Leben in Bayern

Philipp Schmuck berät Männer aus ganz Nordbayern, die unter häuslicher Gewalt leiden. (Foto: Tanja Elm)

03.09.2020

Der Partner als Blitzableiter

Männer werden viel häufiger als gedacht Opfer von häuslicher Gewalt. Der Nürnberger Philipp Schmuck bietet Hilfe an

Laut Polizeistatistik sind es in 18 Prozent der Fälle Männer, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Doch vermutlich sind es weit mehr, glaubt der 37-jährige Sozialarbeiter Philipp Schmuck, der in Nürnberg eine Beratungsstelle für männliche Gewaltopfer leitet. Denn zu selten reden Männer über ihre Erlebnisse. Und sie empfinden oft Demütigungen und Drohungen nicht als psychische Gewalt.

Sie sind oft von Jugend an daran gewöhnt, die Zähne zusammenzubeißen. Die Dinge mit sich selbst auszumachen. Sich irgendwie durchzukämpfen. Dabei wäre das Bedürfnis so groß, sich einmal auszusprechen. Bei Philipp Schmuck können Männer das seit November 2019. Oft erst nach langen Jahren trauen sie sich in der von Schmuck geleiteten nordbayerischen „Beratungsstelle Häusliche Gewalt an Männern“ ein Thema anzusprechen, das weithin tabu ist: Sie sind oder waren Opfer häuslicher Gewalt.

Den Ist-Zustand zu erfassen, ist beim Thema Gewalt prinzipiell schwierig. Das meiste bleibt unter der Decke. Das betrifft besonders häusliche Gewalt an Männern. Doch allein die offiziellen Zahlen widerlegen, dass Gewalt im familiären Umfeld etwas ist, was ausschließlich Frauen und Kinder betrifft. „Laut Polizeistatistik sind in 18 Prozent der Fälle Männer von häuslicher Gewalt betroffen“, berichtet Schmuck. Wobei diese Zahl dem Nürnberger Experten für genderspezifische Sozialarbeit zufolge wohl nur die Spitze des Eisbergs darstellt.

Vor allem psychischer Druck sei in Beziehungen sehr weit verbreitet. Jochen B. (Name geändert) zum Beispiel musste sich regelmäßig eine Kaskade von Vorwürfen seitens seiner Frau gefallen lassen. „Dir wäre es am liebsten, ich wäre tot“, rief sie häufig, wenn wieder einmal ein Konflikt zwischen den Eheleuten eskalierte. Jochen B.s Gattin gab ihrem Mann die alleinige Schuld daran, dass die Beziehung nicht mehr lief. Außerdem warf sie ihm vor, er wäre schuld an ihren Depressionen.

Schmuck trainiert mit Klienten, Gewaltausbrüche so früh wie möglich zu stoppen

Dass sich die psychische Erkrankung der Frau wegen der permanenten Spannungen in der Beziehung wahrscheinlich verschlechtert hatte, könnte durchaus sein, sagt Schmuck. „Doch Krankheiten dürfen niemals als Druckmittel benutzt werden.“ Und manchmal war es schlicht hanebüchener Unsinn, was sich Jochen B. anhören musste. Dennoch litt er sehr unter den Äußerungen seiner Frau. Vor allem sah er, dass es seiner Frau tatsächlich nicht gut ging. Er wollte ihr helfen. Sie nicht im Stich lassen. „Er hatte große Ansprüche an sich als Ehemann“, erklärt Schmuck. Den Satz „Bis dass der Tod euch scheidet“ nahm Jochen B. sehr ernst. Doch nach Jahren der Streitereien und Demütigungen hielt er es nicht mehr aus. Jochen B. trennte sich.

Gewalterlebnisse bedeuten immer einen extremen Verlust an Lebensqualität, so Schmuck. Und sie können langfristige Negativfolgen haben. Manche Männer trauen sich nicht mehr, eine neue Partnerschaft einzugehen. „Sie haben Angst, dass alles genauso wird“, sagt Schmuck. Auch Jochen B. hatte sich diese Frage gestellt. Doch dann fand er eine Frau, die zu ihm passte. Aber die Erinnerungen wühlten in ihm weiter. Seine Freunde aber wollte er mit den alten Geschichten nicht behelligen. Also wandte er sich drei Jahre nach der Trennung an Philipp Schmuck. Als er von der neuen Anlaufstelle im Nürnberger Institut für Soziale und Kulturelle Arbeit (ISKA) hörte, nahm er sofort Kontakt auf.

Auch Roland G. (Name geändert) suchte bei Schmuck Hilfe. Dass er sich ab und an ein Gläschen Wein mit seinem Kumpel genehmigt, ist seiner Frau ein Dorn im Auge. Mit allem, was in ihrer Macht steht, versucht sie, die Treffen zu verhindern. „Das geht nicht, das ist Gewalt“, betonte Schmuck im Gespräch mit Roland G., was diesen zunächst erstaunte. Zu „normal“ erschien es ihm bisher, dass Konflikte oft mit verbalen Angriffen, Demütigungen und Drohungen einhergehen.

Natürlich gibt es Momente, in denen man den Partner auf den Mond schießen könnte. Weil der etwas tut oder sagt, was einen furchtbar wütend macht. Dennoch, beharrt Schmuck: Gewalt geht nicht. Mit Männern, die noch in einer gewaltdurchsetzten Beziehung leben und die versuchen möchten, diese Beziehung zu retten, trainiert der 37-jährige Sozialarbeiter, Gewaltausbrüche so früh wie möglich zu stoppen. Was zunächst bedeutet, dass der Mann erkennen muss: Dies oder jenes ist eine Erniedrigung. Ist eine Erpressung. Oder Demütigung.

Die Frau droht, dass er im Fall einer Trennung die Kinder nicht mehr sehen darf

Besonders problematisch ist die Situation, wenn die Kinder noch nicht flügge sind. So droht Roland G.s Frau bei Konflikten immer wieder, er würde das gemeinsame Kind nie mehr sehen dürfen, sollte er sich trennen. Schmuck klärte ihn über die Fakten auf, über seine Rechte bei einer Trennung, vor allem in Bezug auf das gemeinsame Kind. Jetzt denkt Roland G. noch ernsthafter als bisher darüber nach, ob er sich nicht besser von seiner Frau trennen sollte.

Oder gibt es doch noch eine Möglichkeit, die Beziehung zu retten? Um sich vollständig darüber klar zu werden, was die beste Lösung wäre, ermutigte Schmuck Roland G., mit seinem ältesten Freund über alles zu reden. Denn bisher hatte auch Roland G. keinem Menschen anvertraut, was er in seiner Ehe mitmacht. Aus Angst, als „Memme“ zu gelten, behielt er das, was er in seiner Beziehung erlebt, für sich.

Wenn zu Hause die Streitigkeiten kein Ende nehmen und die Beziehung immer desaströser wird, versuchen viele Männer, in anderen Lebensfeldern bestmöglich zu funktionieren, erklärt Schmuck. „Manche arbeiten sich dann fast tot“, sagt er. Weil sich ihr Traum von einer harmonischen Lebensgemeinschaft nicht erfüllte, setzen sie zum Beispiel alle Energie daran, so viel Geld wie möglich zu verdienen, um das Haus bald abzahlen zu können. Auch Jochen B. ging jeden Tag mit großer Anspannung in die Arbeit, weil er seiner Frau, die so unzufrieden mit ihm war, wenigstens materiell etwas bieten wollte.

Aber gerade der Versuch, etwas zu verdrängen, mache es omnipräsent, so Schmuck. Er fordert die Männer deshalb auf, über das Erlebte zu sprechen. Lebensereignisse, die nicht in die eigene Biografie integriert werden, wühlen tief im Untergrund. Was dabei besonders auffällt: Die meisten Männer, die über ihre Erlebnisse sprechen, waren lange weit davon entfernt, das, was ihnen widerfahren ist, unter das Phänomen Gewalt einzuordnen. Denn Gewalt ist gerade für Männer meist etwas Physisches. Sie verbinden damit Schläge oder Prügel.

Doch auch ständige polemische Äußerungen oder andere Formen verbaler Übergriffe sind Gewalt, betont Schmuck. Er beobachtet, wie erleichternd es schon wirkt, wenn er einem betroffenen Mann sagt: „Das ist nicht in Ordnung, was Ihre Frau da tut, denn das ist Gewalt!“ Und Gewalt sei nie verhandelbar.

Diese Ansicht verbreitete sich auch in der Politik. So beschloss zum Beispiel das bayerische Sozialministerium, das Angebot für Gewaltopfer auszubauen. Neben den Beratungsstellen für betroffene Männer in Nord- und Südbayern gibt es nun auch Schutzwohnungen für Männer in Nürnberg und Augsburg.

Gewalt sei ein chronisches Übel in unserer Gesellschaft, erklärt Schmuck. Er selbst wurde bereits vor längerer Zeit auf die Misere von Gewalt betroffener Männer aufmerksam. „Während meines Studiums lernte ich den Verein Gewaltberatung Nürnberg kennen“, erzählt er. Unter der Prämisse „Von Mann zu Mann“ wird hier Täterarbeit geleistet. Doch es kam immer wieder vor, dass sich auch Männer an den Verein wandten, weil sie unter einer aggressiven Partnerin litten. Anlass genug für Schmuck, neue Beratungsangebote zu entwickeln.
(Pat Christ)

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