Leben in Bayern

Michael von Hassel stellt noch bis Anfang November seine Werke in der Galerie an der Pinakothek der Moderne in München aus. (Foto: Andrea Weber)

06.10.2017

Der bayerische Vier-Uhr-Fotograf

Auf der Suche nach dem richtigen Motiv jettet Michael von Hassel nicht nur um die Welt – er steht dafür auch extrem früh auf

Der Großvater hat als Zeppelin-Pilot die „Hindenburg“ gesteuert. Der Großonkel war der CDU-Politiker Kai-Uwe. Und auch Michael von Hassel hat es schon zu einiger Berühmtheit gebracht: als Fotograf. Und das als Autodidakt. Michael von Hassel ist ein Mann der frühen Morgenstunde. Der Vier-Uhr-Fotograf sozusagen. Dann nämlich ist der Augenblick, wo die Betriebsamkeit des Lebens noch einen Moment innehält, wo das Licht des neuen Tages noch vorsichtig über den Horizont schimmert. Und so haben seine Fotografien eine spezielle farbenfrohe Einsamkeit oder, anders gesagt: eine dynamische Stille. Seine Motive findet von Hassel auf der ganzen Welt. Und meist sind sie menschenleer. Die Fotografie, sagt der 39-Jährige, sei die Auszeit seines schnelllebigen und gesellschaftlichen Künstlerdaseins.

Von Opa und Großonkel bekam er die ersten Kameras

Von Hassels großformatige Fotografien werden mittlerweile hoch gehandelt – auch international. Als er jüngst bei der „Open Art“, der Nacht der Galerien in München, die Eröffnung seiner Ausstellung in der Galerie an der Pinakothek der Moderne feierte (sie geht noch bis zum 5. November), war das Gedrängel so groß, dass kein Durchkommen war. Keine Chance, den Künstler einen kleinen Moment für sich zu gewinnen. „Mein Leben braucht Gelegenheiten“, sagt er ein paar Tage später, bei einem Treffen beim Moarwirt in Hechenberg. Dort atmet der Wahlberliner durch, wenn er zu Besuch in seine oberbayerische Heimat kommt.

Die von Hassels sind politisch engagierte Menschen, seit Generationen. Vor 130 Jahren haben Vorfahren des Künstlers Hongkong mit aufgebaut. Der Großvater von Michael von Hassel war ein Zeppelin-Pilot, der unter anderem die „Hindenburg“ steuerte. Der Großonkel war der Politiker Kai-Uwe von Hassel, zuletzt Präsident des Deutschen Bundestages von 1969 bis 1972. Von ihnen hat Michael von Hassel als Kind auch die ersten Mittelformatkameras bekommen. Er ist Autodidakt, hat sich selbst beigebracht, wie man mit dem Auslöser hinter die Kulissen schauen kann.

Aufgewachsen ist der 39-Jährige in Geretsried, südlich von München. Nach dem Abitur und Wehrdienst studierte er in China die Landessprache. Er absolvierte anschließend eine Banklehre und ging nach London. Der Geldhandel an der Börse war dauerhaft nichts für ihn. Es folgte ein Studium der Betriebswirtschaft in Ingolstadt und dabei kam ihm die Frage: „Worum geht es mir eigentlich im Leben?“ Inzwischen kennt er die Antwort: „Entdecke dein stärkstes Talent und erkenne, dass die größte Herausforderung die höchste Befriedigung sein kann.“

Und so setzt von Hassel heute Städte, Natur und Bauwerke als Fotograf in Szene. Bis zu 200 Einzelbilder in verschiedenen Belichtungen und Perspektiven macht er von einem Motiv. So entstehen unreale Farben und eine gestochene Tiefenschärfe. Auch für seine Oktoberfestzelt-Serie stand er um vier Uhr früh auf der Empore. Das noch leere Zelt wirkt auf den großformatigen Bildern wie eine Manege unrealer Wirklichkeit. Kein Mensch, kein volles Bierglas, und doch ist alles festlich herausgeputzt, als würde just im Augenblick die Blaskapelle spielen – verwirrend und irritierend. Die Fotografien bestehen aus hochwertigen Bildabzügen mit einer metallischen Oberfläche. Sie gehören zu den weltgrößten Formaten. Bis zu sechs Meter lang, vier Meter hoch und 400 Kilogramm schwer können die hinter Diamant-Weißglas gefassten Motive sein.

Auf 260 Reisetage hat er es im Jahr 2016 gebracht

Für seine Motive jettet Michael von Hassel um die Welt, von China bis Südtirol, von Kamtschatka bis Transnistrien. Auf 260 Reisetage hat er es 2016 gebracht. Stets ist er auf der Suche nach dem richtigen Moment, dem besonderen Motiv. „Erst wenn du ein Land besuchst, wirst du die Kultur und die Menschen verstehen“, sagt er. Das gilt auch für Nordkorea. Heuer im Frühjahr war er dort. In Begleitung einer Art Bewachungs-Delegation fuhr er durch das politisch hoch explosive Land, dessen Regierung derzeit wieder einmal die verbalen Muskeln spielen lässt.

Von Hassel hat eine grandiose Bergwelt entdeckt, bizarr und eiskalt und im Winter farblos und einsam. Er hat die anonymen Plattenbauten in den Städten fotografiert und ihnen eine Identität auf seinen Bildern gegeben, wenn auch kalt und unnahbar. Er hat die Menschen beobachtet, die durch Zucht und Ordnung ihr Dasein als Normalität empfinden. Eine Reise durch Nordkorea bedeutet, Regeln beachten und respektieren. Heißt aber auch: die Geschichte des Landes kennenzulernen und zu hinterfragen, warum Menschen dort ticken, wie sie ticken.

Zur Ruhe kommt Michael von Hassel in seiner Heimat Bayern. In Geretsried, wo seine Familie lebt, atmet er wieder durch. Um dann auch wieder Kraft zu haben für die nächste Tour um die Welt. Auf der Suche nach neuen außergewöhnlichen Motiven. (Andrea Weber) Bilder (Michael von Hassel):
Wiesnzelt um vier Uhr morgens: Von Hassel macht von einem Motiv bis zu 200 Einzelbilder mit verschiedenen Belichtungen – so entsteht eine gestochene Tiefenschärfe.

Das Monument zur Gründung der Partei der Arbeit in Pjöngjang. Im Frühjahr war von Hassel in Nordkorea – und fuhr mit einer Art Bewachungs-Delegation durchs Land.

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