Das Hochwasser ist auch eine Chance“, sagt Matthias Ziegler, Betreiber der Kabarettbühne Scharfrichterhaus. Das Theatergewölbe mit den roten Samtsofas, der schwarz lackierten Bühne und der Wiener Kaffeehauseinrichtung war fast bis zur Decke abgesoffen. Auf mindestens 600.000 Euro wird der Schaden an Inventar und Gebäude geschätzt. Baustelle. Stillstand. Wiedereröffnung vielleicht im Oktober. „Das Scharfrichterhaus wird es in der alten Form nicht mehr geben“, sagt Ziegler. Das nostalgischen Kellertheater will er umgestalten in einen Multifunktionsraum mit einer modernen Bar. Die Nachricht aus Berlin, die bis zu 80 Prozent Entschädigung in Aussicht stellt, hat Ziegler zuversichtlich gestimmt. Er hätte sonst vermutlich hingeworfen.
Zwei Bautrockner brummen in dem historischen Gewölbe, das Sprungbrett für Kabarettisten wie Ottfried Fischer, Hape Kerkeling oder Bruno Jonas war. Die Wände sind bis auf die Ziegel freigelegt. Über dem Treppenaufgang zur Hinterhofterrasse zeugt frischer Putz von einem Gewaltakt während der Katastrophe. Die Donau stieg so schnell, dass der Konzertflügel über den Haupteingang nicht mehr in Sicherheit gebracht werden konnte. Der Notweg war zu eng. Die Helfer griffen zu Hammer und Stemmeisen.
Bis zu 80 Prozent Entschädigung aus Berlin
Wie schwer die 50 000 Einwohner-Stadt getroffen wurde, belegen die aktuellen Zahlen. In Passau wurden bislang rund 7,4 Millionen Euro an staatlichen Hilfsgeldern an rund 1500 Privathaushalte und 550 Gewerbetreibende ausbezahlt. Die Stadt selbst beklagt Schäden in Höhe von zehn Millionen Euro an ihren öffentlichen Einrichtungen – die kommunale Töchter Stadtwerke (Parkhäuser) und WGP (Wohnungen) nicht eingerechnet.
15 Flutgeschädigte wurden als Härtefälle eingestuft, zum Beispiel ein Tankstellenbetrieb, der abwärts der Dreiflussecke an den Donauauen angesiedelt ist. Die Familie Putz, zwei Generationen, die wegen der benachbarten österreichischen Billigtankstelle ohnehin um ihre Existenz kämpfen, hatten im Überschwemmungsgebiet fast eine Million Euro Schaden erlitten. Werkstatt und Waschanlage, Wirtshaus und Wohnhaus, Pferdestallungen und Koppeln – alles von Wasser und Schlamm vernichtet. Schwarze Limousinen fuhren Mitte Juli plötzlich vor. Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und sein bayerischer Kollege Martin Zeil (FDP) saßen darin und versprachen persönlich Unterstützung.
Die Kunstnacht, das Sommerfest der Altstadt, hatte eine besondere Magie nach der Katastrophe. Plätze, welche sich die Flut genommen hatte, wurden zum Tanzboden. Die Gassen selbst verwandelten sich in Freiluftkneipen und Hauseingänge zu Musikbühnen. Das tröstete über die Wehmut hinweg, dass Passau durch die Flut viele Kneipen und Bars verloren hat. Der heiße Sommer ist ideal. Er hilft den Wirten, im Freien zu improvisieren – und trocknet das nasse Mauerwerk. Der Inhaber eines Kunsthandwerkslädchens in der Klaftergasse hat mitgezählt, wie oft er seine drei Luftentfeuchter ausgeleert hat. „Alle acht Stunden waren die 20-Liter-Behälter voll, 4000 Liter in vier Wochen“, berichtet Walter Waldeck. Sein Büro hat er auf eine schnell gezimmerte Holzterrasse vor den Laden gebaut. Ein beschaulicher Arbeitsplatz, solange das Wetter mitspielt.
Das Wir-Gefühl zwischen Bürgern und Studenten, das die Nachbarschaftshilfe im Schlamm geboren hat, wächst bei solchen Flutfesten, die es in diesem Passauer Sommer häufig gibt. Die Luft vibriert dann wie in den Partynächten im mittelalterlichen Kern von Lissabon. In der steilen Pfaffengasse am Domberg sitzen fröhliche Menschen dicht gedrängt wie auf der Spanischen Treppe in Rom. In der Höllgasse, dem Künstlerviertel, erzeugen Musikanten mit Harfe und Akkordeon die Melancholie des sinkenden Venedigs. Am Rathausturm fesseln nicht die dramatischen Hochwassermarken die Touristen, sondern eng verschlungenen Paare mit leidenschaftlichen Tangoschritten.
Hochwasserhilfe in Höhe von einer Million Euro hat die Caritas Passau, ausgeschüttet. Fast jeder der 1500 betroffenen privaten Haushalte hat sich die kirchliche Soforthilfe von 300 Euro abgeholt. Die andere Hälfte wurde in Absprache mit Stadt und Landkreis Passau an je rund 100 besonders Bedürftige vergeben. Die Kirche ist selbst hart getroffen.
Das Passauer Trinkwasser hatten die Stadtwerke früher vor Stolz in Flaschen abgefüllt. Nach der Flutkatastrophe ist der gute Ruf des Passauer Wassers dahin. Seit Ende Juli muss es erneut gechlort werden. Die Bürger sollen es vor dem Trinken abkochen. Die Trinkwasserbrunnen auf der Donauinsel in der Soldatenau waren auf ein Hochwasser der Katastrophe von 1954 auslegt. Die Brunnen wurden überflutet. Jetzt wurden Darmbakterien bei den täglichen Tests gefunden. Die Verunreinigung, so heißt es, habe mit den Folgen der Flutkatastrophe zu tun.
Die Handwerker werkeln in Passau Tag und Nacht. „Ich habe vier Aushilfen angestellt und schiebe selbst eine 100-Stunden-Woche“, sagt Elektromeister Michael Kapfer. Maler und Maurer, Schreiner und Installateure kommen mit den Aufträgen nicht hinterher. Der Nachwuchsmangel der heimischen Betriebe wird deutlich wie nie. Die Autokennzeichen der Firmenwagen stammen aus dem gesamten Bundesgebiet. Fachkräfte werden in Polen und Rumänien angeworben.
In der Innstadt wird eine neue Gasleitung verlegt. Sie ist überfällig. Nach dieser Flut haben offenbar auch die letzten Hausbesitzer im Überschwemmungsgebiet eingesehen, dass Ölheizungen die schlimmste Katastrophe in der Katastrophe sind. Verseuchte Häuser, vergiftete Umwelt. Besonders tragisch: Das „Schloss Ort“, eines der besten Altstadtrestaurants, wird wohl schließen müssen. Die dringend notwendige Totalsanierung wegen ölverseuchter Wände wollten weder der Hausbesitzer noch der Pächter, der den 1000-Liter-Heizöltank in seiner Privatwohnung hatte, zahlen. Leidtragende sind die Betreiber des Restaurants.
Auch der 39-jährige Barbier Besim Mziu macht seinen Laden dicht. Allerdings nur vorübergehend. Er zieht in eine höher gelegene Straße. Als er seine teuren Rasierapparate retten wollte, war das Wasser schon zu hoch. Besonders ärgerlich: Ein Bußgeld kassierte er am Katastrophentag auch noch. In der Aufregung hatte er beim Autofahren zum Handy gegriffen und mit seiner Frau telefoniert.
Warum waren Ölheizungen nicht ängst verboten?
Statistisch gesehen kann die nächste Flutkatastrophe übermorgen kommen – oder in 100 Jahren. Ob die Passauer dann besser vorbereitet sind, entscheidet sich jetzt. Nach dem Hochwasser 2002 haben sie das Wasser verdrängt und nicht wirklich dazugelernt. Im Rathaus lagen im Jahr 2010 zwar Karten öffentlich aus, die die amtlichen Überschwemmungsgebiete zeigen. Jeder Hausbesitzer solle sich darauf einrichten und Vorsorge treffen. „Hochwasserschutz: Ölheizung sichern“, hieß es. Doch wenige Passauer schenkten dem Beachtung. Heute weiß man: Die offiziellen Überschwemmungskarten des Wasserwirtschaftsamts haben sogar noch untertrieben. Die Pegel kletterten einen halben Meter höher als berechnet.
Die Frist der Kommunen, per Verordnung in Überflutungszonen zum Beispiel Ölheizungen und neue Baugebiete zu verbieten, war bis 22. Dezember 2013 verlängert worden. Absurd sind die Entscheidungen auch jetzt: Bis zu 10 000 Euro zahlt die öffentliche Hand nach der Flut jedem Hausbesitzer mit ölverseuchten Gebäuden an Soforthilfe. Andrerseits gewährt der kommunale Betrieb Stadtwerke jedem Hausbesitzer nur läppische 500 Euro Zuschuss, wenn er auf Gas umrüstet. Auch der Passauer Kabarettist Sigi Zimmerschied hat durch die Ölkatastrophe nun ein unbewohnbares Haus. Warum werden in einer Stadt, die gerne die Durchmesser von Mülleimern vorschreibt, gefährdete Öltanks bei drohendem Hochwasser nicht zwangsweise abgepumpt, fragt er ärgerlich. (Hubert Jakob Denk)
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