Leben in Bayern

Biergärten wie der Aumeister im Englischen Garten in München sind wochenlang dicht. (Foto: Felix Hörhager/dpa)

26.07.2020

Ausnahmezustand und neue Normalität

Seit einem halben Jahr bestimmt das Coronavirus das Leben in Bayern. Während andere Bundesländer einen deutlich lockereren Kurs fahren, setzt der Freistaat weiterhin auf Vorsicht. Einiges, was vor kurzem noch undenkbar war, gehört nun zum Alltag

Am Anfang war das neue Coronavirus weit weg. Es wütete um den Jahreswechsel in der chinesischen Millionenmetropole Wuhan, die zuvor hierzulande kaum jemand auch nur dem Namen nach kannte. Doch es war nur eine Frage der Zeit - am 27. Januar erreichte das Virus nachgewiesenermaßen Bayern und damit Deutschland.

In der Folge veränderte sich das Leben im Freistaat in zuvor kaum vorstellbarem Maße: Zum Verlassen der eigenen vier Wände brauchte man einen "triftigen Grund", soziale Kontakte fielen flach, Schulen, Kneipen und Geschäfte blieben geschlossen. Das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wurde im Schockfroster tiefgekühlt - und erst nach Wochen in kleinen Portionen wieder aufgetaut.

Was am Ende das Leben jedes einzelnen Menschen in Bayern berührte, begann mit einer Fortbildung: Beim internationalen Autozulieferer Webasto steckte sich ein Mitarbeiter bei einer chinesischen Kollegin an, die zu einer Schulung an den Firmensitz in Gauting bei München gereist war. Am Ende dieses ersten Ausbruchs tragen 14 Mitarbeiter und Angehörige das Virus in sich.

Viel weiß man über Sars-CoV-2 damals noch nicht - außer, dass es eine Covid-19 genannte Lungenkrankheit auslösen kann. Die nimmt vor allem bei Älteren mit Vorerkrankungen häufiger einen tödlichen Verlauf.

Mit den Winter-Urlaubern kommt das Virus verstärkt nach Bayern

Die Ausbreitung der ersten Infektionen im Freistaat kommt schnell unter Kontrolle. Mit den Urlaubern, die nach den Winterferien aus dem österreichischen Viren-Hotspot Ischgl oder aus Italien zurückkehren, können die Gesundheitsämter die Infektionsketten allerdings nicht mehr nachvollziehen, die Pandemie gerät außer Kontrolle.

Der Freistaat muss reagieren. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sieht keinen anderen Weg, als Bayern schneller und konsequenter in den sogenannten Lockdown zu führen als die Regierungen in allen anderen Bundesländern. Bei den Schulschließungen etwa ist er bundesweit die treibende Kraft. Sein auf maximale Vorsicht bedachtes Krisenmanagement beschert ihm mehr Lob als Kritik - sogar von der Opposition -, Höhenflüge in Umfragen und den Spitznamen "Krisen-Kanzler".

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Söders Regierung den Landtag um Rekordkreditermächtigungen und damit eine noch nicht endgültig absehbare Rekordneuverschuldung in zweistelliger Milliardenhöhe bitten muss. Söder fährt einen ungleich härteren Kurs als NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dessen Bundesland ebenfalls stark betroffen ist. Dennoch - oder gerade deswegen - gilt er im Sommer 2020 als Wunschkandidat vieler Bürger auch außerhalb Bayerns für die Nachfolge von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Fakt ist: Einen Tag nach dem ersten Corona-Toten in Bayern am 12. März dürfen Angehörige ihre Lieben in Alten- und Pflegeheimen nicht mehr besuchen. Am 16. März dann wird das Leben breiter Bevölkerungsschichten durcheinandergewirbelt: Von da an sind alle Krippen, Kindergärten und Schulen geschlossen. Die Grenze nach Österreich darf nach einer Entscheidung des Bundesinnenministeriums nur noch aus triftigem Grund überquert werden. Und nicht zuletzt ruft die Staatsregierung an jenem Montag den Katastrophenfall aus.

"Es geht um Zeit, schlicht und einfach Zeit", begründet Söder damals den Schritt. Noch in der gleichen Woche werden Spiel- und Sportplätze mit Flatterband abgesperrt, der Besuch von Bars, Kinos und Schwimmbädern ist passé, ebenso der genussvolle Abend im Restaurant oder bei einem Konzert. Mit Ausnahme von Supermärkten, Drogerien und anderen Grundversorgern bleiben auch sämtliche Geschäfte dicht.

Ab Ende März gibt es Ausgangsbeschränkungen für ganz Bayern

Es beginnt die Zeit der Hamsterkäufe, vor allem Klopapier und Nudeln sind heiß begehrt. Desinfektionsmittel ist vielerorts ausverkauft. Selbst Kliniken kommen kaum noch an Mundschutzmasken, Schutzkleidung für Mediziner ist Mangelware und wird ebenso fieberhaft auf dem Markt aufgekauft wie Beatmungsgeräte für Intensivbetten.

Am 18. März wird erstmals eine Ausgangssperre verhängt, für die Stadt Mitterteich im besonders betroffenen Landkreis Tirschenreuth. Am Ende dieser von vielen als surreal empfundenen Woche treten dann Ausgangsbeschränkungen für ganz Bayern in Kraft: Menschen dürfen nur noch mit "triftigem Grund" das Haus verlassen und sich ausschließlich mit Angehörigen ihres eigenen Hausstands im Freien aufhalten. Für Begegnungen mit anderen wird ein Mindestabstand von 1,5 Metern Pflicht. Selbst die Kommunal-Stichwahlen finden rein als Briefwahl statt, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Erst nach einem Monat gibt es die erste leichte Lockerung: Man darf sich nun auch mit einer einzelnen Person außerhalb des eigenen Hausstands treffen.

In der Zwischenzeit hagelt es Absagen von Großveranstaltungen wie dem Oktoberfest. Die Zahl der Kurzarbeiter steigt rapide an. Selbstständige, Unternehmen und besonders betroffene Branchen rufen laut nach Unterstützung. Land wie Bund schnüren deshalb im Eiltempo Hilfspakete in astronomischen Höhen. So beschließt der Bundestag Ende März ein Maßnahmenpaket mit Hilfen im Gesamtwert von rund 750 Milliarden Euro, einen Monat später stockt Bayern seinen Rettungsschirm auf 60 Milliarden Euro auf.

Parallel gibt es erste leichte Lockerungen: Mit Einführung einer Maskenpflicht in Geschäften und dem öffentlichen Nahverkehr dürfen am 27. April weitere Geschäfte öffnen, Schüler kehren jahrgangsweise und im Wechsel mit Heimunterricht zurück an die Schulen. Obwohl Bayern bis heute das Bundesland mit den meisten Infizierten und Corona-Toten ist und Infektiologen wie Politiker vor einer zweiten Welle warnen, gewinnt das Leben peu à peu an Normalität - auch wenn zur "neuen Normalität" weiterhin geschlossene Kneipen, Geisterspiele in der Bundesliga sowie der stets griffbereite Mund-Nasen-Schutz gehören.
(Elke Richter, dpa)

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