Leben in Bayern

Anfang Januar im oberbayerischen Steinhöring. Dort nervt ein tieffrequenter Ton viele Bewohner – eigenartigerweise können ihn nicht alle hören. (Foto: Stumberger)

22.01.2016

Das seltsame Brummen von Steinhöring

Mysteriöse Geräusche halten in einer oberbayerischen Gemeinde seit mehr als fünf Jahren die Bewohner wach – und keiner weiß, woher es kommt

Bei der Metzgerei Fischer brummt das Geschäft. 12,99 Euro kostet das Kilo Schwarzgeräuchertes, 1,50 Euro die 100 Gramm hausgemachte Salami. Ansonsten sei es aber ruhig im Haus, meint die Chefin hinter der Ladentheke. Ganz anders bei einigen Nachbarn in Steinhöring. Denn dort brummt es im wahrsten Sinne des Wortes.

Bürgermeister Alois Hofstetter (CSU) sitzt im Rathaus an seinem Schreibtisch und sagt: „Wir hoffen alle, dass etwas gefunden wird.“ Damit dann endlich wieder Ruhe herrsche in der oberbayrischen Gemeinde mit ihren knapp 4000 Einwohnern. Denn seit fünf Jahren leiden einige der Steinhöringer unter einem seltsamen, tiefen Brummen, das sie nachts nicht schlafen lässt. Woher dieses Geräusch kommt? Bislang kann das keiner sagen. Ein Mess-Gutachten für 90 000 Euro soll deshalb endlich Klarheit schaffen. Allerdings: 22 500 Euro davon sollen die betroffenen Bürger aus eigener Tasche zahlen – so hat es der Gemeinderat einstimmig entschieden. Und seither stehen die Zeichen in dem Ort auf Sturm.

Bürger sind erbost: Sie sollen für ein Gutachten zahlen

„Ich sag’ nix mehr dazu“, sagt etwa Ludwig Linner (77) verärgert. Der Senior steht in der Tür seines Bauernhauses in Zaißing, einem Ortsteil von Steinhöring. Der Hof ist wunderschön gelegen, von der kleinen Anhöhe geht der Blick weit übers Land bis hin zu den Bergen. Hinter ihm steht seine Frau und rechts wacht Gustl, ein sehr großer Bernhardiner. Dann sagt Linner aber doch noch: „Ich zahl’ das nicht.“ Die Familie gehört zu den rund hundert Einwohnern des Dorfes, die durch das seltsame Brummen geplagt sind. Und wie einige kann die Ehefrau von Linner nachts oft nicht schlafen, immer wieder wacht sie von dem Brummton auf. Und auch die erwachsene Tochter leidet sehr unter den tiefen Frequenzen.

Tagsüber hört man das Brummen dagegen nicht, es wird von den Alltagsgeräuschen übertönt, dem rumpelnden Traktor oder der Waschmaschine. Das eigenartige aber ist, dass nicht alle Steinhöringer das Vibrieren wahrnehmen. Auch Bürgermeister Hofstetter hat es noch nicht gehört: „Gott sei Dank, ich muss ja nicht alles haben“, betont er. Doch dass es die nervenden Schwingungen gibt, daran zweifelt er nicht. Das hat ein schließlich ein erstes Gutachten bewiesen, das die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Landratsamt in Ebersberg für 22 000 Euro erstellen hatte lassen.

Denn bereits im Jahr 2010 wurden die ersten Beschwerden laut. Und die Gemeinde erbat sich Hilfe vom zuständigen Landrat. Der beauftragte ein Ingenieurbüro, um Messungen durchzuführen. So rückten im Juni 2014 die Spezi-alisten mit ihren Messinstrumenten an und bauten in drei Wohnhäusern, darunter der Bauernhof von Ludwig Linner, ihre Geräte auf. Im Schlafzimmer wurden Luft- und Körperschallsensoren angebracht, die Daten mit dem achtkanaligen Messsystem „Swing“ erfasst. Im Herbst wurde die Messung wiederholt. Die Ingenieure schalteten nach und nach alle Stromquellen im Haus ab, darunter zwei Neonröhren über der Küchenzeile, zwei Kühlschränke mit Gefrierfächern und ein Netzteil für Elektrogeräte. Doch auch bei abgeschalteter Haustechnik war „nach Einschätzung der Bewohnerin“ das Brummen weiterhin „subjektiv wahrnehmbar“, so das Gutachten des Ingenieurbüros vom Mai 2015. Das Fazit der Experten: „Es verbleiben Schwingungen und tieffrequente Geräusche, von denen das Gesamtanwesen Zaißing betroffen ist.“

Franz Neudecker ist beim Landratsamt Ebersberg zuständig für Emissionen. Mit einer Fragebogenaktion versuchte er, dem Brummen auf die Spur zu kommen. Die Betroffenen sollten über vier Wochen hinweg aufzeichnen, wann und wie intensiv sie das Brummen hören. „Doch“, so Neudecker, „wir haben kein Muster erkennen können“. Klar sei nur, dass sich die betroffenen Anwesen wie auf einer Perlenschnur aufgereiht quer durch das Gemeindegebiet ziehen und das Geräusch vor allem nachts wahrgenommen wird. Und dass es sich um Schwingungen im Boden handeln muss, die in den Gebäuden als tiefes Brummen wahrgenommen werden. Dass es in manchen Häusern brummt und in anderen nicht, kann den unterschiedlichen Bausubstanzen liegen, heißt es – ähnlich wie bei den Resonanzkörpern von Geigen, die auch unterschiedlich klingen.

Doch völlig unklar bislang: die genaue Ursache der Schwingungen. Spekulationen – auch im Internet gibt es zuhauf. Bei dem Brummen könnte es sich um den sogenannten „Ur-Ton“ handeln, den die Erde bei ihrer Entstehung erzeugt habe, und der in vielen Teilen der Welt auch heute noch zu hören sei, glauben gar manche selbsternannte Experten.

In Steinhöring selbst hat man viel naheliegendere Quellen im Auge. So steht von der Zaißinger Anhöhe knapp einen Kilometer östlich entfernt ein riesiger Öltank. Er gehört zu einem Tanklager des Mineralölkonzerns OVM, das über die Ölpipeline der Transalpinen Ölleitung GmbH (TAL) seit fast 50 Jahren den zähflüssigen Rohstoff vom italienischen Triest nach Karlsruhe pumpt. In beiden Unternehmen sind große Pumpen im Einsatz und diese Pumpen, so glauben etliche der Betroffenen von Steinhöring, sind die Ursache für ihre Leiden. Doch sowohl OVM wie TAL weisen das zurück, die beiden Unternehmen haben eigene Messungen durchgeführt – und nichts gefunden.

Die Steinhöringer haben den Ölkonzern in Verdacht

Um der Sache nun endgültig auf den Grund zu gehen, will man nun zeitgleiche Dauermessungen an den Pumpstationen und den betroffenen Anwesen durchführen. Landratsamt und Gemeinde sind bereit, die Kosten für die Messungen zu übernehmen. Eine Verpflichtung der Behörden dazu bestehe zwar nicht, da kein Grenzwert überschritten wird. „Wir machen es aber, weil wir uns um die Bürger kümmern“, betont Bürgermeister Hofstetter. Doch auch die Betroffenen sollen einen Beitrag leisten, schließlich sei ja nicht jeder in Steinhöring von dem störenden Brummen betroffen. Den Geschädigten geht das gegen den Strich. Sie fordern: Der Verursacher des Übels solle zahlen.

Die Frage ist nur, ob der je gefunden wird. Denn die Messungen werden nur durchgeführt werden, wenn die Bürger die 22 500 Euro auf ein Konto einzahlen. Ob das Gutachten also tatsächlich erstellt wird, ist völlig offen.

Klar ist nur eines: Das mysteriöse Brummen wird jetzt auch noch von einem lokalpolitischen Grummeln begleitet. (Rudolf Stumberger) Foto: Bürgermeister Alois Hofstetter hofft, dass endlich Ruhe herrscht. (Stumberger)

Kommentare (2)

  1. Silence am 19.03.2016
    Ich habe heute in der EMF Datenbank der Bundesnetzagentur nochmals die Standortbescheinigungen für Mobilfunkanlagen in Steinhöring überprüft. Überraschenderweise wurde für die Mobilfunkeinrichtung in der Bahnhofstraße das Datum der Standortbescheinigung Nr. 571190 vom 30.08.2010 auf den 04.02.2016 geändert!! Was hierzu die Begründung ist weiss ich nicht. Eventuell wurden an dieser Mobilfunkeinrichtungen Änderungen vorgenommen, die zu dieser Änderung des Datums geführt haben. Die Frage ist, was wurde verändert?
  2. Silence am 24.01.2016
    ich persönlich und zahlreiche Personen aus meinem Bekanntenkreis nehmen seit Jahren ein ominöses Brummen wahr. Möglicherweise handelt es sich um die gleiche Quelle wie in Steinhöring und Umgebung.
    Bei meinen Recherchen bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass bei vielen Betroffenen die ersten Wahrnehmungen eines Brummens im Zusammenhang mit Errichtung von Mobil-/Richtfunkanlagen stehen. Nach Informationen aus der EMF Datenbank der Bundesnetzagentur (Standortbescheinigungs-Nr.: 571190) ist in Steinhöring am 30.08.2010 eine Mobilfunkeinrichtung in der Bahnhofstraße auf Sendung gegangen. Vielleicht handelt es sich um Interferenzen oder sonst irgendwelche Phänomene die durch solche Anlagen entstehen und in Räumen als Brummen/Wummern wahrgenommen werden. Es wäre vielleicht eine mögliche Ursache, die es aus meiner Sicht zu überprüfen wert wäre.
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