Leben in Bayern

Dagmar Rosenbauer mit einem aufwendig gestalteten Flitterkranz. (Fotos: Flora Jädicke)

08.02.2019

Die Schöpferin der Kronen

Sie ist eine der letzten Kopfputzmacherinnen Bayerns: Dagmar Rosenbauer aus der fränkischen Schweiz hat schon als Kind ihre Liebe zu Trachten entdeckt. Bereits mit 16 Jahren restaurierte sie den Kopfschmuck der Frauen aus dem Dorf. Dank der 55-Jährigen lebt die alte Tradition der Hauben und Kränze in Franken weiter – an einem einzigen Exemplar sitzt sie bis zu 430 Stunden.

In der kleinen Werkstatt scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Im fränkischen Kunreuth, kaum elf Kilometer südöstlich von Forchheim. Bis heute hat sich dort eine lebendige Trachtenkultur erhalten. Und dank Dagmar Rosenbauer auch die der Hauben und Brautkronen. Sie ist eine der letzten Kopfputzmacherinnen Bayerns.

Die Hauben, Kronen und hohen Kränze wurden einst von den jungen und unverheirateten Frauen getragen. „Sie sind typisch für die Fränkische Schweiz“, sagt Rosenbauer und räumt damit jeden Zweifel aus: Hier geht es nicht um Dirndl als Wiesn-Kostüm. „Trachten aus der Fränkischen Schweiz haben gar nichts mit dieser Dirndl-Mode zu tun“, erklärt die 55-jährige resolute Frau, die tief verwurzelt ist in ihrer Heimat. Sie trägt ein Alltagsgewand, wie es die fränkischen Frauen früher trugen. „Für die Fotos“, sagt sie. Und weil es ihr gefällt.

Der letzte fränkische Putzmacher schloss die Werkstatt nach dem Krieg

Zwischen bunt bestickten und aufwendig gewebten Trachtenstoffen werkelt Rosenbauer oft monatelang an einer alten Flitterkrone. Vor ihr liegen Metallplättchen, Draht, winzige Pailletten, hohle Glasperlen und geschliffene Glassteine. Der bunte Flitter ist der Rohstoff für ihre schmuckvollen Hauben und Kränze, die Rosenbauer seit fast 40 Jahren von Hand fertigt. Nichts ist aus Kunststoff. Alles ist Handarbeit. Jedes Messingplättchen hat Rosenbauer selber gestanzt und geprägt.

Nach dem Stanzen beginnt die mühevolle Arbeit des Zusammenfügens: Perlen, an Plättchen und Drahtgeflechten gefädelt, werden zu kunstvollen Ornamenten und Rosetten. Drei- bis viertausend Mal macht Rosenbauer immer wieder die gleichen Handgriffe. Messingplättchen für Messingplättchen wird eingefügt. Dazu kommen noch einmal so viele große und kleine Glassteine und Glasperlen, die in filigraner Kleinarbeit zu einer fantasievollen Brautkrone gewirkt werden.

Draußen knattert ein Lkw vorbei und lässt das windschiefe Fachwerkhaus vibrieren. Am kunstvollen Kranz zittern die Flitterplättchen. Das Haus ist beinahe so alt wie die Tradition der Hauben und Kränze. „Ein wunderbarer Ort für eine Trachtenwerkstatt“, findet Rosenbauer.

Die 55-Jährige sitzt oft bis zu 430 Stunden an nur einem einzigen neuen Kranz. „Das ist eine aufwendige Arbeit“, sagt sie. In aller Regel und viel lieber restauriert sie historische Hauben. Das sei rentabler, meint sie, und halte außerdem die Trachtenkultur der Region lebendig. „Eine neue Haube kann sich kaum einer leisten.“

Alte Dinge und Traditionen liegen Rosenbauer am Herzen. Eine moderne Frau ist sie dennoch. Ihre Liebe zu Trachten sei kein rückständiges Denken, betont sie. „Es macht mich sogar richtig wütend, wenn ich sehe, wie rechte Akteure und Politiker auf ihren Wahlplakaten Trachtengruppen zeigen und eine ganz und gar unpolitische Tradition kapern.“ Denn echte Trachtenträger hätten mit ihrer Montur, wie man die Tracht in Franken nennt, nie eine politische Gesinnung verbunden, sagt Rosenbauer.

In Franken trägt man die Montur dem Anlass entsprechend. Aber auch das traditionelle Gewand unterlag stets dem Wandel der Generationen. Jede Schneiderin, jeder Putzmacher und jedes Dorf hatten und haben ihre Eigenheiten. Und doch kann man noch immer an der Tracht erkennen, wo das „Kronamadla“ herkommt, wie die junge Trachtenkronenträgerin im Volksmund heißt.

Dabei sei der Begriff Brautkrone eigentlich nicht ganz richtig, erklärt Rosenbauer. Dieses Wort stamme aus dem Repertoire der Volkskundler. Tatsächlich gehörte der sogenannte hohe Kranz ausschließlich zur Festtracht der jungen Mädchen im heiratsfähigen Alter. Der prächtige Kopfputz war nicht nur Schmuck, sondern gab auch viel über Ansehen und Status seiner Trägerin preis. Wer eine Flitterkrone trug, war auch eine gute Partie. Denn sie konnten sich nur wohlhabende Landwirte leisten.

Die fränkischen Trachten gehen bis in die Zeit des Barock zurück. Später dokumentierte sie unter anderem der weitgehend unbekannte Trachtenzeichner Johann Maar. In den Jahren zwischen 1850 und 1860 fertigte er zahlreiche detailgetreue Zeichnungen der historischen Trachten an und überlieferte sie so der Nachwelt. Rosenbauer dienen sie heute als Vorlage, um historische Gewänder zu rekonstruieren.

Dass sie einmal Kopfputzmacherin werden würde, ahnte die gelernte Reiseverkehrskauffrau nicht. Dass sie eine fränkische Tracht wollte, wusste sie hingegen früh. Als Zehnjährige bewunderte die gebürtige Nürnbergerin die Alltagstracht der Kunreuther Dorffrauen. In der Region trugen sie damals ausschließlich Tracht. „So ein Kleid wollte ich“, so Rosenbauer. Kein Dirndl. „Die Eltern machten sich deshalb schon Sorgen“, sagt sie und lacht.

Zu den Flitterkränzen kam sie eher aus der Not heraus. Zur neu erworbenen Festtracht durfte der Kranz schließlich nicht fehlen. Weil sie aber niemanden fand, der einen anfertigte, machte sie sich selbst an die Arbeit. „Zugegeben, der erste Versuch war greislich“, gesteht Rosenbauer. Es brauchte viel Mühe, um herauszufinden, wie die Hauben und Kronen hergestellt wurden. Sie zog von Haus zu Haus. Fragte die Frauen und fotografierte alte Kronen. Niemand wollte ihr sein wertvolles Stück als Vorlage für die Werkstatt geben. Rosenbauer war Autodidaktin. Aber auch wenn das Ergebnis noch bescheiden war, berichtete die lokale Tageszeitung über die eifrige junge Putzmacherin. „Plötzlich kamen die Leute“, erzählt sie, „und wollten, dass ich ihre Hauben restauriere.“ Da war sie gerade 16 Jahre alt. Die größte Schwierigkeit damals: das Material zu beschaffen. „Mit dem Bastelladen kommt man da nicht weit“, sagt Rosenbauer.

Der letzte Putzmacher für fränkische Hauben und Kronen kam aus Reuth bei Forchheim. Nach dem Krieg konnte er sein Geschäft nicht weiterführen. Das Material, aus dem der Flitter gestanzt wurde, stammte zumeist aus jüdischen Fabriken in Fürth. Sie hatten das beste Material und auch die schönsten und besten Trachtenstoffe. Mit der Vertreibung der Juden waren auch ihre Geschäfte verschwunden. So wurden Kronen nach dem Krieg gerade mal noch restauriert.

Dagmar Rosenbauer hat sich inzwischen ein umfangreiches Wissen erworben. Hin und wieder berät sie auch Fachleute von Heimatkundemuseen. „Sehen Sie?“, sagt Rosenbauer zum Abschied und hält ein funkelndes Prachtstück ins Sonnenlicht. „Das sind Abertausende winzige Elemente und kaum zählbare Stunden. Dafür braucht man viel Geschick und auch viel Liebe.“ (Flora Jädicke)

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