Leben in Bayern

„Wenn man von einem Priestermangel spricht, muss man auch vom Gläubigenmangel reden“: Josef Rauffer, Sprecher der Seminaristen. (Foto: Katharina Alt)

28.02.2014

Der Konflikt zwischen Liebe und Gott

In Bayern herrscht großer Priestermangel und auch das Priesterseminar in München ist spärlich besucht – die Staatszeitung hat sich dort umgesehen

Von 80 Zimmern im Münchner Priesterseminar sind nur 25 besetzt. Die katholische Kirche hat ein riesiges Nachwuchsproblem – in ganz Bayern. Das liege nicht allein am Zölibat, sagen die einen. „Die Männer leiden unter dem Zölibat“, sagt dagegen einer, der selbst einmal Priester war. Wie erklären Männer, die heute Priester werden wollen, ihre Entscheidung? Die BSZ auf Spurensuche. Es ist 18 Uhr, als die werdenden Priester in München ihr Gebet beginnen. Ihre Kirche in der Schwabinger Georgenstraße ist nur spärlich besetzt: Selbst sie können ihr Gebetshaus nicht füllen. Der Priestermangel und das Nachwuchsproblem der katholischen Kirche sind auch hier zu spüren, im Zentrum ihrer Ausbildung: Von den 80 Zimmern im Priesterseminar sind nur 25 von jungen Gottesdienern belegt.
In Deutschland befinden sich heute etwa 2200 Studenten im theologischen Vollstudium, also auf dem Weg, Priester zu werden. Halb so viele wie noch vor sechs Jahren. Die Zahl der Professoren und der wissenschaftlichen Mitarbeiter ist in diesem Zeitraum um ein Fünftel zurückgegangen. Die Fakultäten Bamberg und Passau mussten bereits schließen, auch in Benediktbeuern herrscht seit Juni letzten Jahres kein Lehrbetrieb mehr. Der Kirche gehen ihre Leiter aus.

In den 80er Jahren stieg die Zahl der Priesterweihen

Das Priesterseminar in München ist ein grau-beiger Bau mit großen Fenstern, mit Hockeyhalle im Keller und Kreuzgang im Hof. 1981 legte der damalige Erzbischof Joseph Ratzinger den Grundstein. Zu einer Zeit also, als die Zahl der Priesterweihen stetig stieg – auf 297 im Jahr 1989. Und die katholische Kirche glaubte, mehr Platz schaffen zu müssen für ihre Studenten.
2012 aber wurden nur noch 79 Männer zum Priester geweiht. Das weiß Wolfgang Lehner. Seit letztem Jahr ist er Regens des Seminars. Es ist seine Aufgabe, Priester auszubilden. Damit ist er in einer äußerst schwierigen Lage. Denn der Mann mit den wachen, vergnügten Augen kennt das Nachwuchsproblem seiner Institution. Er glaubt aber gleichzeitig, dass man von Gott zum Priestertum berufen wird. Darf er da überhaupt nachhelfen? „Zu einem gewissen Grad, ja“, sagt er.
Und so hat Lehners Fakultät schon zu einem Info-Wochenende eingeladen. 17- bis 28-jährige Männer konnten sich dort über die Priesterschulung informieren, mit Seminaristen sprechen. Gelbe Flyer legte Lehner dafür in Gemeinden und Beratungsstellen aus . „Ich und Priester?“ stand darauf. „Weil Gott Großes mit dir vorhat!“ Ein Versuch, das so zentral gelegene Haus mit seinen Ansichten und Lebensweisen, die immer weniger in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt sind, bekannter zu machen.
Zwei junge Männer haben im letzten Semester das so genannte „Propädeutikum“ begonnen, eine Art Einführung in die Spiritualität. Im ersten Studienjahr befinden sich sechs Katholiken. Sie besuchen Vorlesungen an der Ludwig Maximilians Universität (LMU) und leben im Priesterseminar. Sie lesen die Bibel und gehen auf Studentenpartys.
Wie erklären die Männer, die heute Priester werden wollen, ihre Entscheidung? Ihren Verzicht auf Sex und Familie? Wie erklären sie die Hinwendung zu einem Glauben, von dem sich immer mehr abwenden? Josef Rauffer steht seit fünf Jahren um sechs Uhr auf. Bevor er Priester werden wollte, saß er als Bankkaufmann jeden Morgen an seinem Schreibtisch am Tegernsee. Heute beginnen seine Tage mit einem Gebet. Der Mann in grünem T-Shirt und Jeans ist im fünften Jahr des Priesterwerdens, er ist Sprecher der Seminaristen.
Das Orgelspielen hat ihn zum Glauben geführt. „In den Kirchen und mit der Musik habe ich Dinge gespürt, die mir sonst in meinem Leben fehlten“, erzählt er. Es war eine Wärme, und eine Nähe, ein „Richtigsein“. Er spricht von der Berufung, die er und seine Kommilitonen meinen, zu haben. Wegen ihr stehen sie früh auf, überwinden ihre Zweifel, entscheiden sich für Gott und gegen eine Familie.
Aber wie erklären die Männer selbst die leeren Zimmer in ihrem Gebäude? „Wenn man von einem Priestermangel spricht“, sagt Rauffer, „muss man auch von einem Gläubigenmangel reden.“ Auch Regens Lehner meint, dass der Glaube in immer weniger Familien wirklich gelebt wird. Aus streng katholischen Familien stammte jahrelang ein Großteil der Seminaristen. Das eigentliche Problem der Kirche sei also der Glaubensschwund. „Proportional“, sagt Rauffer, „hat sich das Verhältnis der Priester zu den Gläubigen nicht großartig verändert.“
Ist nicht das schlechte Image der Kirche verantwortlich für den Priestermangel? Sind es nicht die längst veralteten Einstellungen und Ideale, die Menschen abschrecken? Würden etwa mehr Menschen Priester werden, wenn sie nicht am Zölibat festhalten müssten, wenn sie Kinder bekommen könnten? „Nein“, sagt Lehner. „Die evangelische Kirche hat sehr ähnliche Nachwuchsprobleme. Wäre der Zölibat verantwortlich, müsste es ihr diesbezüglich viel besser gehen.“
Ein Mann ist kritischer. Wolfgang Bittner (Name geändert) war selbst einmal Priester. Dann trat er aus – er hatte sich in einen Mann verliebt. Heute leitet er eine Palliativstation in einem Klinikum. Vor 30 Jahren studierte er im Priesterseminar in Regensburg. Dass er homosexuell ist, war damals schon klar. „Ich war keineswegs der einzige“, sagt er. „Etwa 30 Prozent der Männer waren schwul.“

„Etwa 30 Prozent der Männer waren schwul“


Das Thema Sexualität aber war tabuisiert, nie wurde unter den Studenten oder mit den geistlichen Leitern darüber gesprochen. „Auch ich habe einfach nicht den Mut gehabt“, sagt Bittner.
Obwohl die Studierenden heute mit Psychologen arbeiten, glaubt Bittner nicht, dass sich viel geändert hat. „Es wird immer Männer geben, die unter dem Zölibat leiden“, sagt der Münchner. Dass die Studenten wirklich darüber sprechen können, wenn sie sich verliebt haben oder zweifeln an der Abstinenz, bezweifelt er. „Der Konflikt zwischen einer Liebe zu Gott und dem Wunsch nach Sexualität wird mit dem Zölibat erhalten bleiben“, sagt er. Und: Der Zölibat sollte freiwillig sein. Das Thema Sexualität sollte ehrlicher und offener besprochen werden. Bittner glaubt, dass sich das Image der Kirche damit wandeln und das Nachwuchsproblem kleiner werden würde. Denn damit wäre ein Thema, über das die Kirche gern schweigt, nicht vom, sondern auf dem Tisch.
Ob die Männer aus der Georgenstraße ebenfalls darauf hoffen? Sie sehen ihre spätere Aufgabe auch darin, Gläubige wieder für die Kirche zu gewinnen. Sie sollen offen sein und auf Menschen zugehen können. Sie wissen, dass sie das Image der Kirche verbessern können. Aber dass sie ihr Nachwuchsproblem letztendlich nicht in der Hand haben. (Gesa Borgeest)

Kommentare (1)

  1. Sualk am 10.03.2014
    Wie menschlich ist eine Kirche, die ihren Mitarbeitern lebenslange Enthaltsamkeit und damit oft auch Einsamkeit abfordert? Kann ein Mann seine Einstellung mit den Jahren nicht doch noch ändern und Sehnsucht nach dem "trauten Heim" mit Ehefrau und Kindern bekommen? Mit welchem Recht wird solchen armen Männern das Leben zur Hölle gemacht? Einmal dafür entschieden, sind sie lebenslänglich an den Zölibat gebunden.
    Mit diesen Fragen habe ich mich jahrelang auseinander gesetzt und letztlich gegen den Priesterberuf entschieden. Ich glaube an den liebenden Gott, so wie ihn Jesus uns gezeigt hat.
    Diese Liebe wird in der katholischen Kirche von vielen wunderbaren Priestern (die oft sehr an ihrem Leben leiden) verkündet. Leider verliert sich diese Liebe in den Mühlen der Kirchenhierarchie, wo es mehr um Dogmen und althergebrachte Vorschriften geht. Der Zölibat wurde nicht von Jesus vorgeschrieben. Die ersten Priester haben auch nicht ehelos gelebt. Er wurde von der Kirche eingeführt, um erbberechtigte Nachkommen von Priestern zu verhindern.
    Ich möchte nicht für eine Kirche arbeiten, die so unmenschlich zu ihren Priestern ist!
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