Leben in Bayern

Birgit Sauerschell alias Clown Kaala Knuffl auf dem Lichtenfelser Friedhof. (Foto: dpa/Nicolas Armer)

26.02.2021

Kaala Knuffl bringt Farbe auf Trauerfeiern

Die oberfränkische Psychologin Birgit Sauerschell tritt als Clown bei Beerdigungen auf

Mit weißen Luftballons in der Hand und mit roter Nase läuft der Clown vorbei an Grabsteinen und Holzkreuzen. Kaala Knuffl hat sich nicht etwa verirrt – der Friedhof ist ihr Terrain. Als sogenannter Beerdigungsclown tröstet sie, spielt Geige, jongliert, improvisiert, hält Reden – oder hält sich im Hintergrund. Hinter der Maske steckt Birgit Sauerschell, eine Psychologin aus Lichtenfels.

Meistens bringt sie als Klinikclown schwer kranke Kinder zum Lachen oder tritt als Clown bei Familienfesten, in Senioren-, Pflege- und Behindertenheimen auf. „Ein Clown ist nicht nur lustig, er ist auch sensibel und empfindsam“, sagt die 56-Jährige. Vor über zwei Jahren wurde sie von der „Idee geküsst“, wie sie sagt, etwas zu verbinden, das auf den ersten Blick gegensätzlich scheint: Trauer und Humor.

Für die Schwestern Ilka Kuhlmann und Gabriele Arnoldt aus Thüringen war Kaala Knuffl eine Stütze: Nach dem Tod ihrer Mutter im vergangenen Jahr organisierten sie eine „Erinnerungsfeier“. Den Begriff „Trauerfeier“ verwenden die Schwestern bewusst nicht. „Unser geliebtes Muttichen hat nie geklagt, sie war immer lustig und hat oft Schmerzen und Traurigkeit überspielt, mit einem Lächeln und guter Laune. Eben wie ein Clown: Man erwartet von ihm, dass er gute Laune verbreitet, immer lustig ist und andere zum Lachen bringt – obwohl es in seinem Inneren oftmals ganz anders aussieht.“

Die Mutter habe Ballons geliebt: 70 beziehungsweise 80 Ballons flogen an ihren letzten runden Geburtstagen in die Luft. Bei der Erinnerungsfeier füllte Kaala Knuffl die Ballons mit Gas und verteilte sie an die Gäste. „Da meine Schwester und ich nicht in der Lage gewesen wären, war uns klar, dass dies die Aufgabe von Kaala Knuffl wird“, erzählt Ilka Kuhlmann. „Alle Personen sind ins Freie getreten und dann sprach das, was man sah, für sich.“ Dutzende Ballons stiegen in den Himmel – und mit ihnen persönliche Gedanken an die verstorbene 81-Jährige. „Ein Clown ändert die Atmosphäre“, findet Sauerschell. Sie würde, wenn gewünscht, auch tanzen oder mit einem Fußball ums Grab rennen. „Offen – nicht ganz dicht“, beschreibt sich Sauerschell auf der Homepage.

Sauerschell will keinesfalls durch die Rolle als Clown Trauer und Schmerz „wegschieben“

„In einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung und ein selbstbestimmt geführtes Leben zu den zentralen Werten gehören, soll natürlich auch die Beerdigung eines Menschen möglichst individuell sein und dem Leben der oder des Verstorbenen gerecht werden“, sagt Simon Walter von der Stiftung Deutsche Trauerkultur. Mit einer Einschätzung hält sich Johannes Minkus von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zurück, da er noch nie einen Clown auf einer Beerdigung erlebt hat. „Die Clownsrolle kann ein gutes Instrument sein, um Gefühlen geschützt Ausdruck zu verleihen“, kann er sich vorstellen. Angehörigen zu helfen, den Schmerz ihres Verlustes auszuhalten, das ist auch ein Ziel von Seelsorgern. „In unserer Gesellschaft wird häufig versucht, Trauer und Schmerz möglichst rasch zu überwinden“, sagt Minkus. Daher sei es eine Aufgabe von Seelsorgern, die Trauernden zu ermutigen, ihre Trauer und den Schmerz zu akzeptieren. „Auch zu akzeptieren, dass es seine Zeit braucht, um den Verlust zu verarbeiten.“

Sauerschell will keinesfalls durch die Rolle als Clown Trauer und Schmerz „wegschieben“, betont sie. „Trauer hat ihre Berechtigung. Aber es ist gut, wenn man zwischendurch auch die andere Seite des Lebens spürt und erlebt.“ Ein Clown fokussiere sich nicht auf die Trauer und Hoffnungslosigkeit. „Ein Clown sagt Ja, macht weiter und verharrt nicht im Stillstand. Er kann Sichtweisen auf Situationen ändern. Für den Trauerprozess kann das hilfreich sein – und heilend.“ Sie selbst ist gläubig und kann sich vorstellen, die Rolle des Clowns auch mit kirchlichen Ritualen zu verbinden.

Als Beerdigungsclown wurde Sauerschell bisher zweimal gebucht. Das Konzept finde nicht überall Anklang, erzählt die Oberfränkin. „Viele wissen noch nichts vom Beerdigungsclown, und es gibt Leute, die glauben nicht, dass das klappt. Es ist auch eine konservative Gegend.“

Für Kinder im Vorschul- und Grundschulalter bietet Sauerschell ein gesondertes Programm zum Thema Tod an: Kaala Knuffl trauert, da sie ihren Bruder Carrlo verloren hat. Sie durchlebt Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit, Wut. „Sie hat einen Koffer von ihm geerbt und erinnert sich durch den Inhalt an die Dinge, die Carrlo gut konnte und die er ihr beigebracht hat. Sie bekommt eine Idee davon, wie er durch das Nutzen und Ausbauen des Gelernten weiterlebt und bei ihr bleibt“, beschreibt Sauerschell das Konzept. Den Kindern soll so eine bildhafte Auseinandersetzung mit Tod, Verlust und Trauer ermöglicht werden. Sauerschell bietet das Programm in Kindergärten, Schulen oder Einrichtungen für Menschen mit Förderbedarf an.

„Wir würden uns wünschen, dass es in Zukunft noch viel mehr Menschen gibt, die offen sind für etwas Neues“, sagen die Schwestern Ilka Kuhlmann und Gabriele Arnoldt. „Denn nichts ist so beständig wie die Veränderung.“ Ein Störfaktor sei der Clown auf der Erinnerungsfeier ihrer Mutter keinesfalls gewesen. „Kaala hat es mit ihrem Outfit und ihrer Art geschafft, dass aus Trauertränen Glückstränen wurden. Unser Muttichen hat von oben zugesehen und sicher geschmunzelt.“
(Carolin Gißibl, dpa)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sind Zurückweisungen an den Grenzen sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.