Leben in Bayern

Roland Utz beim München-Cup 2012. Der Abteilungsleiter der Munich Animals hat mit seinen Brüdern die Weltmeisterschaft nach München geholt. (Foto: Munich Animals)

24.05.2013

Der FC Bayern des Behindertensports

Dank eines engagierten Brüder-Trios findet die Weltmeisterschaft im E-Hockey in München statt – ein Besuch beim Rekordmeister Munich Animals

Bereits in den 80er Jahren haben die Munich Animals den Integrationssport Elektrorollstuhlhockey in München etabliert. Sie beherrschen die Bundesliga wie keine zweite Mannschaft. Jetzt gelang dem Team rund um die Brüder Utz ein großer Coup: Sie holten die WM 2014 in die Landeshauptstadt. Und eines ist jetzt schon sicher: Die Gastgeber gehören zu den ganz heißen Favoriten. Als der Trainer den Ball ins Feld wirft, wird es hektisch. „Auf wen kommt der Pass?“, brüllt Christian Wolfsteiner seiner Mannschaft zu. „Das muss alles ein wenig flotter laufen.“ Wo anderen Sportlern die Kraft ausgeht, schalten die Spieler der Munich Animals wortwörtlich einfach einen Gang höher. Denn es handelt sich um das Training des Rekordmeisters im Elektrorollstuhlhockey in einer Münchner Turnhalle der Stiftung Pfennigparade. Die so genannten E-Rollis flitzen mit quietschenden Reifen über den Platz und stoßen dabei nicht selten lautstark zusammen.


Gehört Sport zum Leben? Nein, meinen die Kassen


Nachdem die deutsche Nationalmannschaft 2010 mit fünf Akteuren aus München in Italien Weltmeister wurde, strebt das Team rund um Abteilungsleiter Roland Utz jetzt nach dem Titel im eigenen Land. Denn dem Engagement von Roland Utz und seinen beiden Brüdern ist es zu verdanken, dass der Zuschlag für die Ausrichtung der nächsten Elektrorollstuhlhockey-Weltmeisterschaft vom Internationalen Verband für Rollstuhl- und Amputiertensport (IWAS) kam. Vom 7. bis 10. August 2014 werden acht Nationen im Eisstadion des Münchner Olympiaparks beim Kampf um den Weltpokal alles andere als eine ruhige Kugel schieben.
Die Regeln unterscheiden sich  zu denen im regulären Hockey. Der Torwart und die vier Feldspieler bekommen je nach Behinderungsgrad einen Wert von 0,5 bis 5 zugewiesen. Je weniger eingeschränkt sie sind, desto mehr Punkte erhalten sie. Insgesamt darf das Aufgebot die Summe von elf nicht überschreiten. „Das ist wichtig, um die unterschiedlichen Behinderungen zu berücksichtigen“, sagt der Vorsitzende des Fachbereichs Elektrorollsport, Stefan Utz. Die Munich Animals haben diese Klassifizierung 2012 eingeführt und stießen damit in Deutschland auf große Resonanz. Bei der kommenden Weltmeisterschaft wird sie sogar zum ersten Mal verbindlich vom IWAS vorgeschrieben.
Die Mannschaft ist der FC Bayern des Behindertensports und ein Kader voller Weltmeister. Warum die Truppe so erfolgreich ist, erklärt Stefan Utz mit der langen Tradition. „Wir haben E-Hockey in den Achtzigerjahren in München etabliert und in anderen Städten vorgestellt.“ Auf den Kurs gebracht hatte sie eine engagierte Lehrerin, die im Schulsport die Idee mit den Schlägern hatte. Seitdem gibt es allein in der Isarmetropole über 30 E-Hockeyspieler, den Munich Cup, internationale Turniere und natürlich die Bundesliga.
Die sechs Vereine treffen sich zu vier Spieltagen im Jahr mit jeweils vier Begegnungen. Abgeschlagen waren in der abgelaufenen Saison die Ruhr Rollers aus Essen, deutscher Meister wurden – wie gewohnt – die Munich Animals. Ihr Erfolgsrezept ist die gute Nachwuchsarbeit. „In München wohnen viele behinderte Menschen und wir können talentierte Spieler hervorbringen“, sagt Stefan Utz. Zwei Sachen würde er sich wünschen: Mehr weibliche Akteure und auch mehr anfeuernde Zuschauer bei den Turnieren. Das Problem: Wenige Menschen kennen den Sport.
Allerdings gibt es noch weit schwerwiegendere Probleme, mit denen sich eine körperlich eingeschränkte Mannschaft herumschlagen muss. Beim anstehenden Turnier in Prag müssen einzelne Mitglieder zu Hause bleiben, weil keine Transportmöglichkeit existiert. „Wir brauchen Spezialbusse, in denen wir im Rollstuhl sitzen bleiben können“, erläutert Stefan Utz. Da diese in erster Linie für behinderte Schüler eingesetzt werden, hängt es von der Bereitschaft der Busunternehmen ab, ob diese abends zusätzlich für Privatzwecke genutzt werden dürfen.

Mit 15 Stundenkilometern über das Spielfeld


Ein weiteres Problem sind die hochpreisigen Spezialrollstühle. Diese sind wendiger, mit einem Rammbügel ausgestattet und vor allem schneller. Wer sich keinen dieser 12 000 Euro teuren Sportgeräte leisten kann, rollt im internationalen Vergleich hinterher. Der Grund: Im Ausland darf laut Statuten während der Partien 15 Stundenkilometer gefahren werden, wohingegen es ein normaler Krankenfahrstuhl höchstens auf zehn Kilometer pro Stunde schafft. „Die Krankenkasse zahlt nur Dinge, die Behinderte benötigen, um am Leben in der Gemeinschaft teilhaben zu können“, sagt Stefan Utz und ergänzt: „Der Sport gehört für sie leider nicht dazu.“ Sponsoren werden daher dringend gesucht.
Darüber hinaus bedarf es für die Teilnahme bei der „geilsten Mannschaft der Welt“ lediglich Spielverständnis, taktisches Verstehen und Begeisterung für E-Hockey. Der TSV Forstenried, zu dem die Munich Animals gehören, bietet Einsteigern ein vierwöchiges Schnuppertraining in drei verschiedenen Leistungsklassen an. Nur ausreichend Zeit müssten Interessierte für die vielen Auswärtsfahrten mitbringen.
Zeitintensiv war auch der Weg bis zur erfolgreichen Ausrichtung der Weltmeisterschaft. Zusammen mit ihrem Bruder und Behindertenbeauftragten der Stadt München, Oswald Utz, haben Stefan und Roland Kontakte in die Politik geknüpft. Durch Unterstützung von SPD-Sozialpolitiker Christian Müller und dem Referat für Bildung und Sport stimmte der Stadtrat schließlich einem Zuschuss von 230 000 Euro und somit einer Bewerbung des Deutschen Behindertensportverbands für die Austragung zu.


Die Münchner Spieler setzen auf Mental-Coaching


Um sich bei den Wettkämpfen einen psychischen Vorteil zu verschaffen, setzen Spieler und die Geschäftsführerin des TSV Forstenried, Christa Sieber, auf Mental-Coaching. Nach dem Training versucht sie die Munich Animals  mit Entspannungsmusik in ihren so genannten „Alphazustand“ zu bringen. „Die geringe Muskelkraft darf nicht durch psychologische Blockaden zusätzlich gehemmt werden“, sagt Sieber und erklärt auch gleich die Wirkungsweise: Indem sich die Spieler an das positive Gefühl während des Moduls erinnern, sollen sie bei einem Rückstand keine Angst mehr bekommen und Stress besser bewältigen können.
Ob der Nationaltrainer Deniz Genc von Torpedo Ladenburg dieses Konzept überhaupt anwenden muss, wird sich wohl erst im Finale entscheiden. Denn Tschechien, Italien, Belgien, Schweiz, Finnland oder Dänemark sind zu schlagen. „Deutschland zählt auf jeden Fall zu den Favoriten“, ist sich Roland Utz sicher. „Bis auf die Weltmeisterschaft 2010 hat aber bisher leider immer Holland gewonnen.“ (David Lohmann)

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