Leben in Bayern

Johannes Bruckmeier mit seinem Blindenstock im Skaterpark. (Foto: dpa/Karmann)

20.05.2022

"Das ist doch das Normalste der Welt"

Johannes Bruckmeier ist blind und fährt Skateboard – er findet daran nichts Besonderes und setzt sich dafür ein, dass auch andere das so sehen

Johannes Bruckmeier ist 27 Jahre alt, Skateboarder – und blind. Wenn er mit Skateboard und Blindenstock durch die Stadt düst oder im Skatepark übt, bleiben die Leute stehen. „Die Reaktionen sind überall gleich“, sagt er. „Meist so was wie „Boa, krass“. Mittlerweile kommen auch Selfies dazu, was ich seltsam finde.“ Dass er trotz seiner Behinderung Skateboard fährt, empfindet er nicht als besonders. „Für mich ist es das Normalste der Welt.“ Johannes Bruckmeier hat Retinitis pigmentosa, eine Erbkrankheit, bei der die Zellen der Netzhaut nach und nach absterben. 30 000 bis 40 000 Menschen leiden nach Angaben der Selbsthilfevereinigung Pro Retina in Deutschland an einer der verschiedenen Formen.

Eine Operation im Alter von sechs Jahren hat bei Bruckmeier das weitere Fortschreiten verhindert. „Ich habe ein Gesichtsfeld von fünf Grad, das entspricht dem Durchmesser einer Klopapierrolle. Gesetzlich bin ich damit blind.“ Lange habe er mit seiner Behinderung gehadert, sagt Bruckmeier. Er habe versucht, diese zu kaschieren oder mit Humor zu überspielen.

Als vor vier Jahren eine Beziehung in die Brüche ging, habe er mit dem Skateboardfahren begonnen. „Und seitdem bin ich dabei – jeden Tag mehrere Stunden. Ich richte auch mein ganzes Leben darauf aus.“ An den Wochenenden ist Bruckmeier immer unterwegs, um bei Wettbewerben anzutreten und in anderen Städten zu skaten. Auch sonst verbringt er jede freie Minute auf dem Skateboard.

Wie an diesem Morgen, an dem er vor seiner Arbeit als Physiotherapeut noch ein paar Runden in einem Skatepark am Nürnberger Burggraben dreht – immer mit dem Blindenstock voraus. Dieser ist kräftig verbogen, weil Bruckmeier beim Fahren in der Innenstadt über Müll gefallen ist, der von einer Kulturveranstaltung liegen geblieben ist, wie er erzählt.

Selbst ein gebrochener Oberarm hältihn nicht auf

„Ab und zu passiert es, dass ich über etwas drüberfahre, was ich nicht gesehen habe. Das ist ein Risiko, das ich eingehe“, sagt Bruckmeier. Gerade beim Skaten hat er Probleme mit den Kontrasten und muss sich auf seine anderen Sinne verlassen. Auch die ein oder andere Blessur hat er sich dabei schon zugezogen: Auf seinem Oberarm sind die Narben der Operation noch deutlich sichtbar. Im September hatte er sich diesen bei einem Contest gebrochen.

Zwei Wochen danach habe er schon wieder auf dem Skateboard gestanden, erzählt Bruckmeier. Auch an diesem Morgen springt er sofort wieder auf, wenn er fällt – und macht zehn Liegestützen. „Als Bestrafung für meine Unkonzentriertheit“, sagt er und grinst.

Der Skatepark ist zu so früher Stunde fast leer, nur eine andere Skateboarderin übt dort ihre Tricks. Bruckmeier und sie grüßen sich kurz, als sie nebeneinander auf einer Rampe zum Stehen kommen. Dann dreht jeder weiter seine Runden. In Nürnberg kennt man ihn natürlich. Trotzdem ist er in der Skate-Szene eine Ausnahme. Weltweit gebe es seines Wissens nur neun blinde Skater, die auf relativ professionellem Niveau unterwegs seien, sagt Bruckmeier.

Einer davon ist der US-Amerikaner Dan Mancina, der regelmäßig Videos seiner Tricks auf Instagram postet. In einem Video auf Youtube sagt er, dass Skaten nicht wegen seiner Behinderung schwer sei. „Es ist generell schwer.“ Auch der Brasilianer Felipe Nunes bekommt im Internet viel Applaus für seine Skate-Videos: Seit einem Unfall hat dieser keine Beine mehr und macht alles aus der Kraft seiner Arme.

Skateboarderinnen und Skateboarder mit Behinderungen bekämen in der Szene hohen Respekt, seien aber die absolute Minderheit, sagt Mirko Holzmüller vom Verein Skateboard Deutschland. Dabei sei Skateboarden der inklusivste Sport: Es sei unwichtig, ob man Frau, Mann oder divers sei, welche Hautfarbe oder Religion man habe, ob man Anfänger oder Profi sei oder ob man eine Behinderung habe. „Wichtig ist, dass man fährt und Spaß dabei hat – wie ist egal.“

Johannes Bruckmeier will deshalb mehr junge Leute dafür begeistern. Erst kürzlich war er eigenen Angaben nach in Hamburg, um blinden Kindern das Skaten zu zeigen – auch in der Hoffnung, dass so etwas künftig nichts Besonderes mehr ist. „Die Behinderung ist für mich kein Problem. Es ist das Umfeld, dass diese zum Problem macht“, sagt er. „Wenn Leute ganz normal damit umgehen, hilft mir das.“
(Irena Güttel, dpa)

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