Manchmal ist der Erfolg ihm selbst noch unheimlich. Peter Grandl sitzt auf der Bühne des Münchner Literaturhauses. Er wird gleich aus seinem neuesten Roman Höllenfeuer vorlesen. 300 Menschen sind schon im Saal, weitere drängen hinein. Am Ende müssen einige wieder abgewiesen werden, weil einfach kein Platz mehr ist. An anderen Orten seiner Lesetour spielen sich ähnliche Szenen ab.
Der mehrfache Oscar-Preisträger und Komponist Hans Zimmer gehört ebenso zu den Fans der Romane, die aktuelle politische Themen in Thriller-Form packen, wie Schauspieler und Regisseur Til Schweiger. Grandls Debüt Turmschatten ist gerade für eine internationale Serienproduktion verfilmt worden. Auch die Rechte für den zweiten Roman sind schon verkauft. „Zwickt’s mich!“, habe er in München fast ungläubig Richtung Publikum gerufen, erzählt der 60-Jährige später.
Denn es ist gar nicht so lange her, da wollte niemand etwas von seinen Geschichten wissen. Turmschatten war zunächst ein Drehbuch, das der Münchner erfolglos in der Filmbranche anbot. Der Plot: Ein ehemaliger Agent des israelischen Geheimdienstes hält drei Neonazis in einem Turm in einer Kleinstadt gefangen. Er konfrontiert sie dort mit ihren Gewalttaten und überträgt das Verhör live im Internet. Die Community soll schließlich entscheiden, was mit den Männern geschieht. Freilassen? Hinrichten? Ein Medienspektakel beginnt. Gleichzeitig versucht die Polizei, die Geiseln aus dem Turm zu befreien.
Vermischung von Zeitgeschichte und Fiktion
In diese fiktive Handlung wob Grandl, der dafür auch viel über die rechtsextreme Szene recherchiert hatte, zahlreiche historische und zeitgeschichtliche Ereignisse und Personen ein. Er vermied bei der Beschreibung seiner Figuren eine reine Schwarz-Weiß-Zeichnung – was sich als Problem bei der Vermarktung herausstellte. „Das ist zu ambivalent. Die Presse wird uns in der Luft zerreißen“, so begründete man ihm mehrfach die Ablehnung.
Grandl arbeitete das Drehbuch zu einem Roman um. Doch auch den wollte niemand verlegen. Er entschied sich schließlich dazu, das Buch gratis auf einer Online-Plattform Kapitel für Kapitel zu veröffentlichen. Immerhin: Ein kleiner Verlag wurde so auf ihn aufmerksam und publizierte das Buch 2020, zu Beginn der Pandemie. Es floppte. „Das war halt mein Versuch, es hat nicht sein sollen, habe ich mir dann gedacht“, erzählt Grandl.
Doch dann, fast zehn Jahre nach dem ersten Versuch, drehte sich der Wind: Der Piper-Verlag wollte Turmschatten veröffentlichen. Es folgten erste positive Kritiken von überregionalen Zeitungen und anderen Medien, die lobten, wie spannend, gut recherchiert und bedrohlich nah an der Realität der Roman war. Darauf folgten viele weitere Kritiken und einige Auszeichnungen, was sich auch auf die Verkaufszahlen auswirkte. Der Roman wurde mit großer Verspätung doch noch ein Hit.
Grandl setzte nun alles auf eine Karte: Mitten in der Corona-Pandemie 2022 verkaufte er die Werbeagentur, deren Geschäftsführer er bis dahin gewesen war, und zog mit seiner Frau raus aus München in ein kleines Häuschen in den Bergen. Am Roman Turmschatten hatte er fünf Jahre geschrieben, weil er nur an den Wochenenden daran arbeiten konnte. „Jetzt brauche ich eineinhalb Jahre.“
Ums Finanzielle sei es ihm nie gegangen, sagt Grandl. Sondern darum, seine Botschaft zu verbreiten: Die Demokratie ist zerbrechlich. Und wenn man nichts zu ihrer Rettung unternimmt, wird sie zugrunde gehen. „Turmschatten ist eigentlich ein ganz hartes Anti-Nazi-Buch, ein bildungspolitischer Roman“, sagt Grandl. Mit der Warnung vor Fake News und Kritik an Medien, verpackt als Spannungslektüre, um möglichst viele Menschen damit zu erreichen.
Demselben Prinzip folgte der Nachfolgeroman Turmgold, der zu dem Turm des ersten Teils zurückkehrt. Diesmal halten dort allerdings rechtsextreme Terroristen zehn jüdische Kinder und zwei Betreuerinnen gefangen. Sie fordern die Herausgabe ihres ehemaligen Kameraden, der allerdings mittlerweile aus der Szene ausgestiegen ist und im Zeugenschutzprogramm lebt. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt.
In dem Roman wird auch der Plan von Reichsbürger*innen zu einem Putsch erwähnt. „Die Lektoren haben gesagt, dass das so unrealistisch ist, dass ich das besser rausnehmen soll“, sagt Grandl. Er ließ es aber drin. Und tatsächlich: Zehn Tage nach der Veröffentlichung des Romans kam es im November 2022 zur Festnahme mehrerer Personen aus dem Reichsbürger-Milieu, weil sie in Wirklichkeit einen Putsch geplant hatten.
Das Interesse an den Themen liegt in Grandls eigener Biografie begründet. „Meine Großeltern waren überzeugte Nationalsozialisten. Meine Oma hat beispielsweise Sachen gesagt wie: Der Hitler hat doch die Autobahnen gebaut.“ Auch er selbst sei noch in diesem Geiste erzogen worden.
Erst in seiner Jugend fand bei ihm ein Bewusstseinswandel statt. Ein Auslöser, erzählt der Schriftsteller, war die Gründung einer Band, in der dann auch ein schwarzer Bassist mitspielte. Es war sein erster Kontakt mit einem Menschen mit anderer Hautfarbe. „Da ist mir aufgefallen, was für einen ausgemachten Blödsinn ich daheim mitbekommen habe.“
Die Großeltern waren überzeugte Nazis
Heute erzählt er auch in Schulklassen von seinen Erfahrungen. Grandl ist Pate der Initiative „Schule ohne Rassismus“ und einer der Botschafter*innen der Bildungsinitiative German Dream. „Wenn ich von meiner Kindheit erzähle, sind alle Schüler erst mal geschockt. Und dann stellen sie sehr, sehr viele Fragen.“
Der Erfolg seines Debütromans öffnete dem Münchner viele weitere Türen. Zum Beispiel klopfte der US-Streamingdienst Paramount+ an, weil er Turmschatten als Serie verfilmen wollte. Grandl sagte zu und durfte auch als Drehbuchautor am Projekt mitwirken. In 60 Ländern soll die Serie laufen, es wirken deutsche Stars wie Heiner Lauterbach und Désirée Nosbusch mit. Voraussichtlicher Start ist im Herbst dieses Jahres.
Grandl hat die fertige Fassung noch nicht gesehen. „Ich traue mich nicht“, sagt er. „Ich schaue mir das erst bei der Premiere an. Da muss ich es dann aushalten.“ Denn schon beim Drehbuchschreiben wurde der Roman zerpflückt, wie Grandl es beschreibt. „Das war herzzerreißend, aber notwendig.“ Denn nur so kann eine Verfilmung auch ein eigenständiges Werk werden.
Auch bei einem anderen Filmprojekt war Grandl als Drehbuchautor gefragt. Til Schweiger bat ihn, mit ihm zusammen das Drehbuch für Manta, Manta 2 zu überarbeiten. Zwei Wochen lang saßen Grandl und Schweiger dafür in Schweigers Haus auf Mallorca. „Das war eine aufregende Zeit“, sagt Grandl, der Schweiger seitdem als einen Freund bezeichnet – auch wenn es am Ende nur drei Szenen, die Grandl geschrieben hat, in den fertigen Film geschafft haben.
„Er ist ein faszinierender Mensch, der auch seine Ecken und Kanten hat“, sagt Grandl. An der „Hexenjagd“ auf Schweiger, wie es Grandl beschreibt, die wegen Vorfällen am Set von Manta, Manta 2 einsetzte, habe er sich nicht beteiligen wollen. Alle Medienanfragen dazu habe er abgeblockt. „Definitiv sind Dinge passiert, die nicht in Ordnung waren. Und ich denke, dass er das selbst extrem bereut. Aber die Kampagne gegen ihn, das war einfach zu viel.“
Islamistischer Anschlag auf die Münchner U-Bahn
Inzwischen ist Grandl auf Lesetour mit Höllenfeuer. Das neue, wieder extrem spannende Buch beschäftigt sich mit einem fiktiven islamistischen Anschlag auf die Münchner U-Bahn. Vorbild ist die Giftgasattacke auf das U-Bahn-Netz in Tokio 1995. Erneut mixt Grandl Fakten mit Fiktion und zeigt, dass ein solcher Terrorakt gar nicht so unwahrscheinlich ist. „Mir ging es aber weniger um den Terroranschlag selbst, sondern um die Frage: Was passiert dann mit unserer Demokratie?“, erklärt der Schriftsteller. Im Buch werden Nachbar*innen angeschwärzt, die Gewalt gegen Menschen mit Migrationshintergrund nimmt zu, extreme rechte Kräfte erhalten viel Zulauf.
Auch Religion spielt im Roman eine große Rolle. „Dabei ist mir wichtig zu zeigen, dass Muslim nicht gleich Islamist ist“, sagt Grandl. Der Glaube wird auch nicht per se als schlecht dargestellt. „Es gibt in allen meinen Romanen eine Figur, die sehr viel Kraft aus dem Glauben schöpft.“ Grandl selbst ist Atheist, seine Frau ist gläubige Katholikin, die drei Kinder wurden – quasi als Kompromiss – evangelisch. Grandl sagt, er mag die kirchlichen Traditionen. „Ich habe bei uns jahrelang das Krippenspiel geleitet.“
Als junger Mann wollte Grandl übrigens Filmregisseur werden. Nach seinem Debütfilm, für den er sogar Iris Berben gewinnen konnte, betraute man ihn mit einem Kinofilm über die damals aufkommende Krankheit Aids. Doch das Projekt floppte künstlerisch und finanziell. „Ich tue es als jugendliche Dummheit ab“, sagt Grandl grinsend. „Ich habe später erst begriffen, dass ich nie Regisseur werden wollte. Ich wollte Geschichten erzählen. Und Geschichtenerzähler bin ich dann über Umwege geworden.“
Ein anderes Steckenpferd des Multitalents ist elektronische Musik. Grandl las schon immer gerne Musikmagazine. Mit dem aufkommenden Internet dachte er, dass die Verlage doch Interesse daran haben müssten, eine Präsenz im Netz aufzubauen. Doch alle wiesen ihn ab. Und so gründete er 1999 seine eigene Musiker*innenplattform – als Erster in Deutschland. Heute noch betreut er als Chefredakteur Amazona.de, für das 85 Autor*innen schreiben und das eine Million Leser*innen pro Monat hat. Ein gut laufendes Hobby.
Doch Grandl sucht nach weiteren Ausdrucksformen: Wenn er seinen nächsten Roman, an dem er gerade arbeitet, fertiggeschrieben hat, will er ein halbes Jahr Schreibpause einlegen und ein neues Projekt angehen: Synthesizermusik mit deutschen Texten. (Thorsten Stark)
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