Leben in Bayern

Auf Intensivstationen werde häufig gestorben, sagt Thomas Bein. Gewöhnen könne man sich daran nicht. (Foto: Dpa/Kay Nietfeld)

30.04.2021

Vom erfolgreichen Arzt zum ausgelieferten Patienten

Thomas Bein leitete eine Intensivstation an der Regensburger Uniklinik – bis bei ihm Krebs festgestellt wurde. Heute kritisiert er die Schattenseiten der Hochleistungsmedizin

Er hat der modernen Medizin sein Leben zu verdanken: Thomas Bein, jahrelang selbst Arzt, war an Knochenmarkkrebs erkrankt. Der 67-Jährige stellte aber auch fest, dass Ängste der Patient*innen kaum noch Platz finden. Die Kommunikation komme viel zu kurz. Weil Profit im Vordergrund stehe, aber auch weil die Mediziner für schwierige Gespräche gar nicht ausgebildet werden.

Jahrzehntelang war er auf der anderen Seite. Ein erfolgreicher Arzt, der eine intensivmedizinische Station am Uniklinikum Regensburg leitete. Schwerpunkt: Beatmung in Bauchlage. Dann wurde bei Thomas Bein Knochenmarkkrebs festgestellt. Von da an regierte er keine Intensivstation mehr. Er war Patient. Tödlich erkrankt und angewiesen auf die Expertise und Zuwendung seiner Kolleg*innen.

Aber Thomas Bein überlebte, zog sich aus dem Beruf zurück, schrieb das Buch Ins Mark getroffen. Was meine Krebserkrankung für mich als Intensivmediziner bedeutet. Er saß noch am Text, als Corona kam. Und hielt abermals eine strenge Quarantäne ein. Wie viele andere, die eine Krebserkrankung durchgemacht haben. Sein Knochenmark, erzählt er am Telefon, ist chronisch geschädigt. Durch die Hochdosis-Chemotherapie hat er „eins auf den Hut gekriegt“. Eine Stammzelltransplantation war nötig. Komplett erholt hat sich sein Immunsystem nicht.

Inzwischen ist Bein geimpft, die Krise aber noch lange nicht vorüber. Aus der Ferne beobachtet er, was auf den Intensivstationen im Land los ist. Hält Kontakt mit Kollegen an der Berliner Charité. Sagt: „Die sind alle am Ende, weil es immer wieder hochflackert. Und die Betten werden knapp.“

Da sind die erschöpften Mediziner und Pflegekräfte. Da sind aber auch Teile einer zunehmend coronamüden Bevölkerung, die sich keinen Begriff machen von dem Elend, das Corona anrichten kann. Bei den Infizierten, aber auch bei denen, die versuchen, den Todkranken zu helfen.

Nur wenige wissen, was auf Intensivstationen wirklich geschieht. Wie lebt man an einer Herz-Lungen-Maschine? Wie stirbt man? Viel zu anonym seien die Schicksale der Infizierten, sagt Bein, viel zu abstrakt die Zahlen. Eine Möglichkeit, das Elend zu sehen: Charité intensiv, die sehr eindrucksvolle Doku-Serie, zu sehen in der ARD-Mediathek.

Bein selbst kennt die Probleme auf Intensivstationen zur Genüge. Unendlich viele heikle Gespräche hat er mit Angehörigen geführt. Wie erklärt man einer junger Mutter, dass der Partner die Krebserkrankung nicht überleben wird? Soll ein Luftröhrenschnitt gemacht werden, auch wenn die Patientin danach nie mehr wird selbstständig atmen können? Und was hätte sich der Patient, der ins Koma versetzt und an die sogenannte ECMO gehängt werden muss, die sein Blut mit Sauerstoff anreichert und in den Körper zurückpumpt, selbst gewünscht?

Beins Buch ist das eines Krebspatienten, aber auch das eines medizinischen Praktikers, der weiß, wie man Menschen in die Bauchlage wuchtet. Vor allem aber ist es das Buch eines Medizinethikers. Bein hat vor vielen Jahren ein Ethikstudium auf die Medizin draufgesetzt. Und sich bereits lange vor der eigenen Krise damit befasst, wie eine „humane Medizin“ eigentlich auszusehen hat.

Den aufgezwungenen Rollentausch vom Arzt zum Patienten nutzt er, um von alten und neuen Erfahrungen zu erzählen. Auch und vor allem von den schwierigen, die mit den Schattenseiten der Hochleistungsmedizin zu tun haben. „Mir ist bewusst, dass ich der modernen Krebsmedizin mein Überleben zu verdanken habe“, sagt Bein. Aber auch, dass Kommerzialisierung und Profitstreben die medizinischen Leistungen takten. Ein System sei entstanden, in dem die Ängste der Patienten kaum Platz fänden. Und Kommunikation zwischen Arzt und Patient viel zu kurz kommt.

Dabei ist es doch so: Jedes Wort eines Arztes hat Gewicht. Eine freundliche Ansprache. Diagnose und Prognose, in ehrliche, verständliche, beruhigende Worte gefasst: Das hilft bei der Bewältigung einer Krankheit, unabhängig davon, wie am Ende alles ausgeht. „Wie gut hat es mir getan, wenn einer der Ärzte mir die Hand auf die Schulter legte! Oder ein aufmunterndes Wort fand!“, sagt Bein.

Bereits als Leiter der Regensburger Intensivstation begriff er, dass Mediziner nicht ausgebildet werden für solche Gespräche, und schob die Entwicklung eines Seminars für Studierende an. Thema: „Das Überbringen schlechter Nachrichten.“ Er richtete auf seiner Intensivstation zwei Räume mit Stühlen ein, damit Gespräche mit Angehörigen Schwerstkranker nicht auf dem Flur stattfinden müssen. Bein war sensibel. Und er war idealistisch. Er vertraute darauf, dass Ärzte und Patienten eine gemeinsame Sprache finden können, wenn man sie dabei unterstützt. Seine eigene Krankheitsgeschichte lässt ihn da nicht mehr so sicher sein. So weit hat sich die Medizin vom Patienten entfernt, dass sie sich kaum noch verständlich machen kann.

Den Tod mitdenken: mit einer Patientenverfügung

Und trotz aller Erfolge gilt: „Dem Tod kann die Medizin nicht komplett die Stirn bieten.“ Darum müsse, sagt Bein, „ein Intensivmediziner auch ein Palliativmediziner sein“. Ein Arzt, der, wenn sich das Leben nicht retten lässt, ein würdevolles, schmerzfreies Sterben ermöglicht. „Die moderne Intensivmedizin ist eine Organersatztherapie“, erklärt er. „Wir können die Lunge ersetzen, den Kreislauf, die Niere.“ Gerade bei Covid-Patienten geschieht dies häufig. Kommen die Ärzte zu dem Schluss, dass der Mensch ohne Maschine nicht weiterleben kann oder sich sein Zustand verschlechtert, ziehen sie sich Stück für Stück aus der Behandlung zurück. Oft sind es die Pflegekräfte, die einem Sterbenden dann die Hand halten.

Und auch wenn auf Intensivstationen häufig gestorben wird: Gewöhnen könne man sich daran nicht, erzählt Bein. Das Gegenteil sei der Fall: Erscheine ein Pfleger oder eine Ärztin allzu ungerührt, sei dies häufig ein Zeichen für ein Burn-out-Syndrom –  und der- oder diejenige müsse aus der Front rausgenommen werden.

Dem Tod ins Auge sehen: Das sollte aber nicht nur das medizinische Personal. Auch die Patient*innen selbst müssten umdenken. Und festlegen, was im Verlauf einer schweren Erkrankung mit ihnen geschehen soll, und vor allem: was nicht. Eine Schlüsselrolle hat hier nach wie vor die Patientenverfügung.

Was geschieht, wenn keine Patientenverfügung vorliegt, haben Bein Kollegen aus einer Klinik in der Oberpfalz erzählt. Ein Patient nach dem anderen kam im vergangenen Jahr mit schwerer Luftnot in die Notaufnahme. Die Angehörigen dieser Pflegeheimbewohner seien nicht schnell genug zu erreichen gewesen, die Patientenverfügungen nicht auffindbar. Also habe man „etwas tun müssen“. Wohl auch ungewünschte Eingriffe.

Bein ist sich sicher: Mit einer Patienenverfügung wäre einigen Corona-Patient*innen eine Menge erspart geblieben. „Allgemeinmediziner sollten ihre Patienten ermuntern, sich mit den letzten Dingen zu befassen.“ N och immer hat nur ein kleiner Teil der Deutschen eine Patientenverfügung.

Immerhin: Ab 2023 können Patientenverfügungen im Zentralen Vorsorgeregister hinterlegt werden – und Ärzte sie dann einsehen. Bein selbst hat seine Patientenverfügung mithilfe einer Vorlage des Bundesjustizministeriums mit sehr konkreten Bausteinen verfasst (https://bit.ly/3sQ3h6A). „Um sich persönlich damit auseinanderzusetzen“, sagt der Mediziner, „muss man wissen, was es gibt.“
Und wie ist das, wenn eine weltweite Gesundheitskrise auf eine persönliche folgt? „Man macht ein weiteres Mal die Erfahrung, dass nichts im Leben selbstverständlich ist“, sagt Thomas Bein. „Alles ist sehr fragil. Wir können froh sein um jeden Tag.“
(Monika Goetsch)

Foto (Melina Müller): Thomas Bein.

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