Leben in Bayern

13.07.2018

"Die reden doch nur – und raus kommt dann nichts"

Was hat der Konfrontationskurs der CSU im Asylstreit der Partei gebracht? Ein Besuch bei der Basis

Der Aufstand Horst Seehofers gegen Kanzlerin Angela Merkel hatte vor allem ein Ziel: enttäuschte AfD-Wähler für die CSU zurückzugewinnen. Ob diese Strategie aufgeht, ist mehr als fraglich – das zeigen nicht nur Umfragen, sondern auch ein Besuch abseits der bayerischen Großstädte. Die Staatszeitung hat sich in Landau an der Isar und bei der CSU-Basis in Vaterstetten umgehört.

Es ist ein Tag, wie ihn sich der Bayer für seinen Volksfestbesuch wünscht. Die Sonne strahlt bei weiß-blauem Himmel, schon von Weitem erschallt die Volksmusik. Viele Landauer strömen in schmucker Tracht in das Festzelt und die Biergärten, der Gerstensaft fließt bereits seit Stunden.

In Niederbayern ist man stolz auf seine Traditionen – und man wählt CSU. Zumindest war das bis zur Bundestagswahl 2017 so. Damals verloren die Christsozialen im Landkreis Dingolfing-Landau vor allem wegen der Flüchtlingskrise mehr als 16 Prozent der Stimmen, fast jeder Fünfte wählte AfD. Will die CSU die absolute Mehrheit in Bayern bei den Landtagswahlen im Oktober verteidigen, muss sie auch in Ostbayern wieder punkten.

Die CSU-Spitze dürfte bei ihrem wochenlangen Konfrontationskurs gegen die Schwesterpartei CDU vor allem die Wähler vor Augen gehabt haben, die die Partei wegen des Flüchtlingszuzugs so stark abgestraft haben wie seit Jahrzehnten nicht. Doch haben CSU-Chef Horst Seehofer und Ministerpräsident Markus Söder mit ihrer aggressiven Strategie Erfolg?'

Wer in Landau mit den Menschen spricht, bekommt daran zumindest Zweifel. Dominik P., der am Bahnhofsparkplatz des beschaulichen Isar-Städtchens auf eine Mitfahrgelegenheit wartet, sagt: „Schön und gut, dass sie jetzt endlich etwas tun wollen, damit nicht mehr so viele Flüchtlinge kommen – aber das ändert nichts daran, dass die CSU nichts für uns kleine Leute tut.“ Für den jungen Mann ist klar: „Wir müssen für alles kämpfen – ob mit oder ohne Flüchtlinge.“ Seit sein Vater zum Pflegefall wurde, gehe es abwärts, erzählt er. „Wegen der Pflegekosten müssen wir alles verkaufen, was wir haben. Das Geld der Pflegeversicherung reicht hinten und vorne nicht.“ Über das von der CSU-Staatsregierung im Wahljahr verabschiedete Landespflegegeld von 1000 Euro für jeden Pflegebedürftigen kann er nur „müde lächeln“.

Auch Armin Schlöglmann ist auf die Christsozialen gerade nicht gut zu sprechen. Der 34-jährige Straßenbauer mit kurzer Hose und Flip-Flops zürnt: „Die CSU redet doch nur. Da kommt am Ende nicht viel dabei raus.“ Die Flüchtlingszahl werde sich durch die beschlossenen Maßnahmen nicht verringern. Die CSU sei für ihn derzeit nicht wählbar, sagt der Landauer. Die Rechnung Seehofers werde bei den Wählern nicht aufgehen.

Viel Streit für ein „so bescheidenes Ergebnis“

Auch auf dem Landauer Volksfest denken zumindest manche so. „Ein Prosit der Gemütlichkeit“, ruft der Sänger den Besuchern zu – doch aus Sicht vieler sind die gemütlichen Tage, in denen die CSU als Gewinner einer jeden Landtagswahl bereits vorab feststand, endgültig vorüber. „Die haben viel Vertrauen verspielt“, sagt ein älterer Mann in Trachtenhemd und Lederhose. So einen Streit für ein „so bescheidenes Ergebnis“ – das wolle hier keiner. „Den nächsten Flüchtlingsstrom wird der Kompromiss zwischen Merkel und Seehofer nicht verhindern.“

In der Sache habe die CSU ja recht, aber der Ton sei der falsche gewesen – das hört man beim Landauer Volksfest immer wieder. Worte wie das vom „Asyltourismus“, das Ministerpräsident Markus Söder während des Streits nutzte, kommen bei vielen im katholisch geprägten Niederbayern nicht gut an. Eine 53-Jährige im Dirndl am Weißbierstand kritisiert auch „das Hin und Her der CSU“. Wenn Seehofer mit Rücktritt drohe, dann müsse er auch gehen – eine andere Frau will der CSU gar ihr „C“ im Namen absprechen. „Ein solcher Umgang mit einer Schwesterpartei ist nicht christlich.“ Auch sei ihr die Wirtschaftspolitik schlicht nicht sozial genug.

Die für die CSU so wichtige Verbindung oder gar Gleichsetzung ihrer Politik mit bayerischer Identität leidet nicht erst seit der Flüchtlingskrise vor drei Jahren. Die im bundesweiten Vergleich relativ hohe Altersarmut, der Pflegermangel und die in Teilen des Freistaats explodierenden Mieten brennen vielen Menschen auf den Nägeln. Hier tut die CSU aus Sicht von Kritikern nicht genug – Söder verschärfte die Miet-Misere sogar noch mit dem Verkauf von 32 000 Landesbank-Wohnungen.

Zudem bereitet ein Volksbegehren namens „Betonflut stoppen“ der Partei Sorgen. Denn viele konservative Bayern auf dem Land haben wegen des hohen Flächenverbrauchs Angst vor einer vermeintlichen Verschandelung ihrer Landschaft. Politologen und auch CSU-Leute selbst sehen darin eine wichtige Ursache der zuletzt guten Umfragewerte der Grünen von bis zu 15 Prozent. „Der allein auf Wachstum ausgerichtete Kurs der Christsozialen kommt bei immer mehr Menschen nicht mehr an“, sagt Armin Nassehi, Professor für Politische Soziologie in München. Die Grünen sehen hier ihre Chancen, wollen die CSU als Heimat-Partei ablösen.

Doch die öffentliche Debatte dominierte bislang vor allem das Thema Flüchtlinge. Und dafür sorgte mit ihren verbalen Ausfällen gegen die Christdemokraten vor allem die CSU selbst. Demoskopen zufolge konnte die Partei bislang allerdings nicht mit dem Thema punkten – seit Ende Juni lag sie in drei Umfragen nur bei 40 bis 42 Prozent – 2013 hatte Seehofer noch gut 48 Prozent erzielt. Am Montag kam dann eine erneute Schock-Meldung: In einer Forsa-Umfrage landete die CSU nur mehr bei 38 Prozent. Selbst mit der FDP oder den Freien Wählern würde es nicht mehr für eine Mehrheit reichen.

„Mit sanften Tönen kommt man oft nicht weiter“

Die AfD dagegen bleibt den Demoskopen zufolge konstant stark. Der CSU-nahe Passauer Politologe Heinrich Oberreuter sagt: „Die Form des Asylstreits wirkt sich sicher nicht positiv auf die Umfragen aus.“ Für die absolute Mehrheit werde es „diesmal wohl nicht reichen“.

Viele CSU-Funktionäre sind heilfroh, dass Seehofer die Berliner Koalition und die Gemeinschaft der Unionsparteien am Ende doch nicht hat zerbrechen lassen: „Streit ist nach außen hin ein schlechtes Zeichen. Wir brauchen jetzt Ruhe“, sagt der niederbayerische CSU-Bundestagsabgeordnete Alois Rainer. Auch der frühere Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Max Straubinger, wünscht sich wieder eine sachliche Diskussion: „Den Streit hat es nicht gebraucht.“ Der Straubinger Landtagsabgeordnete Josef Zellmeier, Staatssekretär in der Landesregierung, dagegen sagt: „Die Schärfe des Tons hat mich nicht begeistert. Aber mit sanften Tönen kommt man in Berlin oft nicht weiter.“

Ortswechsel: Vaterstetten, eine oberbayerische Gemeinde östlich von München. Am CSU-Stammtisch beim örtlichen Volksfest sehen viele den Streit mit Merkel kritisch. Die Maßkrüge mögen hier aneinander krachen, doch für den Umgang mit der CDU wünscht sich Michael Niebler, der Chef der örtlichen Gemeinderatsfraktion, Entspannung: „Jetzt muss wieder Ruhe einkehren in der Flüchtlingsdebatte.“ Es gelte nun im Wahlkampf Erfolge wie die niedrige Arbeitslosigkeit in den Vordergrund zu stellen.

In Oberbayern strotzt die CSU weiterhin vor Kraft

Niebler und seine Leute sind froh, dass die Fraktionsgemeinschaft hält. „In der Sache hat die Parteispitze recht gehabt. Der Stil gegenüber der CDU war jedoch grausam, sagt der 27-jährige Lokalpolitiker Florian Pöhlmann. Manche, wie der CSU-Gemeinderat Leonhard Spitzauer, meinen aber: „Bei so einem wichtigen Thema darf man in der Politik auch eskalieren.“ Er hätte sich schon im Jahr 2015 einen solchen Kurs der Parteispitze gewünscht, sagt der 33-Jährige, der Lederhose und Trachtenhemd trägt.

In Oberbayern strotzt die CSU vor Ort noch immer vor Kraft – nicht nur in Vaterstetten hofft die Parteibasis nun, dass jetzt, wo das lästige Flüchtlingsthema befriedet sein könnte, die Konservativen endlich auch bayernweit wieder zu alter Stärke finden. Der Mainzer Politikwissenschaftler Gerd Mielke hält ein Comeback der ewigen bayerischen Regierungspartei am Wahltag für nicht unwahrscheinlich. „In der heißen Wahlkampfphase kann ihr Hartbleiben der CSU nützen.“ Sie sei im Freistaat vor Ort noch immer „sehr stark verankert“. Die Partei könne „womöglich durch das Standhalten im Streit mit der CDU ihre Basis noch einmal richtig mobilisieren“.
(Tobias Lill)

Foto (Lill): Armin Schlöglmann betont, die CSU sei für ihn nicht mehr wählbar.

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