Am Orleansplatz am Münchner Ostbahnhof: Es ist nachmittags um 15 Uhr, als sich an der Ecke langsam ein kleines gemischtes Grüppchen bildet. Ein Ehepaar mit einem Baby im Schlepptau, mehr Frauen als Männer, einige mit Rädern. „Ich bin gespannt, wo es hingeht“, sagt eine der Teilnehmerinnen der Stadtführung, die gleich losgehen soll. Doch zuvor gibt es noch ein kleines Frage-und-Antwort-Spiel. Ob man schon mal auf einer Kleidertauschparty war, will die Stadtführerin wissen. Oder auch, ob man das Wort „Upcycling“ kenne.
Bei dieser dreistündigen Stadtführung geht es nämlich nicht um Sehenswürdigkeiten. Sie ist eine Art Öko-Spaziergang – davon gibt es immer mehr in Bayerns Städten – und nennt sich „Konsumkritischer Stadtrundgang“. Veranstalter ist die Katholische Akademie Bayern. Man besucht dabei nachhaltige Läden und Einrichtungen. Durchgeführt wird der Spaziergang von der Jugendorganisation des Bund Naturschutz.
An der ersten Station an der Rosenheimer Straße rauscht der Verkehr. Irina Braun muss ihre Stimme erheben, damit alle Teilnehmer sie hören können. „Brauchen wir wirklich jedes Jahr ein neues Handy?“, fragt die 23-jährige Sozialpädagogin in die Runde. Zusammen mit der 20-jährigen Studentin Wiebke Dobers gestaltet sie den Stadtrundgang. Ihre Motivation: „Ich versuche selbst nachhaltig zu leben und möchte das an andere weitergeben.“
Hinter Braun befindet sich die Phoneklinik, die Handys und Smartphones repariert. Eine Alternative also zum Wegwerfen und Neukaufen. Wie unser Konsum die Natur und auch die Menschen beeinflusst, steht auf Infoblättern, die Braun an die Zuhörer verteilt. Dabei erfährt man zum Beispiel, unter welchen gefährlichen Bedingungen in Peru nach dem Gold geschürft wird, das in Smartphones steckt. Illegale Goldsucher verwenden dort Quecksilber als Filter, das ganze Landstriche vergifte.
Auch bei dem Recycling der Mobilfunkgeräte hapert es, erfahren die Teilnehmer. In München liefere jeder Bürger im Schnitt sieben Kilogramm Elektroschrott ab. Der Rest-Schrott und damit auch die Giftstoffe gelangen oft nach Afrika oder Asien.
An der zweiten Station an der Sedanstraße befindet sich ein Gebrauchtkleiderladen. Braun und Dobers erklären, wie viele Rohstoffe die Produktion von Neukleidung verschlingt. Für ein T-Shirt werden zum Beispiel 2945 Liter Wasser benötigt. Die beiden zeigen Bilder vom Aralsee, der langsam aber sicher austrocknet und dessen Umland durch Pestizide verseucht ist. Der Grund: In der Sowjetunion wurden in den 1930er-Jahren um den Aralsee herum Baumwollplantagen angelegt und für deren Bewässerung die Zuflüsse des Sees umgeleitet.
Wie die Produktion von Kleidern mit dem Verbrauch von Wasser zusammenhängt, wird den Teilnehmern am Rundgang auch ganz konkret nahegebracht. Jeder erhält ein kleines Fitzelchen Baumwollstoff, so groß wie eine Cent-Münze. Kaum zu glauben: Für die Produktion dieses kleinen Stoffteilchens wird ein Liter Wasser benötigt. Aber es gibt Alternativen zum Konsum: Gebrauchtläden oder Partys, auf denen man Kleidung tauschen kann. „Man muss halt überlegen, was man wirklich braucht“, meint eine Teilnehmerin. Ein anderer sagt: „Man kann auch nähen lernen und kleine Löcher im Stoff reparieren, man muss nicht gleich alles wegwerfen.“
Beim Thema Fleischkonsum widerspricht mancher aus der Teilnehmergruppe
Dann macht die Gruppe Station an der Breisacher Straße vor einem veganen Restaurant. Fleischkonsum sei ein ziemlich kontrovers diskutiertes Thema, wie die beiden Sozialpädagogen zugeben. Braun und Dobers konfrontieren die Teilnehmer mit Statements zum Thema: „Die Menschen in Deutschland könnten ihren Fleischkonsum problemlos um die Hälfte reduzieren“ oder „Es gibt genug Alternativen zu Fleisch“. Doch da ernten sie aus der Teilnehmergruppe auch Widerspruch. „Ich kenne kein wirkliches Soja-Produkt, das Fleisch ersetzen kann“, meint einer. Ein anderer betont: „Spareribs, die man schön abnagen kann, sind schon lecker.“ Die Männer, so scheint es, gehören eher zu den Fleisch-Freunden. Kontrovers diskutiert wird auch die These, ob die hohen Preise für Biofleisch angemessen sind. „Ganz und gar nicht“ meint wieder einer der Männer, die Produktionskosten seien doch nur geringfügig höher und der Aufschlag unangemessen.
Am Ende ist wohl keiner der Teilnehmer zum Veganer geworden, doch die Bilanz der meisten fällt positiv aus. „Hat mir gut gefallen und war informativ“, hört man. Die beiden Stadtführerinnen geben allen quasi als Fazit noch eine Art Öko-Ratschlag mit auf den Weg: Sich lieber kleine Umstellungen bei Konsum und Ernährung vornehmen. Denn radikale Verzichte seien oft nicht machbar und hätten deshalb keinen dauerhaften Erfolg. (Rudolf Stumberger)
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