Leben in Bayern

05.08.2011

"Die Arbeit ist dreckig und schwer"

Serie: Seltene Handwerksberufe (III): Der Chiemgauer Wolfgang Wimmer ist einer der letzten Horndreher Bayerns

In einer Seitenstraße des kleinen Örtchens Grassau im Chiemgau gibt es einen Laden, der wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. In der verstaubten Auslage finden sich ausgestopfte Tiere, Geweihe aller Art, Pfeifen, Trachtenschmuck. Wer eintritt, findet sich in einem Raum voller Schränke und Vitrinen wieder, gefüllt mit einem Sammelsurium weiterer Pfeifen, Knöpfe, Ketten und Ringe, Schnupftabakdosen, Geweih-Korkenzieher – Dinge, die die Welt nicht braucht. Leider. Denn hier verstaut einer der letzten Horndreher Bayerns seine selbstgefertigten Schätze, die Zeugnisse seiner Kunstfertigkeit, die kaum jemanden mehr interessieren.
Doch Wolfgang Wimmer, 64 Jahre alt, zuckt mit den Schultern. „Mei, so isses halt“, sagt er und strahlt den Besucher an. Denn Jammern ist seine Sache nicht. Es muss halt weitergehen. Vorwiegend mit der Produktion von Trillerpfeifen hält sich der gelernte Horndrechslermeister über Wasser. Diese Arbeit hilft seinem kleinen Ein-Mann-Betrieb zu überleben, er liefert an Jäger, den Verkehrsverein Köln oder den Frankfurter Mainhafen, und sogar in England oder Holland hat er einige Stammkunden.
1500 dieser auch Signalpfeifen genannten Krachmacher hat Wimmer seit Weihnachten schon gemacht, jede einzelne von Hand. „Es hängt mir zum Hals raus“, klagt er – und lacht.
Dann zeigt er seine schwieligen, knotigen Finger. „Die Arbeit ist dreckig und schwer“, erzählt der agile Handwerker, denn sein Werkstoff – Horn – ist wesentlich härter als Holz. Das, was Wolfgang Wimmer seit seiner Lehre im Jahr 1961 verarbeitet, sind die ehemaligen Verlängerungen des Schädels von Kühen, Büffeln oder Hirschen. Das Drehen und Schleifen übernehmen zwar Maschinen, einige von ihnen schon über hundert Jahre alt, aber Verzierungen und Muster müssen per Hand mit Formstahl-Werkzeug herausgedreht werden.
Es fliegen die Hornspäne, die sich in riesigen Mengen unter der Werkbank ansammeln und von Hobbygärtnern als Dünger geschätzt und tütenweise abgeholt werden. Außerdem staubt und stinkt es – „mei, so isses halt“.
Damals, Anfang der 60er Jahre, ernährte das Horndrechseln vier Leute in seinem Lehrbetrieb. Noch 1981, als sich der damals 34-Jährige selbstständig machte, war die Auftragslage akzeptabel, vor allem Tabakpfeifen waren gefragt. Doch kurz nach seiner Firmengründung ging es mit dem Markt bergab, kaum noch jemand rauchte oder sammelte plötzlich noch Tabakpfeifen.
Die Übernahme eines Trillerpfeifenbauers sicherte dann ab 1992 die Existenz des kleinen Horndrechslerbetriebs. „Wenn ich diese Firma nicht bekommen hätte, hätte ich einpacken können“, erinnert sich der Drehermeister.


Bereits die Römer setzten auf bayerische Horndrechsler


Das typische Schicksal vieler der noch überlebenden historischen Handwerksbetriebe. Obwohl das hornverarbeitende Gewerbe schon in der Römerzeit nachgewiesen wurde, muss man sich heute irgendwie über Wasser halten, denn die Zukunft sieht düster aus angesichts massenhaft importierter Billigware aus Osteuropa und Fernost.
Etwa eine Tonne Horn verarbeitet Wolfgang Wimmer im Jahr. Doch Horn ist nicht gleich Horn, besonders gut eignen sich die Stirnfortsätze der kolumbianischen Longhorns, die haben eine ordentliche Portion des Materials Horn an der Spitze. Den unteren Teil kann Wimmer nicht gebrauchen, denn der enthält einen Knochenzapfen in der Mitte.
Die Hörner unserer heimischen Kühe sind also zu kurz und die Geweihe der Hirsche oder Gämsen gar nicht aus Horn, sondern aus Knochen. Aus deren Spitzen kann man aber kunstgewerbliche Gegenstände wie Schlüsselanhänger oder Lampenträger machen, aus den Rosetten Schnupftabakdosen oder Trachtenschmuck, die der kontaktfreudige Senior auf Handwerker- und Trachtenmärkten verkauft.
Die Broschen mit röhrendem Hirsch oder Wildsau in der Mitte sind äußerst filigran, der Drechslermeister fertigt sie mit der Laubsäge und einem ausgedienten Zahnarztbohrer. Sind die Trillerpfeifen bei Wolfgang Wimmer die lästige Pflicht, so sind Gesteckpfeifen die Kür. Das eine bringt Geld, das andere macht Spaß, hier kann der Chiemgauer seine künstlerische Ader ausleben.
Die bis zu anderthalb Meter langen Rauchinstrumente waren einst der Stolz der Kanonisten oder Reservisten des Königs, die sie als Erinnerung an ihre ruhmreiche Militärdienstzeit anfertigen ließen und gerne auch in Wirtshäusern zur Schau stellten.
Das Augenfälligste an ihnen sind Pfeifenkopf und Wassersack, die entweder aus Bruyereholz oder aber aus Porzellan bestehen und die einzigen Teile sind, die Wolfgang Wimmer nicht selber herstellt. Der Rest ist „made in Grassau“: zahlreiche, miteinander verschraubte Hornelemente, bei deren Drechseln nicht nur Kreativität, sondern auch äußerste Präzision gefragt sind.


Der ganze Stolz der Königsschützen


Hier kommt auch das Besondere des Horns so richtig zur Geltung – das eine Material ist ein bisschen heller, das andere fast schwarz. Jede Maserung ist einzigartig. So wird jedes Objekt zu einem Unikat. „Es macht mir einfach immer noch Spaß“, freut sich Wolfgang Wimmer, auch wenn seine körperlichen Kräfte langsam nachlassen und die Arbeit zusehends mühsam wird.
Zwei bis fünf Stunden – je nach Länge – sitzt der Drechsler an einer Gesteckpfeife, am Ende bekommt er vom Händler zwischen 20 und 100 Euro. Reich wird er davon nicht. „Ich kann gar keinen reellen Stundenlohn nehmen, das würde mir niemand bezahlen. Dann könnte ich den Laden dichtmachen“, erzählt er. Urlaub ist nur selten drin – ein hartes Handwerkerlos.
Doch Wolfgang Wimmer denkt nicht ans Aufhören. Erstens: Wovon sollen er und seine Frau dann leben? Zweitens: Was sollte er den ganzen Tag tun? Drittens: Es gibt keinen Nachfolger. Wenn er aufhört, ist Schichtende beim Horndrechsler von Grassau.
Die Porzellanköpfe der Gesteckpfeifen waren früher übrigens handbemalt, heute werden sie maschinell bedruckt. Die Firma, von der Wimmer die Teile bezogen hatte, hat die Produktion eingestellt. Doch der Horndrechslermeister hat vorgesorgt und gehortet – sein Vorrat dürfte bei gleichbleibender Nachfrage noch für mehrere Jahre reichen. Das Gleiche gilt für das Hornmaterial.
Den ganzen Keller hat er voll damit, bis unter die Decke lagern die Säcke mit dem stinkenden Rohstoff. So hat er einen Grund, weiterzumachen. „Ich arbeite mindestens so lange, bis alles weg ist“, erzählt er – und lacht. (Gabi Peters)

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