Leben in Bayern

Ein Bild, das bei den ehemaligen Lift-Betreibern Wehmut auslöst. Die Anlage in Hainthal ist seit diesem Winter eingemottet. (Foto: Obermeier)

08.03.2013

Das Sterben der kleinen Lifte

Immer größer, immer schneller: Hochmoderne Anlagen verdrängen die kleinen – oft familiengeführten – Skilifte im bayerischen Flachland

Die „Loher Streif“ ist 172 Meter lang, eine Abfahrt im Schuss dauert nur ein paar Sekunden. Seit 1968 bringt in dem kleinen Ort bei Dorfen im Landkreis Erding ein Schlepplift die Skifahrer auf einen Hügel, überbrückt dabei einen Höhenunterschied von 26 Metern. Konstruiert und gebaut hat ihn Albert Schmid, von Beruf Elektromaschinenbaumeister. Den Antriebsmotor brachte er damals in einem alten VW-Bus unter. Mit ein paar Freunden betrieb er die Anlage auf eigene Rechnung – als sie beim Finanzamt angeschwärzt wurden, gründeten sie 1970 einen Verein, den Skiclub Wasentegernbach.
32 Jahre lang war der 70-jährige Schmid Vorsitzender. Heute organisiert ein Team um seinen Nachfolger Stefan Gruber den Betrieb. „Hier läuft alles ehrenamtlich“, sagt Stefan Gruber. „Anders wäre das auch gar nicht zu machen.“ Ein Vereinsmitglied liefert den Strom kostenlos, der Dorfwirt stellt das Grundstück zur Verfügung.
Für den Skiclub ist der Lift eine willkommene Einnahmequelle, aber Bau und Unterhalt wären nicht zu finanzieren, wenn es da nicht Albert Schmid gäbe, glaubt der Vorsitzende. Im Jahr 2005 musste eine komplett neue Anlage geplant und errichtet werden. Dem Landratsamt war aufgefallen, dass der Lift in Loh jahrzehntelang ohne offizielle Genehmigung gelaufen war. In die Jahre gekommen war er ohnehin.
Vier Wochen dauerte es, bis der Tüftler sein Werk vollendet hatte. 2008 bauten die Vereinsmitglieder auch noch eine Skihütte. „Es gab Leute, die haben uns für verrückt erklärt“, erzählt Gruber, „wie wir das machen können in Zeiten des Klimawandels.“ Seit die Hütte steht, ist der Lift jeden Winter in Betrieb, heuer gab es besonders viele Skitage. Wenn die Sonne scheint, kommen bis zu 200 Skifahrer, fünf Euro zahlen sie für eine Nachmittagskarte. Firmen mieten den Hang für ein nächtliches Vergnügen unter Flutlicht. „Der Zulauf ist auch deshalb so groß, weil wir der einzige Lift in der Umgebung sind“, erklärt Gruber.


Nach 42 Jahren das Aus: Stammkunden sind traurig


Das war früher anders. Da gab es im Umkreis von 20 Kilometern viel Konkurrenz – in Oberornau im benachbarten Landkreis Mühldorf, in Hinterberg oder Hainthal. All diese Lifte sind geschlossen, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnt. „Mir hat das schon leid getan, ich habe so gerne mit den Leuten zu tun gehabt“, sagt Sophie Angermaier. Sie, ihr Mann Josef und die Familie seiner Cousine betrieben gemeinsam den Lift in Hainthal. Vor diesem Winter haben sie sich entschlossen, ihn gar nicht mehr aufzubauen – nach 42 Jahren. Mit Wehmut in der Stimme erzählt Sophie Angermaier von den vielen Kindern, die am 250 Meter hohen „Nordhang“ das Skifahren gelernt haben, so wie ihre eigenen Söhne. Und sie erzählt von den Stammkunden, die immer anriefen, um zu fragen, ob der Lift läuft.
Rund 600 Personen pro Stunde konnte die kleine Anlage mit ihren 40 Bügeln transportieren, an guten Tagen tummelten sich hunderte Ski- und Schlittenfahrer an dem Hügel hinter dem Bauernhof der Angermaiers.


Kinder bleiben weg: Sie sind nachmittags in der Schule


Zu den Hochzeiten in den 1980er-Jahren kauften die Betreiber sogar einen zweiten Schlepplift und stellten Flutlicht für Nachtfahrten auf. Aber die schneereichen Winter wurden seltener. „Es hat sich einfach nicht mehr rentiert“, erklärt die 57-Jährige während sie  in einem karierten Schulheft blättert. Darin hatte sie akribisch alle Einnahmen notiert.
Zwischen 2002 und 2008 lief der Lift in Hainthal nur in einem einzigen Winter. Schon damals überlegten die Angermaiers, ihn aufzugeben. Und selbst wenn gefahren werden konnte, kamen immer weniger Kinder. „Früher waren die um ein Uhr zu Hause und um zwei am Lift“, erinnert sich Sophie Angermaier. „Heute sind sie am Nachmittag in der Schule.“ Zeit für Winterspaß unter der Woche bleibt den Kleinen kaum.
Dazu kommt, dass die Vereine in der Umgebung viel mehr Ausflugsfahrten in die Alpen anbieten als früher. Dort nennen sich die hochmodernen Anlagen Snowspace, Skiarena oder Skiwelt und werben mit Hunderten Pistenkilometern und immer größeren und schnelleren Liften. Die Skifahrer blieben also aus, aber die Kosten waren dieselben – für Wartung, die Haftpflichtversicherung und die TÜV-Kontrolle alle zwei Jahre, erklärt Sophie Angermaier. „Der Diesel für das Stromaggregat ist auch immer teurer geworden“, klagt sie. „Aber die Preise konnten wir nicht mehr erhöhen.“
Deshalb liegen die Liftseile, die Bügel und der Antriebsmotor jetzt in einer Scheune auf dem Hof. Das Kassenhäuschen wird im Sommer abgerissen. Trotzdem freut sich Sophie Angermeier immer noch, wenn sie Rodler oder Skifahrer auf dem Nordhang sieht. „Die Leute sollen wissen, dass sie immer noch zu uns kommen können.“ Ihre Skier allerdings müssen sie dann den Berg hinauftragen.
(Andreas Raith)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sind Zurückweisungen an den Grenzen sinnvoll?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.