Kosten für die Operation. Allerdings liegt der Richtwert dieser Vorhaltungskosten bei einem durchschnittlichen Patientenaufkommen von 12 000 pro Jahr. Bogen bekommt also nur die Hälfte dieser Kosten vergütet, ungeachtet dessen, dass die Klinik ihrem Pförtner natürlich das gleiche Gehalt wie in einem größeren Haus zahlen muss. Die Folge ist, dass das Defizit des Krankenhauses immer mehr steigt – zulasten des Landkreises, der dafür aufkommen muss. Nicht anders ist es Betz zufolge in vielen anderen kleinen Kliniken.

Dass etwas passieren muss, steht für den Vorstand außer Frage. Ein Milliardendefizit ist die Ausgangsbasis an deutschen Kliniken – Tendenz stark ansteigend. Auch wegen der beschlossenen Tariferhöhung des Personals im kommenden Jahr von 8 Prozent. Diese wird laut Betz die Situation noch verschärfen, weil sich die Zuwendungen an den Kosten von vor zwei Jahren orientieren. Und auch, wenn der Bund für das laufende Jahr einen einmaligen Zuschuss für die gestiegenen Energiekosten gab, bestehe großer Handlungsbedarf.

Laut dem Eckpunktepapier zur Reform, die nach dem Willen Lauterbachs am 1. Januar 2024 in Kraft treten soll, werden die medizinischen Leistungen in 65 Gruppen eingeteilt, für deren Vorhaltung es ein mengenunabhängiges Budget gibt. Für jede Gruppe gibt es außerdem Mindestqualitätsanforderungen. Das Ministerium argumentiert damit, dass somit die Qualität und nicht mehr die Quantität die Versorgung bestimmt.

Das Vorhaltungsbudget soll sich anfangs am bisherigen Leistungsspektrum orientieren, in der Folge aber neu bewertet werden. „Die klare Prognose lautet: Es gibt weniger Fälle als bisher“, schätzt Betz. Ein Beispiel nennt er: Bogen hat einen Herzkatheter-Messplatz. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Leistung künftig nicht mehr angeboten werden darf, weil dafür die nötige, vom Bund vorgegebene Mindestanzahl an ärztlichem Fachpersonal nicht gegeben ist – eine Mindestanzahl, die Bogen aus Betz’ Sicht aber gar nicht braucht, um seine Patient*innen nach allgemein anerkannten Qualitätsstandards zu versorgen.

Zur Herz-OP nur noch ins größere Krankenhaus

Die Folge: Herzpatient*innen können nicht mehr nach Bogen, sondern müssen zum Beispiel ins größere Krankenhaus nach Straubing. Das überlaste die größeren Standorte, die dann plötzlich die Patient*innen aller anderen Kliniken, die diese Leistung bisher erbringen, auffangen müssen. Das geht nach seinen Worten auch zulasten von Menschen, die keine Notfälle sind, sondern zum Beispiel ein künstliches Kniegelenk brauchen oder eine spezielle Untersuchung: „Lange Wartezeiten werden die Folge sein.“

Wenn die Verdichtung der Arbeitsintensität in den Häusern höherer Level immer weiter steigt, steigt Betz zufolge auch die Unattraktivität der großen Arbeitgeber. Und auch diese Häuser bekommen weniger Fachpersonal.

Dazu kommt, dass sich kleine Häuser wie Bogen nicht finanziell verbessern würden. Der Experte erklärt es so: In der derzeitigen Vergütungsmethodik werden bereits heute die Vorhaltungskosten je Fall über die Fallpauschalen (genannt DRG) anteilig vergütet – eben wie das Gehalt des Pförtners, das im Budget einer Hüftoperation anteilig enthalten ist.

„Wir erhalten stabil für die letzten Jahre rund 38 Prozent unserer Einnahmen aus diesem Bereich der Vorhaltungsvergütung.“ Nach dem Eckpunktepapier sollen künftig 60 Prozent der bisherigen Vergütung einfließen. „In diesen 60 Prozent Vorhaltungsbudget enthalten sind aber auch die Kosten für das Pflegepersonal am Bett, das bei uns derzeit rund 22 Prozent der Vergütung ausmacht“, sagt Betz.

Insgesamt erhalte man also schon jetzt 60 Prozent der Vergütung über die Fallpauschalenvergütung. Für Bogen gebe es also keine Verbesserung – und nach der Übergangszeit sogar eine Verschlechterung, weil man wohl nicht mehr alle Leistungen erbringen dürfe.

Dadurch ergibt sich für Betz ein Rattenschwanz an negativen Folgen. Die wohnortnahe Daseinsvorsorge stehe auf dem Spiel, ebenso die Gleichheit der Versorgung in der Stadt und auf dem Land. Das System sei nicht ökologisch, wenn Kranke lange Anfahrtswege in Kauf nehmen müssen – und auch die Angehörigen, die gerade auch ältere Menschen oft täglich besuchen. Der Hausarzt oder die Hausärztin stünden jedes Mal vor dem Problem, in welches Krankenhaus sie die Patient*innen mit welcher Perspektive schicken sollen.

Konsequenzen auch für die Ausbildung

Auswirkungen auch auf den Rettungsdienst seien zu befürchten: Schon jetzt sei die Besetzung ein Problem, zudem könne ein gefährlicher Transporttourismus daraus resultieren und geradezu ein Betteln um Patientenübernahme.

Das zeichne sich schon heute ab. „Zudem sind begonnene Baumaßnahmen in kleineren Häusern dann hinausgeworfenes Geld“, ärgert sich Betz. Die Schließung von Kliniken koste, die Immobilien stünden ungenutzt. Auch neue Strukturen für die Erweiterung großer Kliniken oder zusätzliche neue große Kliniken seien immens teuer.

Und auch in Sachen Ausbildung von Pflegekräften schlägt Betz Alarm. Keine junge Nachwuchspflegekraft, die im Landkreis Straubing-Bogen wohne, pendle zur Ausbildung zum Beispiel eine Stunde einfachen Weg täglich nach Passau oder Landshut, weil es das Krankenhaus vor Ort nicht mehr gibt. Sie ergreife dann einfach einen anderen Beruf. Dies habe einen weiteren Notstand in der Pflege zur Folge. Zudem falle es dann kleineren Krankenhäusern, die bestehen können, schwer, Assistenzärzt*innen zu finden, wenn das Leistungsspektrum reduziert ist.

Das Hauptproblem an der Reform ist laut dem Fachmann, dass die regionalen Unterschiede in der Krankenhauslandschaft nicht berücksichtigt werden. Niederbayern habe von Haus aus einen niedrigeren Bettenbestand als zum Beispiel Nordrhein-Westfalen. „Als Bundesminister sollte Karl Lauterbach die Minister der Länder auffordern, eine regionale Planung zu forcieren und in einem Zeitraum von zehn Jahren die Krankenhauslandschaft in den Regionen zu verändern“, wünscht sich Robert Betz.

Es sei viel besser, wenn eine Krankenhausplanung und -reform Ländersache bleibt: „Sie muss auf regionale Einheiten heruntergebrochen werden.“ Denn eines weiß der Vorstand der Kreiskliniken Bogen und Mallersdorf sicher: „Von der Krankenhausreform sind nicht nur die Kliniken betroffen, sondern in erster Linie auch die Bevölkerung.“ (Melanie Bäumel-Schachtner)
 

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