Leben in Bayern

Floßbauer Josef Seitner ist einer der letzten seiner Zunft. Foto: Schwenger

19.08.2011

Die harten Männer von der Isar

Serie: Seltene Handwerksberufe (V): Früher waren Flößer für den Handel im Freistaat unersetzbar – heute sind sie vor allem eine Touristenattraktion

Eine meterhohe Wasserfontäne spritzt auf, als ein 18 Meter langer Fichtenstamm in der Loisach landet. Der Wolfratshauser „Flessler“ – so heißen die Flößer auf bayerisch – Josef Seitner beobachtet das tonnenschwere Geschoss, ein Zuruf an seine Gehilfen, dann schlagen sie ihre Äxte in das Holz, um es festzuhalten. Immer mehr Rundhölzer sausen die steile Uferböschung hinab in den dunkelgrün schimmernden Fluss, der sich bei Wolfratshausen mit der Isar vereinigt. Routiniert verbinden Seitner und seine Mannen die Stämme zu einem großen Floß.
Gelernt hat Seitner alle Techniken von seinem Vater und der wiederum von seinem Vater und so geht es weiter zurück bis ins Jahr 1880. Denn die Seitners sind eine alte Wolfratshauser Flößerfamilie, die ihre Traditionen noch immer aufrecht hält.


Gesprochen wird unter
den Arbeitern kaum


Die Bauweise eines Isarfloßes – unter Flößern heißt übrigens „der Floß“ – hat sich in den vergangenen Jahrhunderten kaum verändert: An der Floßlände in der Loisach schwimmend werden 18 ausgewachsene Fichtenstämme möglichst eng aneinandergefügt. Dafür dreht Seitner jeden Stamm so lange im Wasser, bis er optimal an dem anderen anliegt.
Eigentlich wäre er Floßmeister, wenn es diese Berufsbezeichnung noch gäbe und er hat es im Gefühl, „wenn es passt“.
Gesprochen wird beim Floßbau nicht viel, jeder Handgriff sitzt. Mehrere tausend Flöße hat Seitner bereits zusammengebaut. Nur bei den „Neuen“ wird gelegentlich noch mit knappen Worten geholfen. Hauptberufliche Flößer gibt es bei den beiden Wolfratshauser Flößerbetrieben Josef und Franz Seitner nicht mehr viele, die meisten sind Helfer, die die Flößerei neben ihren anderen Berufen betreiben. Begeisterung für eines der ältesten Transportmittel der Menschheitsgeschichte und das vom Aussterben bedrohte Handwerk bringt sie dazu, in den Sommermonaten oft schon um fünf Uhr auf dem Wasser zu stehen und bis zu fünf Flöße am Tag zusammenzusetzen.
Die Konzentration auf dem entstehenden Floß ist spürbar, denn kommt ein neuer Stamm ins Wasser gerauscht, muss schnell reagiert werden. Mit dem Rücken zur Flussmitte auf dem nassen Holz balancierend, warten die Männer und fangen dann das Rundholz geschickt ein. „Wenn sich ein Stamm selbstständig macht, kann er als Treibgut gefährlich werden“, erklärt Seitner.
Auf den bereits befestigten Stämmen steht Seitner im Fluss, gemeinsam schiebt er mit seinen „Floßknechten“ – so wurden die Gehilfen früher genannt – die letzten Stämme unter den Querbalken. An den beiden äußersten Stämmen wird ein Drahtseil befestigt, ordentlich gespannt sorgt es für Stabilität. Jetzt wird wieder die Flößerhack geschwungen, um die Hölzer mit dem Querbalken zu verbinden. Dazu brauchen sie die „Schnalln“, Drahtschlaufen, die bis 1900 noch aus geflochtenen Weiden bestanden und Floßnägel, die in der uralten Wolfratshauser Schmiede Josef Ettenhuber noch heute extra angefertigt werden.
„Es gibt heute natürlich kein Geschäft mehr, in dem man das Werkzeug für die Flößerei kaufen kann“, erzählt Seitner. Früher hätten die verschiedenen Handwerksbetriebe den Flößern direkt zugearbeitet. Mitte des 19. Jahrhunderts fuhren schließlich immerhin rund 9000 Flöße jährlich bis nach München. Heute sind es bei Josef Seitner etwa 320.
Viele Arbeiten rund um den Floßbau macht er daher selbst, wie eben auch das Herstellen der „Wieden“, Ruderschlaufen aus Zweigen der Schneeballweide. Und das aus gutem Grund. Eine Fahrt mit dem Floß auf der Isar darf man nicht unterschätzen. Noch immer gibt es gefährliche Stellen wie den Georgenstein, an dem erst im Mai dieses Jahres wieder ein Floß auffuhr. Es wurde dabei so schwer beschädigt, dass es erst nach einigen Reparaturen mit den 60 Passagieren weiterfahren konnte.
Die Flöße sind mit ihren 22 Tonnen Gewicht sehr träge. Die drei Steuerleute – der Floßführer mit einem Gehilfen und der Steuermann – müssen weit vorausschauend fahren, denn für eine Kurskorrektur braucht es viele Ruderschläge.
Die sieben Meter langen Ruder sind mit von Seitner selbst hergestellten Holztauen befestigt. So genannte Wieden sind extrem flexible und belastbare Holztaue, die aus langen Jungstämmen von Bäumen geschnitten wurden. „Die sind einfach besser geeignet als die modernen Draht- oder Kunststoffschlaufen“, versichert Seitner. Mehrere Hundert Wieden benötigt er im Jahr. Und es liegt auch immer eine Ersatzschlaufe bereit. „Das Leben eines Flößers hängt an einer Wiede“, besagt ein alter Flößerspruch.
Der Floßunternehmer achtet auf Tradition. So verwendet Seitner zum Beispiel ausschließlich Mondholz: „Das hält einfach länger, weil es das Wasser nicht so aufnimmt.“ Die 350 Euro teuren Stämme werden auch nicht mit Maschinen entrindet, sondern in Handarbeit. Dabei wird der natürliche Bast nicht verletzt, der unter der Rinde ist und verhindert, dass sich das Holz mit Wasser vollsaugt. „Inklusive Arbeitszeit liegt der Wert für ein Floß bei bis zu 7000 Euro“, rechnet Seitner vor.
Zum Glück kann es eine ganze Saison verwendet werden. Nach jeder Fahrt werden die Flöße auseinandergebaut und per Langholzlastwagen wieder nach Wolfratshausen zurückgebracht. Die Stämme sind farblich markiert, damit sie nicht wieder mühevoll zusammengesucht werden müssen.


Mit riesigen Bierfässern bis in die Landeshauptstadt


Früher wurden allerhand Waren auf der Isar bis nach München und von dort über die Donau bis nach Wien oder noch weiter geflößt, darunter Gewürze aus dem Orient, Weine aus Italien, aber auch Kalk, Möbel, Stoffe und andere Handelswaren. Selbst Tiere wurden auf dem Floß transportiert. Das Holz selbst stellte einen großen Teil des Frachtwerts dar.
Heute sind es nur noch Passagiere, die in der bis zu sechsstündigen Fahrt an die Zentrallände in Thalkirchen gebracht werden. Für sie setzen die Flößer extra noch einen Aufbau auf die Floßtafel, ausgestattet mit einigen Reihen Bierbänken. Dazu kommen ein paar Fässer Bier, Brotzeit, Platz für die Musikkapelle und ein „Häuserl“.
Jeweils ab 1. Mai ist Seitner auf Fahrt. Es ist ein unvergessliches Erlebnis, auf dem gemütlichen Floß in munterer Gesellschaft durch die naturgeschützte Pupplinger Au zu treiben, unter Brücken hindurch, Europas längste Floßrutsche hinunter, an Ufern mit herrlichen Mischwäldern entlang, an Nagelfluhfelsen und vorbei an steilen Hochufern mit Kirchen und zwei Burgen. Die unverbaute Schönheit auf der rund 28 Kilometer langen Strecke ist dem Isartalverein zu danken, der sich seit 1902 um die Erhaltung dieses Talabschnittes bemüht. Beendet wir die Saison mit der traditionellen „Eisfahrt“ Mitte September.
„Sankt Nikolaus uns bewahr, vor allem Unglück und Wassergefahr!“, so riefen die Wolfratshauser Floßmeister ihren Wasser- und Schifffahrtspatron schon vor 200 Jahren an. Und wie die Alten weiß auch Seitner natürlich um die Gefahren bei der Arbeit auf dem Wasser. Jedes Jahr feiert er deswegen gemeinsam mit den anderen verbliebenen Flößerbetrieben, die noch die Isar von Wolfratshausen bis München befahren, eine gemeinsame Flößermesse in Mühltal und bittet um Schutz und Segen für die kommende Saison. Zu Ehren ihres zweiten Schutzpatrons, dem Brückenheiligen Johannes Nepomuk, gibt es sogar alle drei Jahre Mitte Mai eine Johannifloß-Prozession an der Alten Floßlände in Wolfratshausen.
In der Region um Bad Tölz gibt es nur noch drei Flößerbetriebe. Doch noch gehen auch auf der Wilden Rodach in Franken, im Allgäu oder auf der Donau einige Traditionalisten diesem Beruf nach.
Die Konstruktion der Flöße richtet sich dabei nach den natürlichen Anforderungen der befahrenen Gewässer und unterscheidet sich zum Teil stark von den Isarflößen. Weltweit gibt es zum Beispiel in Kanada oder in Finnland sogar noch die Flößerei im eigentlichen Sinn - als Holztransport über die Wasserstraße. (Sabrina Schwenger)

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