Genauso hätte es sein können im Jahr 1883: Wer am Wirtshaustisch am Fenster Platz nimmt, neben den weißen Figuren gestandener Mannsbilder, der kann zuhören, wie es wohl war, als die Geburtsstunde der Trachtenvereine schlug. Der Lehrer Josef Vogl war es, der sich mit seinen Spezln im Wirtshaus darüber ausließ, dass keiner mehr Tracht trage. Der Abend endete mit dem Beschluss der Stammtischfreunde, sich jeweils eine kurze Lederhose anfertigen zu lassen und die bayerische Kleidung wieder in den Blickpunkt zu rücken. Vogl gründete den „Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Leizachtal“, eine Steilvorlage für andere Trachtenvereine, die seinem Beispiel folgten. Zu erleben ist diese nachgespielte Szene im Trachtenkulturmuseum in Holzhausen im Landkreis Landshut, das im vergangenen Herbst seine Türen zum ersten Mal öffnete.
Die Tracht gehört zu Bayern wie Schaum auf die Maß und ist so vielfältig wie die Menschen, die im Freistaat leben. Das Trachtengewand hat sich im Lauf der Jahre stets weiterentwickelt, und das ist auch gut so, findet der Bayerische Trachtenverband und nimmt die Fans von Dirndl und Lederhose in seinem Museum mit auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Tracht. Die Besucher*innen aus dem In- und Ausland können dort eine Reise quer durch die Trachtenwelt erleben, aber auch Mundart, Brauchtum und Kultur nachspüren. Das innovative Museumskonzept kommt dabei ganz ohne Staub und Klischees aus.
Die Dialoge sind original überliefert
Die Dialoge der Männer im Wirtshaus zur Gründung des Vereins sind weitgehend original überliefert und ermöglichen den Museumsgästen so einen besonderen Zugang zu der damaligen Zeit. Der Aufenthalt im Museum ist auch sonst sehr kurzweilig. Auf einem digitalen Spieltisch kann man die Jahreszahlen anklicken und nachspüren, welchen Stellenwert die Tracht zu welcher Jahreszeit hatte. Es gibt auch die Möglichkeit, den Kopfhörer aufzusetzen und verschiedene bayerische Musikinstrumente zu hören, einen vorgegebenen Satz in seinem eigenen Dialekt auszusprechen – oder die Zeichnung eines berühmten Schauspielers anzutippen, um dann eine Szene aus dem Film Brandner Kaspar zu sehen. Mitmachen ist angesagt.
Die Agentur Atelier und Friends aus Grafenau hat die Ausstellung konzipiert. Auf knapp 400 Quadratmeter Ausstellungsfläche, verteilt auf zwei Geschosse und eine zusätzliche Galerie, gibt es Tracht und Tradition mit interaktiver Inszenierung. „Objekte werden nicht nur ausgestellt, sondern man kann sie anfassen und fühlen. Geschichten werden nicht nur erzählt, sondern aktiv erlebt“, sagt Agenturleiter Markus Pühringer. Für ihn ist das Museum „das Herzstück bayerischer Lebensart“.
Zwei Jahre hat seine Kreativagentur, die schon zahlreiche Ausstellungen umgesetzt und dafür auch einige Preise bekommen hat, an der Schau mit überregionaler Strahlkraft gearbeitet. Die Ausstellung hat im alten Pfarrhaus Platz gefunden. Christian Kammerbauer, stellvertretender Vorsitzender des Trachtenverbands und Projektleiter, erklärt, dass der Umbau des Gebäudes und die Ausstellung insgesamt rund 1,4 Millionen Euro gekostet haben, gefördert größtenteils durch den Freistaat.
1,4 Millionen Euro Kosten auch vom Staat gefördert
Bei der Umsetzung habe man extrem viel auf die Baukosten geschaut und auch vieles in Eigenleistung durchgeführt, sagt Kammerbauer. Die Geschichte der Tracht wird zum Beispiel im Gründungskammerl, im Trachtometer, im Jahreszeitenbaum oder im Tanzboden erlebbar.
Den Projektleiter freut es besonders, dass den Besucher*innen klar wird, dass Tracht nichts Verstaubtes, nichts Antiquiertes ist. Auch die modischen Dirndl und zeitgemäßen Lederhosen, die auf den Volksfesten getragen werden, sind bei seinem Verein nicht verpönt: „Wir sind nicht so konservativ, wie alle glauben.“
Und doch sind es vor allem die alten Gewänder, die beim Besuch faszinieren. Unterm Dach sind zahlreiche historische Trachten ausgestellt, sogar ein ganzer Trachtenumzug hat sich formiert. Insgesamt 100 Schaufensterpuppen tragen die Ausstellungsstücke, die größtenteils aus dem Depot des Trachtenverbands stammen. Schubladen können geöffnet werden, in denen sich reich verzierte Mieder befinden, und in Vitrinen werden Hauben und Hüte ausgestellt.
Es gibt aber auch eine Wand, an der Berühren ausdrücklich erlaubt ist: Dort kann der Gast Stoffe in den Händen fühlen oder über eine Korbtasche streichen. In Holzhausen gibt es die Tracht eben zum Anfassen. (Melanie Bäumel-Schachtner)
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